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Corpus Delicti

Zitate und Textstellen

  • Kausalität ist keineswegs identisch mit Schuld.
    – Heinrich Kramer, S. 32

    Mit diesen Worten rechtfertigt sich Heinrich Kramer vor Mia, als diese ihm die Schuld am Tod ihres Bruders gibt. Demzufolge gesteht er, dass er ein Glied in der Kette war, das zu Moritz’ Entscheidung für den Selbstmord geführt hat. Da er dies jedoch eindeutig von Schuld differenziert, erkennt er sich somit nicht als schuldig an.

  • Ihr opfert mich auf dem Altar eurer Verblendung.
    – Moritz Holl, S. 34

    Dieses Zitat von Moritz reift zur Parole des Widerstandes heran. Denn auch in Mias Prozess wird sie von Gegnern der METHODE verwendet. Moritz steht bis zum Ende zu seiner Unschuld. Da die METHODE über den Menschen als einzelnes Individuum hinwegsieht, sieht sich Moritz als Opfer dieser Betrachtungsweise. Mit der Verblendung ist die Flucht in den Kontrollstaat gemeint, der sich nach außen dem Schutz und Wohlergehen der Bevölkerung verschreibt, in Wahrheit jedoch die Augen vor den Bedürfnissen der Bürger*innen verschließt.

    Moritz erregt mit seinen Worten Aufsehen. Man könnte meinen, dass er dadurch nicht nur an den Staat, sondern auch dessen Bewohner appelliert, die Augen zu öffnen und sich nicht länger dem totalitären System zu fügen. Die Metapher hinter dem Opferritual auf dem Altar lehnt sich an die makabren und Menschen verachteten Praktiken an, die sich die METHODE zum Beispiel durch Folter zu nutze macht.

  • Gesunder Menschenverstand [...] ist, wenn einer recht haben will und nicht begründen kann, warum!
    – Die »ideale Geliebte«, S. 37

    Die »ideale Geliebte« lehnt die Meinung Heinrich Kramers grundlegend ab und macht es sich zur Aufgabe, Mia auf ihre Seite zu ziehen. Als Kramer die METHODE und damit verbundene Maßnahmen mit dem gesunden Menschenverstand begründet, geht sie zum Gegenangriff über. Der gesunde Menschenverstand ist in ihren Augen eine leere Phrase, auf die von Kramer zurückgegriffen wird, um seine Thesen zu untermauern, ohne jedoch sinnführende Argumente zu verwenden. Das konsequente Hinterfragen dieser Thesen und das Untersuchen von Argumenten sind Werte, auf die die »ideale Geliebte« aufmerksam machen will.

  • Das Menschliche ist ein nachtschwarzer Raum, in dem wir herumkriechen, blind und taub wie Neugeborene. Man kann nicht mehr tun, als dafür zu sorgen, dass wir uns beim Kriechen nicht gegenseitig die Köpfe stoßen.
    – Heinrich Kramer, S. 40

    Mit diesem Zitat verurteilt Kramer die Menschen als primitive und hoffnungslose Spezies, die maximal vor größtem Übel bewahrt werden kann. Mit der Metapher des nachtschwarzen Raumes malt er ein dunkles Szenario, dem die Menschen ausgeliefert sind. Der Vergleich mit Neugeborenen unterstreicht deren Hilflosigkeit. Da auch die METHODE von Menschen errichtet wurde, muss er eingestehen, dass sie Fehler aufweisen kann. Der Versuch, das gegenseitige Köpfestoßen zu verhindern, mündet in diesem Fall in der totalen Kontrolle.

  • Sie haben gelernt zu lächeln, wenn sie eigentlich nur schreien, etwas zerschlagen oder einfach nur weinen wollen.
    – Erzähler, S. 45

    Dieses Zitat beschreibt die Verbindung zwischen den Geschwistern, wenn Mia Moritz im Gefängnis besucht. Hinter einem Lächeln verbergen sie die Emotionen, die sie eigentlich fühlen. Anstatt diese direkt zu benennen, werden die Gefühle durch die Verhaltensweisen ausgedrückt, die ihnen auf Handlungsebene zugeordnet werden können.

  • Das Leben [...] ist ein Angebot, das man auch ablehnen kann.
    – Moritz Holl, S. 46

    Die von Moritz verwendete Metapher zielt auf die Entscheidungsgewalt ab, die einem Menschen in seinen Augen immer gegeben ist. Man kann sich für oder gegen das eigene Leben entscheiden. Seine Erkrankung und Heilung haben ihn die Bedeutung des Lebens schon früh erfahren und wertschätzen lassen. Um den Fängen der METHODE zu entrinnen, entscheidet er sich, das Angebot Leben abzulehnen.

  • Ich bin ein Wort, das man so lange wiederholt hat, bis es keinen Sinn mehr ergibt.
    – Mia Holl, S. 48

    Mia hat ihre Orientierung verloren. Die Trauer um ihren Bruder entfernt sie von der Systemloyalität, hinter der sie sich sonst verstecken und Halt finden konnte. Sie fühlt sich leer und kann nicht ausmachen, zu wem sie gehört oder woran sie glaubt. Ihr Sein verliert dadurch seine Ausrichtung und seinen Sinn. Auch die wiederholte Suche nach einer Antwort führt nicht zu einem Ergebnis. Daher vergleicht sie sich mit einem Wort, das, je mehr sie versucht es zu ergründen, immer mehr an Aussagekraft verliert.

  • Der Mensch muss sein Dasein erfahren. Im Schmerz. Im Rausch. Im Scheitern. Im Höhenflug. Im Gefühl der vollständigen Machtfülle über die eigene Existenz. Über das eigene Leben und den eigenen Tod. Das, meine arme, vertrocknete Mia Holl, ist Liebe.
    – Moritz Holl, S.92

    Mit einer Akkumulation aus Ellipsen, die durch den anaphorischen Beginn an Intensität gewinnen, versucht Moritz seiner Schwester deutlich zu machen, welche Facetten das Leben bereithält. Diese münden in Gefühlen und machen das menschliche Dasein aus. Für Moritz hat die Fähigkeit zu empfinden einen hohen Stellenwert, die von Mia allerdings verachtet wird. Ihr Mangel an Emotionalität und ihr Hang zur Vernunft beschreibt er mit den Attributen »arm« und »vertrocknet«.

  • Wer keine Seite wählt, [...] ist ein Außenseiter. Und Außenseiter leben gefährlich.
    – Die »ideale Geliebte«, S. 144

    Mit dem Chiasmus im ersten Satz, bei dem die Anordnung der Satzglieder gespiegelt wird, gibt die »ideale Geliebte« ein klares Statement ab. Sie stellt Mia als Außenseiterin dar, da sie sich nicht für eine Seite entscheiden kann. Mit dem Nachtrag im zweiten Satz macht sie Mia auf die damit verbundenen Konsequenzen aufmerksam. Die »ideale Geliebte« warnt Mia und will sie dazu überreden, einen Entschluss zu fassen.

  • Brennt das Land nieder. [...] Reist das Gebäude ein. Holt die Guillotine aus dem Keller, tötet Hunderttausende! Plünder, vergewaltigt! Hungert und friert! Und wenn ihr dazu nicht bereit seid, gebt Ruhe. Ihr könnt euch feige nennen oder vernünftig. [...] Für unpolitisch oder individuell. Für Verräter an der Menschheit oder treue Beschützer des Menschlichen. Es macht keinen Unterschied. Tötet oder schweigt. Alles andere ist Theater.
    – Mia Holl, S. 258

    Mit diesem Zitat sorgt Mia an ihrem letzten Verhandlungstag für Aufregung. Die Ausrufesätze, teilweise als Ellipsen, sprechen von Gewalt, Tod und Leid. Ihr Appell ist daher provozierend und sorgt für Schrecken. Ihre Motivation besteht jedoch darin, zum konsequenten Handeln aufzurufen und die Menschen wachzurütteln.

Veröffentlicht am 7. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 7. April 2023.