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Anapher

Was ist eine Anapher? (Definition)

Die Anapher ist eins der gebräuchlichsten rhetorischen Stilmittel. Sie basiert auf Wortwiederholungen: Ein Wort oder mehrere Wörter werden zu Beginn von aufeinanderfolgenden Sätzen oder Satzteilen wiederholt. Die Stilfigur wird eingesetzt, um ganze Texte oder einzelne Passagen zu strukturieren und zu rhythmisieren. Das Wiederholte wird als besonders bedeutsam für den Text angesehen. Ihre eindringliche Wiederholung entfaltet eine verstärkende Wirkung.

Beispiel

Ja, da kann man sich doch nur hinlegen,
Ja, da muss man kalt und herzlos sein.
Ja, da könnte so viel geschehen.
Ach, da gibt’s überhaupt nur: nein.
Bertolt Brecht: »Die Dreigroschenoper« (1928)

Der Begriff Anapher leitet sich vom griechischen anaphora ab und lässt sich mit »Zurückführen« oder »Rückbeziehung« übersetzen.

Wirkung der Anapher im Text
  • Strukturierung
  • Rhythmisierung
  • Verstärkung

Die Anapher in der Rhetorik

In der Rhetorik zählt die Anapher zu den ältesten, einfachsten und beliebtesten Stilfiguren. Schon im antiken Griechenland wurde sie eingesetzt, um Texte oder Reden zu gliedern und ihnen einen angenehmen Sprachrhythmus zu verleihen.

Anaphern in Reden haben die Funktion, das Publikum zu fesseln. Eine politische Rede oder ein Vortrag, der mit einer eindringlichen Wortwiederholung beginnt, stimmt das Publikum ein. Die Anapher an anderen Stellen erzwingt wirkungsvoll die Aufmerksamkeit der Anwesenden.

Beispiele
  • »Es gibt nur vier Wege, Geld auszugeben: Gib dein Geld für dich selbst aus. Gib dein Geld für andere Leute aus. Gib anderer Leute Geld für dich aus. Gib anderer Leute Geld für andere aus.«
    Nobelpreisträger Milton Friedman
  • »Wehe, die Parkuhr ist abgelaufen, wehe, die Steuererklärung wird zu spät abgegeben; wehe, man sortiert den Müll falsch; wehe, man baut auf Sylt eine Sandburg, das ist verboten – Stolpergefahr. Das ist kein Witz: Das ist Deutschland.«
    Rede von Christian Lindner, deutscher Politiker (FDP)

Die Anapher in der Literatur

Beispiele für Anaphern lassen sich in literarischen Werken aller Epochen und Genres finden. Auffallend reich daran sind religiöse Schriften, insbesondere das »Buch der Bücher«, die Bibel.

Beispiel

»Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.«
Friedrich Schiller, »Die Verschwörung des Fiesco zu Genua« (1783)

Dieses berühmte Zitat aus Friedrich Schillers Drama enthält eine Anapher. Durch den Einsatz dieses Stilmittels wird das Gesagte zum einen eindringlich verstärkt. Zum anderen wird die Stellung des »Mohrs« als Untergebenem in jener Zeit hervorgehoben. Darüber hinaus verleiht die Wiederholung der Textstelle eine besondere Dynamik und einen eingängigen Rhythmus. Auch dank der wirkungsvollen Anapher wurde der Ausspruch zum geflügelten Wort.

Beispiele aus dem »Zauberlehrling«
  • »Walle! walle« (V. 9, V. 23)
  • »Stehe! stehe!« (V. 37)
  • »Welche Miene! welche Blicke!« (V. 56)
  • »Will dich fassen, will dich halten« (V. 67f.)
  • »Wehe! wehe!« (V. 79)
  • »Besen! Besen!« (V. 94)

Johann Wolfgang von Goethe, »Der Zauberlehrling«

Bei der Gedichtanalyse von Goethes Ballade fallen die Anaphern sofort ins Auge. Sie haben einen beschwörenden Charakter, unterstreichen die Dringlichkeit der Ausrufe oder verstärken die Verzweiflung, als die Dinge außer Kontrolle geraten.

Beispiel

»Pfui über allen Tod! Durch Schwert, durch Feuer, durch Gift, durch Strick, durch Beil. Pfui allem Tod!«
Franz Grillparzer, »Ein treuer Diener seines Herrn« (1828)

Und auch in Grillparzers Stück erkennt man die intensivierende Wirkung der Anapher. Bei dieser Passage – gesprochen von Herzog Otto zur Königin – wird allein durch die mehrfache Benutzung der unscheinbaren Präposition »durch« ein eingängiger Sprachrhythmus erzeugt. So hält der Leser bei jedem »durch« inne: Das darauf folgende Substantiv wird verstärkt und bewusster wahrgenommen. Die unterschiedlichen Todesarten bekommen eine besondere Eindringlichkeit.

Beispiel

»Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.«
Bergpredigt, Evangelium nach Matthäus

Dies sind die sogenannten Seligpreisungen. Sie bilden den Auftakt der Bergpredigt von Jesus. Auch dieses Beispiel setzt auf die bekannten Effekte der Stilfigur.

Anaphern in der Werbung

Die Anapher ist ein einfaches Mittel, mit dem sich große Wirkung erzielen lässt. Deshalb fand es früh Eingang in die moderne Werbung. Die Schokoladen-Marke Sarotti erfand eine der populärsten deutschen Werbefiguren. Seit den 1950er Jahren wirbt sie mit dem Slogan: »Vielen Dank, singt man im Chor, vielen Dank, Sarotti-Mohr.«

Beispiele aus der Werbung
  • »Carglass repariert, Carglass tauscht aus.« – Carglass
  • »Für die einen ist es Duplo, für die anderen die wahrscheinlich längste Praline der Welt.« – Ferrero, Duplo
  • »So klein, so fein, so Giotto.« – Ferrero, Giotto
  • »JET KRAFTSTOFF ist nicht gerade aufregend: Immer gleiche Qualität, immer penibel kontrolliert und immer gleich gut zum Motor.« – JET
  • »Keine Staus. Keine Termine. Keine Hektik. Kein Stress. Keine Kompromisse. Kein anderes Bier.« – Jever-Brauerei
  • »Verliebt in das Leben. Verliebt in Asti Cinzano.« – Cinzano Asti Spumante
  • »Für mich, für Dich, für alle…« – HUK Coburg

Abgrenzung der Anapher zu anderen Stilfiguren

Trotz – oder gerade wegen – ihrer Beliebtheit wird die Anapher oft verwechselt.
Vor allem die Epipher wird oft für eine Anapher gehalten, tatsächlich ist sie ihr spiegelbildliches Gegenstück: Bei ihr steht die Wiederholung am Ende.

Beispiel

»Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit
Friedrich Nietzsche: »Das trunkene Lied«

Die rhetorische Figur Symploke (griech. = Verflechtung) – auch Complexio genannt – ist eine Kombination von Anapher und Epipher. Sie beschreibt die Wiederkehr eines Wortes zu Beginn und am Ende mehrerer Wortgruppen, Verse oder Sätze. Oft handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Fragen, die mit demselben Fragepronomen beginnen, und die stets dieselbe Antwort erhalten.

Beispiel

»Heißest du Kunz?« »Nein.« »Heißest du Heinz?« »Nein.« »Heißt du etwa Rumpelstilzchen?«
Märchen der Gebrüder Grimm, »Rumpelstilzchen«

Auch der synonyme Parallelismus ähnelt der Anapher auf den ersten Blick. Hier ist zur Unterscheidung eine genaue Analyse erforderlich.

Der Anapher nahe verwandt sind zudem Kyklos und Anadiplose.

Seite veröffentlicht am 08.04.2015. Letzte Aktualisierung am 11.05.2021.