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Draußen vor der Tür

Aufbau des Werkes

»Draußen vor der Tür« ist ein Stationendrama, bei dem der Einzelne, in diesem Falle Beckmann, im Zentrum des Geschehens steht, während Szenen ohne eindeutige Entwicklung aneinander gereiht werden. Dabei müssen die Stationen nicht kausal aufeinander aufbauen oder in räumlicher oder zeitlicher Beziehung stehen. Alle Stationen sind gleichwertig und könnten theoretisch in der Reihenfolge variiert werden. Ein bekanntes Beispiel ist »Woyzeck« von Georg Büchner.

In »Draußen vor der Tür« bauen die Szenen dennoch kausal aufeinander auf. Das Ende einer Szene führt zu Beckmanns nächster Station. Diese Stationen orientieren sich an Orten. Diese sind der Hafen, die Elbe, der Strand von Blankenese und die Wohnungen des Mädchens, des Obersts und des Kabarettdirektors sowie Beckmanns Elternhaus. Alle befinden sich in Hamburg. Dazwischen spielt die Handlung immer wieder auf der Straße, welche den Haupthandlungsort ausmacht und zu der Beckmann wiederholt zurückkehrt.

Die gesamte Handlung spielt an einem Abend und der darauffolgenden Nacht bis zum nächsten Morgen. Vorherige Ereignisse werden von Beckmann rückblickend erzählt.

Obwohl das Drama in einer Katastrophe endet, kann man hinsichtlich des klassischen Dramendreiecks nicht von einer Tragödie sprechen. Die verallgemeinerte Inhaltsangabe über das Schicksal des Heimkehrers zum Dramenanfang wird am Ende verändert aufgegriffen, wodurch ein Rahmen geschaffen wird.

Die Einleitung bedient sich epischer Mittel und kann deshalb nicht als klassische Exposition  definiert werden. Die Exposition bildet die Einleitung in ein Drama und umfasst meistens den ersten Akt, in dem Charaktere, Vorgeschichte und Konflikt vorgestellt werden. In »Draußen vor der Tür« entfällt eine derartige Struktur jedoch. Anstatt szenischer Dialoge, die auf einer Theaterbühne rezitiert werden, hat Borcherts Einleitung einen erzählenden Charakter.

Trotzdem werden Zuschauer*innen und Leser*innen in die Handlung eingeführt, indem der Heimat suchende Protagonist Beckmann vorgestellt wird. Die Vorbemerkung stellt den Kern der Handlung heraus. Mit Vorspiel und Traum wird das Geschehen aufgebaut. Dabei schildern beide Szenen dasselbe Ereignis aus unterschiedlichen Blickwinkeln und bilden dabei einen Gegensatz. Während im Vorspiel die düstere Stimmung durch den allgegenwärtigen Tod thematisiert wird, bejaht die Elbe im Traum das Leben. Solche Gegensätze ziehen sich durch das Drama und werden besonders in der 1. Szene durch die Gegenüberstellung von Beckmann und dem Anderen als Nein- und Jasager herausgestellt. (Poppe [2003], 31)

Die folgenden Szenen, die nun numerisch bezeichnet sind, stellen die verschiedenen Stationen dar, mit denen Beckmann deutlich in den Mittelpunkt der Handlung rückt. Eine Entwicklung und ein damit einhergehender Spannungsbogen bleiben allerdings aus. Die Anfangssituation entspricht dem Ende. Der Konflikt, als Heimkehrer die eigene Heimat nicht wiederzufinden, wird nicht aufgelöst. Statt einer Umkehr erfolgt nur die wiederkehrende Bestätigung.

Allerdings lässt sich ein Verlauf erkennen: Beckmann sucht verschiedene Menschen auf, orientiert sich an Ehe und Arbeit, bis er am persönlichsten Teil, seinem Elternhaus, ankommt. Da seine Eltern verstorben sind, bleibt ihm nur die Abkehr ins Innere, wo sich die Stationen wiederholen, bis er zurück an den Anfang gelangt.

Auch die Entwicklung der übrigen Figuren bleibt aufgrund des Stationencharakters aus. Ihre Handlungsstränge werden nicht fortgeführt, sondern nur in der letzten Szene nochmals aufgegriffen.

Die szenische Abfolge erinnert an Goethes »Faust«, was aufgrund von Borcherts intensivem Kontakt mit Goethes Werken nahe liegt. Auch in »Faust« findet die Einführung anhand drei einleitender Elemente statt, bei denen der Protagonist nicht vordergründig anwesend ist. (Bernhardt, 49f.)

»Draußen vor der Tür« enthält weiterhin Merkmale eines Volksstücks, die jedoch umgekehrt werden: An die Stelle der heiteren Komik tritt Groteskes und Grausames: Das volkstümliche Xylophon besteht aus Knochen und wird von einem Blut schwitzenden General gespielt. Die Gasmaskenbrille, für die Beckmann von anderen belächelt wird, ist eigentlich ein Symbol des Verlusts von Alltag und persönlichem Besitz aufgrund des Krieges. Der Protagonist wird zum Anti-Helden. (ebd. 45)

Allerdings ließe sich diskutieren, ob es sich bei dem Werk um eine Tragödie oder Tragikomödie handelt. Anlass dazu geben die grotesk bis komisch-ironischen Merkmale im Drama, zum Beispiel die Gasmaskenbrille, Gott als weinerlicher alter Mann oder der Tod als rülpsender Bestattungsunternehmer. Eventuell waren diese ironischen Wirkungen von Borchert nicht beabsichtigt, sondern entsprachen vielmehr seinem humorvollen Naturell. (Poppe [2003], 34) Die Entscheidung über Tragödie und Tragikomödie bedarf der Deutungsweise des Werks. Im Abschnitt Rezeption und Kritik wird auf die von Karl S. Guthke vertretene Meinung nochmals eingegangen.

Das Drama enthält reale und metaphysische, also übernatürliche und surreale Elemente. Metaphysik ist ein Teilbereich der Philosophie, der sich mit dem Ursprung des Seins beschäftigt. Zu den realen Figuren zählen Beckmann, das Mädchen, der Oberst, der Direktor und Frau Kramer. Die surrealen Figuren bilden der Andere, die Elbe, Gott und der Tod. Durch die Gestaltwerdung in Form eines alten Mannes beziehungsweise Bestattungsunternehmers und Straßenfegers werden die surrealen Figuren greifbarer. Es besteht auch die Deutungsmöglichkeit, alle Szenen einem übergeordneten Traum und somit einem fantasierenden Protagonisten zuzuschreiben.

Mit der Konzentration auf die Stadt als Spielort sowie den leidenden Menschen in einer unmenschlichen Welt erhält das Stück expressionistische Züge und wird unter anderem als »ein einziger Aufschrei« bezeichnet. (ebd., 33f.)

Veröffentlicht am 28. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. September 2023.