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Frühlings Erwachen

2. Akt, Szene 1-2

Zusammenfassung

In der ersten Szene des zweiten Aktes ist Moritz bei Melchior zu Besuch. Moritz leidet stark unter dem schulischen Leistungsdruck. Sein Leid schlägt sich auch körperlich nieder.

Moritz erzählt Melchior die Geschichte der »Königin ohne Kopf«. Sie wurde wunderschön, aber ohne Kopf geboren. Sie konnte nur durch ihre Hand kommunizieren. Schließlich heiratete sie einen König mit zwei Köpfen und erhielt den kleineren Kopf. Die beiden wurden sehr glücklich.

Frau Gabor bringt ihrem Sohn und seinem Freund Tee. Sie bemerkt, dass Moritz nicht gut aussieht. Dieser versucht, sie zu besänftigen. Frau Gabor rät ihm, sich zu schonen.

Melchior erzählt seiner Mutter, dass sie gerade »Faust« lesen, was diese in dem Alter für ungeeignet hält. Moritz vermutet, dass Frau Gabor das Werk aufgrund der Gretchentragödie und der damit verbundenen Thematisierung von Sexualität als unangemessen einstuft. Vor diesem Hintergrund kommt er auf den aufklärerischen Aufsatz zu sprechen, den Melchior für ihn verfasst hat. Der Inhalt beschäftigt ihn sehr, insbesondere das Leid der Mädchen im Falle von ungewollten Schwangerschaften.

Die zweite Szene spielt im Wohnzimmer der Bergmanns. Frau Bergmann berichtet, dass das dritte Kind von Wendlas Schwester Ida in der letzten Nacht von einem Storch gebracht wurde. Wendla fragt ihre Mutter über die Geschichte des Klapperstorchs aus, doch Frau Bergmann reagiert ausweichend.

Wendla bettelt ihre Mutter an, ihr das Geheimnis hinter Schwangerschaft und Geburt zu verraten. Sie bietet ihr an, sich im mütterlichen Schoß zu verstecken, damit Frau Bergmann ihr während der Aufklärung nicht in die Augen sehen muss. Das Einzige, wozu sich die Mutter durchringen kann, ist zu erklären, dass man den eigenen Mann aus ganzem Herzen lieben muss, um schwanger zu werden.

Analyse

In Moritz' Schilderungen wird der erhebliche Leidensdruck deutlich, dem er aufgrund der schulischen Anforderungen unterliegt: »Wenn es nun so weiter geht! Ich will arbeiten und arbeiten bis mir die Augen zum Kopf herausplatzen!« (2,1). Es geht ihm so schlecht, dass sich die äußeren Erwartungen in psychosomatischen Symptomen niederschlagen: »Ich zitt're nämlich. Ich fühle mich so eigentümlich vergeistert« (2,1).

Darüber hinaus enthält diese Szene Vorausdeutungen über den weiteren Verlauf des Stückes. Moritz erzählt die Geschichte der Königin ohne Kopf, die als Hinweis auf sein eigenes Schicksal gedeutet werden kann, da er sich im späteren Verlauf des Stückes durch einen Schuss in den Kopf selbst tötet. Weiterhin beschäftigt sich auch diese Episode mit Geschlechteridentitäten und bedient bekannte Rollenklischees: Die Kopflosigkeit kann als Fehlen des Verstandes gelesen werden. Die Frau ist auf den Mann angewiesen, der ihr mit seinem Kopf »aushilft«. So ergänzen sich die Geschlechter in diesem Märchen.

Die erwähnte Gretchentragödie wiederum spielt auf Wendlas Schicksal an. Gretchen wird in Goethes »Faust«, ebenso wie Wendla, unehelich schwanger und geht an den Folgen dieser Schwangerschaft zu Grunde.

In der zweiten Szene des zweiten Aktes steht erneut das Motiv der Scham im Fokus. Es lässt sich davon ausgehen, dass Frau Bergmann stark von ihrer eigenen Erziehung geprägt ist. Der bürgerlichen Moral folgend ist die sexuelle Aufklärung für sie mit einem starken Schamgefühl verknüpft. Darüber hinaus hat sie Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung. »Aber es geht ja nicht, Kind! - Ich kann es ja nicht verantworten. - Ich verdiene ja, dass man mich ins Gefängnis setzt – dass man dich von mir nimmt...« (2,2).

Die Geschichte rund um den Storch, der Neugeborene bringt, dient als Hilfsmittel, um eine Aufklärung von Kindern zu umgehen. In dem historischen Kontext des wilhelminischen Zeitalters betrachtet, wird so Kritik an der damaligen »Spießbürgermoral« geübt. Um moralisch richtig zu handeln, mussten die Menschen Teile ihrer selbst unterdrücken und mit starken Schamgefühlen und den Folgen fehlender Aufklärung leben.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.