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Frühlings Erwachen

1. Akt, Szene 3-5

Zusammenfassung

In der dritten Szene stehen die Figuren Thea, Wendla und Martha im Fokus. Sie gehen Arm in Arm eine Straße entlang. Auch die Mädchen befinden sich in einem Gespräch. Martha beschwert sich darüber, dass sie ihre Frisur nicht ändern darf. Sie erzählt von der Gewalt, die sie zuhause erlebt. Schließlich entwickelt sich das Gespräch ebenfalls zu den Themen Liebe und Familiengründung. Alle drei Mädchen möchten am liebsten Jungen zur Welt bringen: Martha und Thea sind der Meinung, Mädchen wären langweilig, während Wendla selbstbewusster auftritt und sich darüber freut, ein Mädchen zu sein. Dennoch ist es für sie erstrebenswerter, von einem Jungen geliebt zu werden als von einem Mädchen.

Melchior geht vorbei und die Mädchen sprechen darüber, dass sie ihn als sehr attraktiv empfinden. Außerdem sind sie beeindruckt von seiner Intelligenz. Ihre Meinungen über Moritz gehen auseinander. Thea findet ihn sehr schläfrig. Wendla hält ihn für weniger attraktiv, jedoch tiefgründiger als Melchior. Sie spricht Melchiors pessimistische und atheistische Weltanschauung an.

Die vierte Szene spielt in der Parkanlage des Gymnasiums. Melchior ist auf der Suche nach Moritz. Seine Freunde offenbaren, dass er sich heimlich in das Konferenzzimmer der Schule geschlichen hat, um sich in dem dort liegenden Protokoll über seinen Aufstieg in die nächste Klasse zu informieren. Moritz trifft aufgeregt und glücklich auf die anderen. Er berichtet begeistert, dass er »promovirt« ist, womit in der damaligen Sprache die Versetzung in die nächste Klasse gemeint ist. Er erzählt, dass er den Einbruch ins Konferenzzimmer seit Wochen plant. Moritz wird vorläufig mit Ernst Röbel versetzt. Nach dem ersten Quartal soll entschieden werden, welcher der beiden Jungen bleiben darf.

Von nun an will Moritz lernen und sich auf die Schule konzentrieren. Er sagt, dass er sich erschossen hätte, wäre er nicht versetzt worden. Seine Freunde reagieren mit Spott, abgesehen von Melchior. Melchior sagt, dass Moritz die anderen reden lassen soll. Gemeinsam gehen die beiden Freunde zum Försterhaus. Die vorübergehenden Lehrer Hungergurt und Knochenbruch äußern sich verständnislos zu der Freundschaft zwischen ihrem besten und ihrem schlechtesten Schüler.

Die letzte Szene des ersten Aktes fokussiert Wendla und Melchior, die sich an einem sonnigen Nachmittag im Wald begegnen. Melchior geht seinen Gedanken nach und Wendla sammelt Waldmeister. Sie lassen sich zusammen unter einer Eiche nieder und beginnen ein Gespräch. Melchior fragt Wendla nach der Unterstützung, die sie und ihre Mutter armen Familien leisten. Wendla bedeutet diese Hilfe sehr viel. Sie wird von ihrer Mutter zu den Familien geschickt, doch geht sie sehr gerne dorthin.

Melchior fällt es schwer, diese praktizierte Nächstenliebe zu verstehen. In seinen Augen gibt es keine selbstlose Nächstenliebe, sondern nur Egoismus. Er möchte an den Pastor schreiben und ihn mit diesen Ansichten konfrontieren. Weiterhin hält er es für unfair, dass Wendla der Kirchenlehre zufolge für ihre Nächstenliebe in den Himmel kommt, denn sie könne ja nichts dafür, dass ihr die Hilfe Freude bereitet. Sollte ihm der Pastor nicht vernünftig antworten, möchte er sich nicht konfirmieren lassen.

Wendla kann nicht verstehen, warum er seinen Eltern auf diese Weise Kummer bereitet. Sie erzählt von der Gewalt, die Martha durch ihre Eltern erfährt, und dass sie ihr gerne helfen würde. Sie meint, sie könne dies, indem sie selbst an ihre Stelle tritt. Wendla wurde noch nie geschlagen und bittet Melchior, sie mit einer Gerte zu schlagen. Dieser verneint, gibt jedoch nach, als Wendla ihn wiederholt bittet. Wendla möchte, dass er stärker schlägt. Schließlich wirft Melchior die Gerte beiseite und prügelt sie mit Fäusten. Wendla schreit, doch Melchior schlägt unter Tränen weiter auf sie ein, bis er sich schließlich betroffen abwendet und tiefer in den Wald flieht.

Analyse

Im Kontrast dazu fokussiert die dritte Szene die gleichaltrigen Mädchen. Zunächst liegt der Fokus auf den häuslichen Gewalterfahrungen Marthas. Thea und Wendla reagieren schockiert. Wendlas Äußerungen lassen auf einen mutigen Charakter schließen, denn sie würde sich in einer ähnlichen Situation zur Wehr setzen oder fliehen: »Ich an deiner Stelle wäre ihnen längst in die Welt hinausgelaufen« (1,3).

Das Gespräch der Mädchen entwickelt sich ebenfalls zu den Themen Liebe und Familiengründung. Alle möchten lieber Jungen zur Welt bringen. Es lässt sich interpretieren, dass sie diesen Wunsch teilen, da sie am eigenen Leib die Nachteile erfahren, ein Mädchen zu sein. Deutlich wird, dass sie in Hinblick auf sexuelle Themen unwissender sind als die Jungen zuvor.

Außerdem wird das Thema Geschlechterrollen hier präsent: Die Beschäftigung mit diesen ist ein wesentlicher Bestandteil der Pubertät. Die Mädchen geben in ihrem Gespräch alle an, Jungen zu bevorzugen, Wendla nennt sogar den Grund, die Liebe eines Jungen sei mehr wert als die Liebe eines Mädchens. Hierdurch werden patriarchale Strukturen und Stereotypen angesprochen, die das weibliche Geschlecht dem männlichen unterordnen.

Melchior unterbricht das Gespräch und die gespaltene Meinung über Moritz wird deutlich. Ebenfalls greift Wendla Melchiors Atheismus auf: »Melchi Gabor sagte mir damals, er glaube an nichts – nicht an Gott, nicht an ein Jenseits – an gar nichts mehr in dieser Welt« (1,3). Diese Äußerung enthält, ebenso wie Wendlas in der ersten Szene, suizidale Tendenzen.

In der vierten Szene wird durch Moritz Stiefel das erste Mal ein Suizid konkret angekündigt: »Wenn ich nicht promovirt worden wäre, hätte ich mich erschossen« (1,4). Die Aussage deutet auf Moritz' Instabilität hin, ebenso wie auf den Druck, den die Schule und vermutlich auch sein Elternhaus auf ihn ausüben. Die tiefe Bedeutung dieser Ankündigung wird von seinen pubertären Mitschülern nicht erfasst und mit Spott abgetan: »Prahlhans« (1,4). Melchior steht als Einziger für seinen Freund ein und beweist so Loyalität und Empathie: »Lass sie schwatzen, Moritz!« (1,4).

In der fünften Szene wird erneut das Motiv des Atheismus' aufgegriffen. Melchior und Wendla treffen zufällig aufeinander und er fragt sie nach der Hilfe, die sie armen Menschen leistet. Hinter einem ausgeprägten Hilfsbedürfnis vermutete Melchior nur Egoismus: »Es gibt keine Aufopferung! Es gibt keine Selbstlosigkeit!« (1,5). Es lässt sich interpretieren, dass Melchior viel nachdenkt. Er hinterfragt die Strukturen der Welt und hat einen reflektierten Geist. Nur so konnte er zu seiner atheistischen Einstellung gelangen.

Die praktizierte Gewalt, mit der die Szene endet, wird zwar von Wendla in einen Deckmantel der Empathie gehüllt, da sie Marthas Leid nachempfinden möchte, ist aber letztlich ein Akt des Masochismus. Dies bedeutet, dass sie Lust durch eigenen Schmerz empfindet. Dass Melchior immer stärker auf Wendla einschlägt, deutet darüber hinaus auf sadistische Züge hin. In diesem Fall wird das Zufügen von Schmerzen als erregend empfunden. Die Szene stellt demnach den Masochismus Wendlas und den Sadismus Melchiors als sich ergänzend gegenüber, wodurch die damaligen Rollenklischees des starken, aktiven Mannes und der unterwürfigen, passiven Frau bedient werden.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.