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Zynismus

Was ist Zynismus?

Der Zynismus ist keine rhetorische Figur im eigentlichen Sinne. Darum lässt er sich nicht auf der Ebene der Grammatik oder durch den Nachweis bestimmter sprachlicher Gestaltungsmittel definieren.

Vielmehr spricht man von Zynismus, wenn der Redner bzw. Autor eine dafür charakteristische Weltanschauung oder Redehaltung vertritt. Dazu gehören

  • eine pessimistische, lebensverneinende Grundeinstellung,
  • die Missachtung von Konventionen und der Tabubruch,
  • der Angriff und die gezielte Verletzung des Adressaten.

Ursprung in der Kynischen Philosophie

Der Begriff Zynismus geht ursprünglich auf die antike Philosophenschule der Kyniker (griech. »kyon« = Hund) zurück, die sich auf Antisthenes (ca. 445 – 365 v. Chr.) gründet. Die Kyniker waren davon überzeugt, dass Glück nicht durch materielle Güter zu erringen sei. Sie lehrten absolute Bedürfnislosigkeit und Entsagung als Weg zur Freiheit.

Eine solche Lehre geht zwangsläufig mit der Abkehr von den Normen einer zivilisierten Gesellschaft einher; das war im antiken Griechenland kaum anders als heute. Mit der Bissigkeit eines Hundes (s. o.) verteidigten die Kyniker darum ihre Weltanschauung gegenüber Staatsvertretern und Kritikern.

Diogenes

Berühmt ist die Geschichte des kynischen Philosophen Diogenes (ca. 405 – 320 v. Chr.), der in einer Tonne lebte. Auf die Frage Alexanders des Großen, womit er ihm dienen könne, antwortete der radikale Asket:

»Geh mir nur aus der Sonne.«

Wandel der Wortbedeutung

Den Kynikern ging es im ersten Schritt um Selbstdisziplinierung. Sie lebten vollkommen anspruchslos und stellten sich damit gegen die herrschende gesellschaftliche Norm materieller Bedürfnisbefriedigung. Im zweiten Schritt musste dieser Lebensstil gegenüber Kritikern verteidigt werden. Dieser Zusammenhang erklärt, wie sich die Bedeutung des Wortes »Zynismus« im Laufe der Jahrhunderte wandelte.

Seit dem 18. Jahrhundert wurde im deutschen Sprachraum zunehmend der nach außen gerichtete Aspekt des Zynismus betont. Die Verteidigung der eigenen Weltanschauung stand jetzt im Zentrum der Definition. Oft galt dabei das Motto »Angriff ist die beste Verteidigung«. Die ursprünglichen Voraussetzungen, einfaches Leben und Überwindung materieller Bedürfnisse, gerieten demgegenüber in den Hintergrund.

Zynismus als Rolle versus echter Zynismus

Zum Zynismus in seiner heutigen Bedeutung gehört immer eine zersetzende, bösartige und menschenverachtende Grundeinstellung des Sprechers bzw. Autors. Darum findet man im anerkannten Literaturkanon kaum Beispiele für Zynismen.

Schriftsteller wie der Amerikaner Ambrose Bierce (1842 – 1914), die im allgemeinen Sprachgebrauch gern als Zyniker bezeichnet werden, erweisen sich bei genauerem Hinsehen meist als Moralisten. Sie nehmen lediglich die Rolle des Zynikers ein, um auf gesellschaftliche und moralische Missstände hinzuweisen.

Ambrose Bierce

Beispiel aus dem »Wörterbuch des Teufels« von Ambrose Bierce:

»Amnestie: Großmut des Staates gegenüber solchen Rechtsbrechern, deren Bestrafung ihm zu teuer wäre.«

Ein Beispiel für echten Zynismus in der Literatur ist Curzio Malapartes Roman »Die Haut« (1949). Er spielt 1943 nach der Befreiung von den Deutschen in Neapel und stellt die Befreiten als restlos verkommen dar. Eltern prostituieren ihre eigenen Kinder, um sich Geld für den Schwarzmarkt zu verschaffen. Aus solchen Erfahrungen zieht Malaparte den zynischen Schluss, dass der Krieg dem Frieden vorzuziehen sei. Kritiker werfen dem Roman unterschwelligen Faschismus vor. Sein Zynismus wird durch eine Art Lust am Makaberen und Obszönen gesteigert, mit der die furchtbarsten Szenen geradezu »ausgekostet« werden.

Zynische Figuren in der Literatur

Viel häufiger als ein solch zynischer Grundton kommen in der Literatur jedoch einzelne Figuren vor, die eine zynische Lebenshaltung repräsentieren. Oft wird ihr Zynismus entlarvt und führt zu ihrem gesellschaftlichen und menschlichen Scheitern.

So gibt es in den moralischen Romanen des 18. Jahrhunderts meist einen zynischen Bösewicht und Verführer, der als Antagonist der tugendhaften Hauptfigur auftritt. Ein berühmtes Beispiel ist der Vicomte de Valmont aus Choderlos de Laclos‘ Briefroman »Gefährliche Liebschaften«.

Abgrenzung zu Ironie und Sarkasmus

Vor allem im umgangssprachlichen Gebrauch werden Zynismus, Sarkasmus und Ironie häufig gleichgesetzt. Obwohl sie miteinander verwandt sind, lassen sie sich jedoch klar voneinander abgrenzen.

Die Ironie ist im Gegensatz zum Zynismus eine echte Redefigur. Man erkennt sie daran, dass das Gesagte das Gegenteil des eigentlich Gemeinten ist.

Beispiel 1 / Ironie

Bei der Rückgabe der Deutschklausuren sagt der Lehrer zu einem faulen Schüler mit miserabler Note:

»Man sieht, wie gut du dich wieder einmal vorbereitet hast.«

Diese Aussage ist zugleich sarkastisch.

Sarkasmus ist immer spöttisch und herabsetzend. Er kann, muss aber nicht zwingend als Ironie in Erscheinung treten.

Beispiel 2 / Sarkasmus

Der Deutschlehrer sagt mit Blick auf die schlechte Klausur:

»Deine Leistungen werden dir noch zu einer Ehrenrunde verhelfen.«

Beim Zynismus werden Hohn und Spott noch gesteigert. Er zielt nicht nur auf die Kränkung des Adressaten ab, sondern ist zugleich von der hoffnungslosen und pessimistischen Grundhaltung des Sprechers bzw. Autors geprägt.

Beispiel 3 / Zynismus

Die Deutschklausuren in der Klasse sind sehr schlecht ausgefallen. Der Lehrer kommentiert dies (zynisch) mit einem »Rundumschlag« auf die gesamte Schülergeneration:

»Das ist ja kein Wunder, wenn alle ständig nur vor dem Fernseher hängen oder am Computer rumballern. Aus euch wird nie was Vernünftiges werden. Armes Deutschland!«

Seite veröffentlicht am 06.10.2015. Letzte Aktualisierung am 03.09.2020.