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Corpus Delicti

Abschnitt 7

Zusammenfassung

Mia will eine weitere Proklamation verfassen, was von Kramer abgelehnt wird. Als sie Gewalt anwenden will, zeigt dieser keine Gegenwehr, worauf Mia in sich zusammensackt. Kramer kommt zurück zur Tagesordnung und verlangt den Austausch von Mias Geständnis gegen Privilegien in Form eines verringerten Strafmaßes. Für Kramer ist die METHODE in Gefahr. Das Allgemeinwohl wiegt für ihn deutlich mehr als persönliche Wünsche. Mia denkt allerdings nicht daran und lehnt mit der Begründung, sie wolle weder sich noch Moritz verraten, ab. Darauf droht Kramer ihr mit Foltermethoden, was Mia in ihrer Annahme bestätigt, dass die METHODE genauso wie jedes andere System ist.

Mia wird mit Elektroschocks gequält. Als sie danach wieder in ihrer Zelle ist, wird sie noch immer von Krämpfen heimgesucht. Gleichzeitig sorgt das flackernde Licht für psychsiche Folter und Schlafentzug. Ihre Worte sind wirr und von Erinnerungen an Moritz geprägt.

Sie wacht auf, als Kramer sie pflegt. Sie schickt ihn von sich weg und befiehlt ihm, sich hinzuknien. Kramer befolgt ihre Anweisungen und gesteht, wie Mia ihn aus seinem Konzept geworfen und zum Nachdenken gebracht habe. Er stellt die Frage, wer von ihnen beiden Fanatiker oder Märtyrer sei. Ihren Anweisungen folgend, findet Kramer den Nagel. Mia will ihn zuerst gegen Kramer richten, doch besinnt sich dann eines Besseren. Kramer zeigt keine Angst. Mia hingegen gesteht, dass sie Angst habe. Sie rammt sich den Nagel selbst in den Arm, als Symbol für Kramers Werk. Sie bezeichnet ihn als Fanatiker, der sich für seinen Fanatismus schäme. Doch letzten endes ist es Mia egal. Alles scheint ihr gleichgültig geworden zu sein. Mit Hilfe des Nagels hat sie sich den Mikrochip aus dem Arm geschnitten, welchen sie Kramer übergibt, als gäbe sie sich selbst.

Im folgenden Kapitel »Siehe oben« findet Mias Prozess statt. Im Gerichtssaal herrscht Aufregung. Mia wird in einem Käfig festgehalten. Für sie erscheint alles um sie herum wie Theater. Es folgt eine lange Auflistung ihrer Straftaten, auf die in der Zuschauermenge teilweise mit Aufruhr und Gegenstimmen reagiert wird. Nachdem für Ruhe gesorgt wurde, erhebt sich Rosentreter und sieht von einer Verteidigung der Angeklagten ab und beruft sich auf die METHODE. Mia sehnt sich nach Kramer, der darauf als Zeuge auftritt. Er bezeichnet Mia als Überzeugungstäterin und damit schuldig. Außerdem behauptet er, niemand würde sie so gut kennen wie er. Mias Reaktionen wechseln ständig von einem Extrem ins andere. Sie scheint keine Kontrolle mehr darüber zu haben.

Anschließend werden Mias Nachbarinnen in den Zeugenstand gerufen. Anhand der Aussagen von Driss werden sowohl ihre Unkenntnis über das Ausmaß der Situation als auch ihre Bewunderung für Mia deutlich. Darauf erheben Methodenanhänger die Stimme. Im Saal wird es zunehmend unruhig. Hutschneider will die Verhandlung unterbrechen, doch Kramer bittet darum, sie möge unter allen Umständen zu Ende geführt werden. Mia ergreift ihre Chance und hält eine provozierende Rede, in der sie zum Handeln auffordert. Trotz allem nimmt sie sich als Siegerin wahr. Hutschneider verliert die Geduld und verliest das Urteil. Mia verlangt, dass Kramer bei der Vollstreckung anwesend sein soll, welchem er zustimmt.

Mia wird zum Einfrieren vorbereitet. Kramer ist bei ihr, verhält sich nahezu fürsorglich und gewährt ihren letzten Wunsch nach einer Zigarette. Mia fühlt sich gut. Der Vorgang wird bereits eingeleitet, als Bell herein eilt und die Anwesenden unterbricht. Mia wurde begnadigt und das Urteil aufgehoben. Kramer muss darüber lächeln. Mias Verurteilung hätte sie zur Märtyrerin erhoben und damit die METHODE geschwächt. Stattdessen wird sie freigesprochen und muss sich den damit einhergehenden Maßnahmen der METHODE unterziehen. Mia ist entsetzt. Kramer verabschiedet sich endgültig von ihr.

Analyse

Während sie Rosentreter gegenüber ruhig geblieben ist, zeigt Mia Wut und Aggression, als sie Kramer bezüglich der infizierten Nahrungstuben zur Rede stellt. Sie nimmt keine Rücksicht mehr: »Mir ist alles egal [...] und das macht mich gefährlich!« (229). Das Ausbleiben Kramers Gegenwehr lässt ihre Gewaltbereitschaft jedoch verklingen. Das Wort »Okay« (230) ist so untypisch für Kramer, dass sich darin erkennen lässt, dass er durchaus aus der Fassung gebracht wurde. Er kehrt zur Sachlichkeit zurück.

Mia ahnt das für sie vorgesehene Urteil des Einfrierens. Der Vergleich mit einer Jagdtrophäe beschreibt, dass sie somit vollständig in den Besitz der METHODE übergeht. Die METHODE hat die Todesstrafe durch das Einfrieren ersetzt. Was nach außen glimpflicher wirken soll, beinhaltet eine vollkommene Machtübernahme des menschlichen Körpers und Lebens. Als Mia bei der Erwähnung von Moritz’ Namen erneut in Rage gerät, reagiert Kramer mit einer Geste, als würde er eine Hexe vertreiben und stellt so erneut den mittelalterlichen Bezug her.

Die Schwäche der METHODE zeigt sich in Kramers Beschreibung, dass die Bevölkerung kein funktionierendes Immunsystem mehr habe. Ein Aufstand könne eine Epidemie auslösen. Damit appelliert er an Mia, sie möge zum Schutz der Menschen und des allgemeinen Wohls kooperieren. Doch diese lehnt entschieden ab. Damit bleibt sie sich selbst und ihrem Bruder treu. Ihre Stärke sieht sie darin, sich nicht dafür rechtfertigen zu müssen: »Ich brauche keine Argumente« (234). Kramer klärt sie über die zu erwartende Folter auf. Das angeblich so fortschrittliche System der METHODE bedient sich noch immer mittelalterlichen Praktiken und ist somit genauso wie jedes vorherige System. Mit ihrer Aussage: »Mittelalter ist der Name der menschlichen Natur« (235) bezeugt Mia, dass die Menschen, in welchem System auch immer, trotzdem Menschen bleiben. Daran ändert auch kein technologischer Fortschritt etwas.

Nach der Folter wird Mia noch immer von Krämpfen geplagt. Sie versucht, ihren Körper von ihren Gedanken zu trennen, als sei sie bereit, ihn für die METHODE zu opfern. Ihre Gedanken richten sich an Moritz, den sie in der Du-Form anspricht. Sie erinnert sich an seine Philosophien über die Existenz von Dingen. Ihr Kopf ist voller Gedanken, die sie aussprechen muss, um sie loszuwerden. Dies zeigt sich in dem Bild: »Ein undurchdringlicher Urwald aus Argumentationen. Reden ist Roden« (240). Darauf folgt eine Aufzählung von Allegorien im Konjunktiv 1. Diese zeigen, wie Mia zunehmend den Verstand verliert, doch in Gedanken bei ihrem Bruder ist.

Kramer pflegt Mia. Der Bezug zum Christentum und Mittelalter wird mit Begriffen wie »Auferstehung« und »Hexenprozesse« aufrechterhalten. In ihrem folgenden Dialog teilt Kramer ausführlich seine Gedanken zu Fanatismus und Märtyrertum. Im Kontrast dazu stehen Mias kurze und deutliche Aufforderungen, denen Kramer Folge leistet. Den Nagel, den sie erst für Kramer vorgesehen hat, richtet sie schließlich gegen sich selbst. Dabei hat sie eindeutige Antworten auf die vorherigen rhetorischen Fragen Kramers. Mia begegnet ihm mit Abscheu, was ebenfalls im Kontrast zu Kramers Fürsorge und Folgeleistung ihrer Anweisungen steht. Sie fällt über ihn das Urteil, dass er ein Fanatiker sei. Dabei nutzt sie »Mama« als Metapher für die METHODE, von der er nicht nur Ansehen erlangen, sondern sich sogar über sie erheben will.

Mit der Übergabe des Mikrochips aus ihrem Arm findet eine Übergabe von Mia selbst statt. Der Chip trägt jegliche Informationen über sie, die nun endgültig der METHODE gehören. Die Mia, die bleibt, »gehört niemandem mehr« (248), nicht einmal sich selbst. Sie hat alles und sogar sich selbst aufgegeben, um ihre Überzeugungen zu teilen. Kramer bezeichnet sie daher als Märtyrerin. Dass er seiner Verachtung selbst nicht traut (vgl. 249), zeigt, dass Mias Handlungen ihn nicht unbeeindruckt lassen.

In ihrem Prozess wird Mia wie ein infiziertes Tier behandelt. Sie ist in einen Käfig gesperrt und wird in automatisierten Intervallen desinfiziert, die deutlich kürzer und häufiger sind, als in ihrem ersten Verfahren, ganz so, als ob die Gefahr, die von ihr ausgeht, zugenommen hat. Bei der Verhandlung handelt es sich um einen Schauprozess. Mias Fall soll für Abschreckung sorgen und erinnert somit an öffentliche Prozesse und Hinrichtungen vergangener Jahrhunderte. Zahlreiche Menschen, Anhänger und Gegner der METHODE, befinden sich im Zuschauerraum. »Wenn Mia recht versteht, verlangt man ihren Kopf, wobei sie nicht begreift, was die Leute mit dieser leeren Büchse noch anfangen wollen« (251) unterstreicht die mittelalterliche Szenerie, aber auch, dass Mia nichts mehr zu geben hat. Ihr Kopf ist leer. Ihr Verhalten gleicht dem einer Wahnsinnigen. Die Geschworenen werden unter der Metapher der schwarzen Puppen zusammengefasst. Für Mia erscheint alles wie ein Theaterspiel, das sie hinter den Gitterstäben verfolgt.

Das Kapitel beginnt mit Rosentreters wiederkehrender Bitte um Verzeihung an Mia. Als er aufgerufen wird und auf die Verteidigung verzichtet, erklärt sich warum. Mit der Phrase: »Es lebe die METHODE. Santé« (253) verschreibt er sich dieser endgültig. Als Kramer als Zeuge aufgerufen wird, kürzt er den Schwur ab und fällt Bell ins Wort. Somit entsteht der Eindruck, als ob er seine Aussage gar nicht schnell genug ablegen könne. Seine Worte, niemand kenne Mia so gut wie er, sowie die Einschätzung ihrer starken Persönlichkeit (vgl. 254f.), zeigen, dass aufgrund der vergangenen Zeit eine Beziehung zwischen ihm und der Angeklagten entstanden ist. Trotzdem verurteilt er Mia als schuldig. Die Formulierungen: »Wir respektieren sie als freien Menschen. Die Strafe ehrt den Verbrecher!« (255) stehen im Kontrast zum geplanten Urteil des Einfrierens, welches Mia jeglicher Freiheit beraubt. Die Ehrung durch die Strafe spielt auf das Märtyrertum an.

Driss’ Auftritt sorgt für reichlich Unruhe im Gerichtssaal. Ihre Worte über Gott, Märtyrertum und Terrorismus sind ein kläglicher Versuch für Mia einzustehen, der vor allem auf Unwissenheit beruht und für sie zum Fallstrick wird. Im Publikum bricht Tumult aus. Driss und weitere Methodengegner werden abgeführt. Äußerungen gegen die METHODE werden unterbunden, was deren diktatorische Züge verdeutlicht. Mia nimmt dies als Anlass, sich Gehör zu verschaffen. Ihre Ausführungen sind gespickt mit Aufforderungen zu Leid und Grausamkeit. Ihre Sprache passt sich somit den rückschrittlichen Methoden von Folter und Schauprozessen an. Dahinter verbirgt sich die Aufforderung zum konsequenten Handeln. Eine zustimmende Reaktion bleibt aus. Die Verhandlung wird zum Ende gebracht und das Urteil verlesen. Die Ellipse »Siehe oben« (259) beschreibt, dass die METHODE denselben Prinzipien folgt wie jedes andere System vor ihr.

Bei der Vollstreckung des Urteils empfindet Mia vor allem Ruhe. Sie hat ihr Ziel erreicht und ist bereit für ihren Scheintod. Ihre Worte: »Also gehe ich ins Exil« (262) beweisen, dass sie sich und Moritz bis zum Schluss treu geblieben ist. Daher sorgt die anschließende Begnadigung bei Mia für Entsetzen. Kramer reagiert mit Gelächter. Jegliche Nähe zu Mia scheint verschwunden, was sich in seiner Rede über sie in der dritten Person zeigt, obwohl sie anwesend ist. Er erfüllt voll und ganz das Bild der METHODE.

Der Scheintod hätte Mia zur Märtyrerin gemacht und die METHODE geschwächt. Mias Glauben, sie könne diesen Zustand erreichen, trifft auf Kramers Spott. Es folgt eine Aufzählung von Maßnahmen, welchen sich Mia unterziehen muss und die sie vollständig in der Kontrolle der METHODE festhalten. Der letzte Satz: »Denn erst jetzt ist sie - erst jetzt ist das Spiel - erst jetzt ist wirklich alles zu Ende« (264) beschreibt das Ende in einer Katastrophe. Mia ist gescheitert. Der Roman wird zur Dystopie.

Veröffentlicht am 7. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 7. April 2023.