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Frühlings Erwachen

Figuren

Figurenkonstellation

Frühlings Erwachen – Figurenkonstellation
  • Die jugendlichen Hauptfiguren

  • Moritz Stiefel

    Moritz tritt als sehr melancholischer und psychisch labiler Charakter auf. Er erscheint unerfahren und unwissend. Den ersten geschlechtlichen Regungen gegenüber zeigt er sich verunsichert und ängstlich. Moritz ist eng mit Melchior Gabor befreundet, dem er sich als einziger anvertraut. Auch seine Aufklärung übernimmt Melchior in Form eines Aufsatzes. Dieser Sachverhalt erscheint zunächst paradox, da Moritz fast ein Jahr älter ist als Melchior.

    Von Thea wird Moritz als schläfrig, von Wendla hingegen als tiefgründig wahrgenommen. Moritz leidet unter dem Leistungsdruck durch Eltern und Schule. Dort kann er nur schwer mithalten und seine Versetzung ist gefährdet. Seine Angst und Verzweiflung sind so groß, dass er nach einem Fluchtweg sucht. Als Frau Gabor ihm die finanziellen Mittel für eine Flucht nach Amerika nicht zukommen lässt, flieht er durch einen Selbstmord vollständig aus dem Leben.

  • Melchior Gabor

    Melchior bildet einen Kontrast zu Moritz. Obwohl er fast ein Jahr jünger ist, ist er ihm in jeglicher Hinsicht weit voraus. Melchior ist gut in der Schule, denkt kritisch und leidet im Gegensatz zu Moritz eher an zu viel Wissen als an zu wenig.

    Melchiors Interesse an Geschlechtlichkeiten ist darüber hinaus weniger schambehaftet. Er gibt sich seinem Durst nach Wissen und Erfahrungen hin. Innerhalb des Dramas versucht er, für Moritz eine unterstützende Funktion einzunehmen. Er steht seinem Freund loyal zur Seite und versucht, ihn anhand eines selbst verfassten Aufsatzes aufzuklären.

    Im Umgang mit Wendla Bergmann zeigt Melchior sadistisches Verhalten, das in Schlägen und, je nach Interpretation, in Vergewaltigung mündet. Im Nachhinein bereut er sein Handeln. Wichtig zu erwähnen ist, dass Melchior erst nach wiederholter Aufforderung Wendlas handgreiflich wird - somit ist ihm dieses Verhalten zuwider und bringt ihn in einen Konflikt mit sich selbst.

    Am Ende des Dramas ist Melchior der einzige der drei jugendlichen Protagonisten, der noch lebt. Er wird sowohl für Moritz' als auch für Wendlas Tod verantwortlich gemacht. In Moritz' Fall hat er sich in den Augen der Erwachsenen durch den aufklärerischen Aufsatz schuldig gemacht. In Wendlas Fall gibt er sich selbst die Schuld für ihre Schwangerschaft.

    Melchior erscheint als zunächst als rationale und scheinbar gefühlskalte Figur, die nicht an Dinge wie Nächstenliebe glaubt. Trotz Äußerungen dieser Art und der Dinge, die er Wendla antut, scheint er jedoch dennoch Gefühle und ein Gewissen zu besitzen und seine Freunde wertzuschätzen, wie man an seinem Verhalten Moritz gegenüber erkennt. Dadurch lässt sich schlussfolgern, dass es sich bei Melchior um eine mehrdimensionale Figur handelt.

  • Wendla Bergmann

    Auch am Beispiel Wendlas werden die körperlichen, hormonellen und mentalen Veränderungen deutlich, die das Jugendalter mit sich bringt. Sie entlarvt die Geschichte des Klapperstorchs, wendet sich jedoch anders als Moritz und Melchior mit ihren Fragen an ihre Mutter. Diese verweigert ihr die Aufklärung, um die Wendla sehnlichst bettelt. Wendlas masochistische Neigung im Umgang mit Melchior lässt sich der Entwicklung sexueller Bedürfnisse zuordnen. Gleichzeitig könnte sie dafür stehen, dass Wendla krampfhaft an der Autorität der Mutter und ihrer eigenen Abhängigkeit festhält. Die Beziehung zwischen Frau Bergmann und ihrer Tochter scheint eng zu sein, ist jedoch von Kontrolle und Überbehütung geprägt. Für die Liebe zu einer gleichaltrigen Person fühlt sich Wendla noch nicht bereit.

    Weiterhin wird Wendla als fromme Christin dargestellt, die den Armen der Gemeinde aus Nächstenliebe und mit großer Freude helfend zur Seite steht. Ihre Unwissenheit schlägt sich in kindlicher Naivität wieder. So erfasst sie z. B. nicht die eigene Schwangerschaft.

  • Die jugendlichen Nebenfiguren

    Die minderjährigen Nebenfiguren repräsentieren die Jugend des wilhelminischen Zeitalters. Gleichzeitig bilden sie wiederholt eine Grundlage für die Handlungen der Protagonisten.

  • Die Mädchen: Ilse, Martha, Thea

    Die Mädchen verhalten sich sittsam und treten noch unwissender als die Jungen auf. Wie im wilhelminischen Zeitalter üblich, wurden sie nicht adäquat aufgeklärt. Gleichzeitig werden sie Opfer herrschender autoritärer Erziehungsmaßnahmen, wie häuslicher Gewalt im Falle Marthas. Dieser Sachverhalt bildet einen Aufhänger für die masochistische Szene Wendlas.

    Ilse unterscheidet sich in ihrer Lebensführung maßgeblich von den anderen Mädchen. Sie arbeitet in der Stadt als Künstlermodell, wodurch sie freier und losgelöster von den gesellschaftlichen Erwartungen lebt. Sie erscheint glücklicher als die anderen Jugendlichen des Stückes.

  • Die Jungen: Hänschen, Ernst, Georg, Robert

    Auch die Jungen leiden unter den gesellschaftlichen Erwartungen und Zwängen. Hänschen Rilow beispielsweise lebt seine Sexualität im Verborgenen. Er onaniert auf der Toilette oder erlebt homoerotische Zweisamkeit mit Ernst Röbel. Diese Szenen gehören nicht zum Handlungskern, sind jedoch wichtig, um die Jugend adäquat darzustellen.

  • Die Jungen in der Korrektionsanstalt: Helmut, Ruprecht, Gaston

    Die Jugendlichen in der Korrektionsanstalt unterscheiden sich hinsichtlich des Verhaltens von den Gymnasiasten. Sie leben ihre Triebe nicht im Verborgenen aus, sondern ecken an, widersetzen sich den Erwartungen Erwachsener und wirken schambefreiter.

  • Die Erwachsenen

  • Frau Bergmann

    Frau Bergmann tritt innerhalb des Dramas als Wendlas Mutter auf. Sie wirkt sehr schambehaftet und ist darauf bedacht, möglichst viel Kontrolle über ihre Tochter auszuüben. Frau Bergmann zeigt wiederholt die Liebe zu Wendla, kommt aber dennoch ihrem Wunsch nach Aufklärung nicht nach. Sie lebt eine feindliche Einstellung gegenüber der körperlichen Reifung ihrer Tochter sowie jeglichen Formen der Sexualität.

    Weiterhin lässt sich Frau Bergmann als Opfer der bürgerlichen Moral einstufen, denn sie unterliegt ihr vollständig. So geht sie innerhalb der Tragödie das Risiko einer Abtreibung ein, um den Ruf der Familie zu wahren. Wendla stirbt bei dieser Abtreibung, wodurch sich die Aussage treffen lässt, dass Frau Bergmann die Moral über das Leben ihrer Tochter stellt. Selbst über den Tod hinaus muss das Bild der perfekten, bürgerlichen Familie durch die Lüge in Bezug auf Wendlas Todesursache aufrechterhalten werden.

  • Frau Gabor

    Frau Gabor tritt innerhalb des Dramas als Melchiors Mutter auf. Im Gegensatz zu den anderen Erwachsenen wirkt sie liberaler und verständnisvoller. Ihrem Sohn steht sie sehr nahe. Frau Gabor pflegt ebenfalls eine mütterliche Freundschaft zu Moritz Stiefel, in dem sie trotz seiner schlechten schulischen Leistungen viel Potenzial sieht. Frau Gabor ist demnach die einzige Erwachsene, die Moritz keinen Leistungsdruck auferlegt. Es lässt sich davon ausgehen, dass sie seine Selbstmordankündigung nicht ernst nimmt, da sie dennoch zu weit von der Lebenswelt der Jugendlichen entfernt ist. So lässt sie ihm keine finanzielle Unterstützung für seine Flucht zukommen.

    Durch seinen ersten Geschlechtsverkehr distanziert sich Melchior von der intimen Mutter-Kind-Beziehung. Seine sexuellen Erfahrungen liefern Frau Gabor den ausschlaggebenden Grund, ihn abzulehnen und in eine Korrektionsanstalt zu schicken.

  • Herr Gabor

    Herr Gabor nimmt innerhalb des Werkes eine weniger relevante Funktion ein. Er ist einzig in Verbindung mit seiner Ehefrau von Bedeutung, indem er ihren liberalen Erziehungsstil kritisiert. Herr Gabor ist ein rationaler Jurist und vertritt starre Ansichten hinsichtlich Moral und Disziplin. Er tritt unempathisch auf und objektiviert seinen Sohn, der in einer Korrektionsanstalt »repariert« werden soll. Herr Gabor stellt sich in jeglicher Hinsicht über Melchior und bestimmt über ihn wie über einen Sachbesitz.

  • Rentier Stiefel

    Herr Stiefel kommt auf der Beerdigung seines Sohnes zu Wort. Seine Wortwahl während der Beerdigung gestaltet Moritz' Leidensdruck, aufgrund des elterlichen Verhaltens, nachvollziehbar. Auch in seinen Erzählungen äußert Moritz sich ängstlich über seine Eltern und schildert ihre hohen Erwartungen.

    Ebenso wie die anderen Erwachsenen stellt Rentier Stiefel die Moral über sein eigenes Kind. Da Moritz die Sünde des Selbstmords begangen hat, hat er das Ansehen der Familie derart geschädigt, dass der Vater ihn bei der Beerdigung verleugnet und abwertet. Auf diese Weise unternimmt er den Versuch, seinen sozialen Status zu wahren.

  • Der vermummte Mann

    Der vermummte Herr tritt in der letzten Szene des Stückes auf und gibt seine wahre Identität nicht zu erkennen. Dadurch wirkt er geheimnisvoll und eröffnet viel Interpretationsspielraum. In der vorliegenden Interpretation wird er metaphorisch als das Leben gedeutet, welches Moritz’ Geist, der den Tod verkörpert, gegenübergestellt wird. Der vermummte Herr führt Melchior zurück ins Leben und steht so gleichzeitig für Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung.

    Es lässt sich darüber hinaus interpretieren, dass der vermummte Mann Wedekind selbst darstellen soll. Durch das Aufzeigen und Kritisieren von Missständen versucht der Autor, die leidtragenden Jugendlichen des wilhelminischen Zeitalters zurück ins Leben zu führen.

  • Die Lehrerschaft: Affenschmalz, Knüppeldick, Hungergurt, Knochenbruch, Zungenschlag, Fliegentod, Rektor Sonnenstich, Pedell Habebald

    In Hinblick auf die Lehrerschaft fallen insbesondere die grotesken Namen dieser auf. Sie bilden eine lächerliche Karikatur der schulischen Instanz, die sie vertreten. Die Lehrer werden mit negativen Charakterzügen versehen, treten kaltherzig auf und sind einzig auf Ruf und Ansehen bedacht. Auf das Leid ihrer Schüler reagieren sie unbeeindruckt und setzen unmenschliche Prioritäten, indem sie das Ansehen der Schule über das Wohl ihrer Schüler stellen. Auch bei Moritz’ Beerdigung finden die Lehrer, ebenso wie Pastor Kahlbauch, nur negative Worte für den Verstorbenen. Anhand der Lehrer wird die pädagogische und moralische Instanz der Schule ins Lächerliche gezogen.

  • Pastor Kahlbauch

    Auch der Pastor repräsentiert die Instanz der Kirche in fragwürdiger Weise. Statt Nächstenliebe zu praktizieren, findet er für den jugendlichen Selbstmörder nur Worte der Verdammung.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.