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Draußen vor der Tür

Figuren

Figurenkonstellation

Draußen vor der Tür – Figurenkonstellation
  • Beckmann

    Beckmann ist ein 25-jähriger Mann, der nach drei Jahren Wehrdienst im Zweiten Weltkrieg aus Russland in seine Heimatstadt Hamburg zurückkehrt. Er trägt dabei noch immer seinen alten Soldatenmantel und das Haar kurz geschoren. Er ist auf seine Gasmaskenbrille angewiesen, auf die er wegen ihres grotesken Aussehens regelmäßig angesprochen wird und die zu seinem Markenzeichen wird. Seine eigentliche Brille wurde zerschossen. Dasselbe gilt für seine Kniescheibe.

    Beckmann spiegelt das Bild des klassischen Heimkehrers wider, der die vertraute Heimat nicht mehr vorfinden kann. Seine Eltern sind inzwischen verstorben und neben seiner Frau findet er einen anderen Mann liegen. Sein Sohn wurde unter den Trümmern verschüttet. Beckmann fühlt sich verloren. Er legt seinen Vornamen ab und distanziert sich von seiner Individualität.

    Beckmann kann das Leben nicht mehr ertragen und will sich umbringen. Er blickt den Konsequenzen des Krieges entgegen und muss sich der Verantwortung stellen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine einzelne Schuldzuweisung, sondern vielmehr eine Verstrickung in das allgemeine Schicksal. Beckmann ist Opfer einer Gesellschaft, in der die Täter sich nicht verändern und weiterleben, indem sie die Schuld von sich weisen. Ein solches Leben kann Beckmann nicht führen. Gleichzeitig wird er selbst zum Täter, indem er den Platz eines anderen einnimmt.

    Beckmann stellt immer wieder seine Perspektivlosigkeit heraus. Er ist in einem nationalsozialistischen System aufgewachsen, das in einem traumatisierenden Krieg endete. Jetzt steht er vor dem Nichts. Die Ignoranz seiner Gesprächspartner kontert er mit Sarkasmus. Ihm selbst ist jedoch keineswegs zum Lachen zumute. Hunger, Kälte und Albträume rauben ihm Energie.

    Beckmann muss erkennen, dass es keine Rettung, keine Erlösung gibt. Auf Gott kann er nicht mehr vertrauen. Der Andere will ihn zu einem Leben ermutigen, das ihn in die Gruppe der Täter einreihen würde. Zum Schluss bleibt Beckmann mit einem fragenden Aufschrei allein zurück, auf den es keine Antwort gibt. Eine wirkliche Entwicklung bleibt aus, vielmehr muss er dieses Ausbleiben erkennen.

  • Der Andere

    Der Andere ist Beckmanns Alter Ego, seine Gegenstimme, die nur durch ihn und mit ihm existieren kann. Es handelt sich dabei nicht um ein menschliches Wesen, sondern eine Vision, einen Anteil Beckmanns, den er anfangs außerhalb seiner selbst wahrnimmt und der zum Schluss wieder ein Teil von ihm wird. Der Andere beschreibt sich als derjenige mit tausend Gesichtern, der immer da ist. Es entsteht ein Schwarz-Weiß-Charakter zwischen Beckmann und dem Anderen, ähnlich wie Yin und Yang.

    Der Andere ist vom Guten und dem Leben überzeugt. Er will Beckmann kontinuierlich zu diesem überreden und zeichnet sich durch einen unbeugsamen Optimismus aus. Mehrfach gelingt es ihm, Beckmann von der Elbe zu entfernen und ihn einen Versuch unternehmen zu lassen, dem Leben eine Chance zu geben.

    Seine Empfehlung, nicht auf die Zahl der Toten zu hören, lässt ihn jedoch mit der Herangehensweise der Täter sympathisieren. Als Beckmann zum Schluss durch den Einbeinigen als Täter identifiziert wird, verschwindet der Andere. Er ist wieder zu einem Teil von Beckmann geworden, der beides ist, Opfer und Täter, in einer Gesellschaft, die ihn dazu gemacht hat.

  • Beckmanns Frau

    Beckmanns Frau hat weder einen Namen noch eine Sprecherrolle. Der Leser erfährt nur durch Beckmann, dass diese ihn bei seiner Rückkehr ausschließlich mit ›Beckmann‹ angesprochen hat. Darin liegt eine gewisse Kälte, eine Trockenheit, die Beckmann das Vertraute infrage stellen lässt. Allerdings hat sie ihren einjährigen Sohn verloren und ihr Ehemann war an der Front, ein Schicksal, das sie abgehärtet haben mag.

    Beckmanns Frau steht für eine Vielzahl an Frauen, die ihre Männer für verschollen, verstorben und vermisst gehalten haben. In dem Versuch, weiterzuleben, sind sie neue Beziehungen eingegangen. Als Beckmann nach Hause kommt, liegt ein anderer Mann in seinem Bett. Seine Frau hat demnach nicht mit seiner Rückkehr gerechnet. Für Beckmann fühlt sich dies wie ein Todesstoß an. Obwohl er an die Güte seiner Frau immer geglaubt hat, beschuldigt er sie, ihn umgebracht zu haben.

  • Freund von Frau Beckmann

    Der Freund und neue Partner von Frau Beckmann wird kaum beschrieben. Es wird nur erwähnt, dass er ein Grinsen auf dem Gesicht gehabt habe, als Beckmann nach Hause kam. Das gibt ihm eine egoistische und unempathische Färbung. Schließlich hat er Beckmanns Platz eingenommen, der nun vor dem Nichts steht.

  • Das Mädchen

    Das Mädchen ist liebevoll, gutmütig und hilfsbereit. Als sie Beckmann am Strand von Blankenese erblickt, will sie ihm helfen und fühlt sich von seinem trostlosen Äußeren angesprochen. Sie nennt ihn unablässig ›Fisch‹, selbst als er sie bittet, damit aufzuhören. Das zeigt, wie sehr sie an der Vorstellung, Beckmann zu einem Vertrauten zu machen, festhält.

    Ähnlich wie Beckmanns Frau wartet sie vergebens auf die Rückkehr ihres Ehemannes und sehnt sich nach Gesellschaft, Nähe und Zuneigung. Das Mädchen symbolisiert Sehnsucht und eine durch den Krieg unerfüllte Liebe. (Poppe [2003], 96)

    Das Mädchen taucht in Beckmanns Traum in der 5. Szene nochmals auf. Dabei wird sie zur Hoffnungsträgerin, für die Beckmann bereit wäre, weiterzuleben. Doch mit der Ankündigung des Einbeinigen verschwindet sie und damit die Hoffnung, das Licht und das Gute.

  • Der Mann des Mädchens, der Einbeinige

    Der Einbeinige ist ein Kriegsheimkehrer wie Beckmann. Genauer genommen handelt es sich dabei um den Obergefreiten Bauer, dem Beckmann befahl, seine Position bis zuletzt zu halten. Wie eine Drohung nennt er Beckmann immer wieder beim Namen, was durch das charakteristische Geräusch seiner Krücken untermauert wird. Seine Stimme ist monoton und doch vorwurfsvoll. Wie Beckmann kommt er nach Hause und muss feststellen, dass ein anderer Mann in seinen Kleidern bei seiner Frau sitzt.

    In der 5. Szene taucht der Einbeinige abermals auf und beschuldigt Beckmann an seinem Tod. Er hat sich selbst umgebracht und spiegelt somit ein Ende wider, das Beckmann beinah ereilt hätte. Der Einbeinige hat in seinem Zuhause keinen Platz mehr gefunden. Er begegnet Beckmann nicht anklagend. Es ist eine Konsequenz des Krieges, ein Schicksal unter vielen. Er bittet Beckmann jedoch, ihn nicht zu vergessen, sodass sein Tod nicht vollkommen unbedeutend gewesen ist und er wenigstens seinem Mörder in Erinnerung bleibt.

  • Oberst

    Der Oberst zählt zu den Schuldigen, die sich dieser Schuld jedoch nicht annehmen. Stattdessen lebt er ein Leben abseits des Hungers und Mangels. Seine Familie sitzt in der warmen Stube am reich gedeckten Tisch zusammen. Der Oberst hat tausende Menschenleben auf dem Gewissen und leugnet dennoch seine Verantwortung dafür. Darum macht er sich auch über Beckmann lustig und hält dessen Vortrag für einen einstudierten Scherz. Nur so gelingt es ihm, die Wahrheit zu verdrängen.

    Der Oberst ist in keiner Weise bereit, von seinem Standpunkt und seinen Privilegien abzurücken. Obwohl der Krieg vorbei ist, gelten für ihn noch die alten Regeln und Sitten.

  • Frau des Obersts

    Die Frau des Obersts unterstützt die Ansichten ihres Gatten. Beckmanns Auftritt ängstigt sie und beschert ihr eine Gänsehaut. Sie verschließt sich vor den Leiden der Menschen. Es mangelt ihr an Weitblick und Eingeständnis des Ausnahmezustandes, in dem sich der Großteil der Bevölkerung befindet. Stattdessen hält sie an ihrem privilegierten Leben fest. Somit kann sie auch nicht nachvollziehen, was Beckmann mit dem alten Brot vorhaben könnte, das er aus ihrem Haus stiehlt. Die Möglichkeit, dass er es essen will, scheint ihr fremd.

  • Tochter (des Obersts)

    Die Tochter des Obersts teilt die Ansichten ihrer Eltern. Beckmann ist ein unerwünschter Eindringling, der ihr mit seinem Starren auf ihren Teller Unbehagen bereitet. Sie hält Beckmann für verrückt, aber ungefährlich aufgrund der Strapazen des Krieges.

  • Schwiegersohn (des Obersts)

    Der Schwiegersohn des Obersts reiht sich in das Verhalten seiner Frau und Schwiegereltern ein. Über Beckmanns Auftreten ist er empört. Er hält ihn für betrunken und arrogant. Dem Schwiegersohn mangelt es gleich seiner Familie an Empathie und Mitgefühl. Stattdessen fühlt er sich in seinem persönlichen Raum bedroht.

  • Kabarettdirektor

    Der Kabarettdirektor hat mit dem Krieg und der Vergangenheit abgehakt. Kommt das Thema im Gespräch auf, reagiert er mit oberflächlichen Floskeln. In dieser Hinsicht vertritt er den Teil der Gesellschaft, welcher die Schuld von sich weist und ignoriert.

    In seinem Beruf zeichnet er sich durch unstrukturiertes Halbwissen aus. Zwar sind ihm Namen von berühmten Persönlichkeiten bekannt, für eine zukunftswirksame Vision seines Theaters sind diese jedoch willkürlich und unlogisch zusammengeworfen. Das Ganze überspielt er mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein. Seine Stimmung und Meinung wechseln ständig. Der Direktor passt sich der jeweiligen Situation an, um sie zu seinem Vorteil zu nutzen.

    Beckmann, der bei ihm vorspricht, bezeichnet er als Anfänger. Er ist der Meinung, dass niemand die Wahrheit hören wolle. Dies verdeutlicht, dass der Kabarettdirektor ein Meister darin ist, ebendiese zu verleugnen.

  • Frau Kramer

    Frau Kramer steht für das kleinbürgerliche Mitläufertum, das sich den gesellschaftlichen Ordnungen gefügt und damit deren Erfolg ermöglicht hat, um das eigene Überleben und Wohl zu sichern. Sie versucht sich in Mitleid und Freundlichkeit gegenüber Beckmann, zeichnet sich allerdings durch rohe Taktlosigkeit aus.

    Beckmann erfährt von ihr vom Tod seiner Eltern, von dem Frau Kramer ohne Empathie erzählt. Ihr eigener Vorteil und die Sorge um ihren Besitz schwingen mit. Sie ist nun Mieterin dieser Wohnung und ihr Gas wurde für den Selbstmord seiner Eltern »verschwendet«.

    In Beckmanns Traum in der 5. Szene wird auch sie von Beckmann für seinen Mord zur Verantwortung gezogen. Im Gegensatz zu dem Oberst und dem Kabarettdirektor scheint ihr dies nahe zu gehen. Allerdings weist auch sie die Schuld von sich und verfolgt die Strategie, die vielen Tode aus Selbstschutz nicht an sich heranzulassen. Nichtsdestotrotz gehört sie zur Gruppe der Täter*innen.

    Neben den Beckmanns ist Frau Kramer die einzige Figur mit Namensnennung, was mit Borcherts Anspielung auf Richard Kramer begründet sein könnte. Richard Kramer war ein Nachbar der Borcherts, welcher Wolfgang Borcherts Eltern beschuldigte, sich nicht ausreichend nationalsozialistisch zu verhalten. (Bernhardt, 58f.) (vgl. Analyse 5. Szene, Teil 1)

  • Der alte Mann, Gott

    Bei dem alten weinerlichen Mann handelt es sich um eine Allegorie für Gott. Er ist keine reale Figur, sondern wie der Tod und der Andere eine Vision. Beckmann persönlich erscheint er nur im Traum. Gott beweint seine Kinder und zeichnet sich durch seine Handlungsunfähigkeit und Hilflosigkeit aus; Attribute, die gegensätzlich zu dem allgemein verbreiteten Bild des allmächtigen Gottes stehen.

    Gott behauptet, dass seine Kinder, die Gläubigen, sich von ihm abgewandt hätten, während diese ihm vorwerfen, dass er sie im Stich gelassen habe. Durch den Krieg haben die Menschen den Glauben an Gott verloren. Zu viel Unheil ist passiert.

    Durch den weinerlichen Gott, der dies nicht ändern kann, wird allerdings deutlich, dass der Krieg ein Werk der Menschen ist, das sie selbst zu verantworten haben. Das Klagen Gottes ist nicht jämmerlich, sondern beruht auf Erschütterung. Seine Liebe zu den Menschen zeigt sich in seinem aufrichtigen Mitleid.

  • Beerdigungsunternehmer, Straßenfeger, Tod

    Der Tod wird im Stück allegorisch als Bestattungsunternehmer und Straßenfeger dargestellt. Dabei handelt es sich um eine surreale Figur.

    Der Tod wird zum neuen Gott erklärt. An ihn glauben die Leute im Krieg, denn er ist allgegenwärtig. Er vergisst niemanden und seine Tür steht immer offen.

    Als rülpsender Bestattungsunternehmer nimmt er die Rolle eines profitierenden Geschäftsmannes ein. Das Rülpsen ist ihm unangenehm, sodass er sich mehrfach dafür entschuldigt, doch sein Geschäft liefe einfach zu gut. Ihm ist die Tragik hinter den unzähligen Toten bewusst, doch anstatt diese wie Gott zu beweinen, nimmt er das Schicksal der Menschen hin und passt sich diesem an.

    Somit tritt er später als Straßenkehrer auf, denn die Toten gehören bereits so sehr zum Alltagsbild, dass sie auf der Straße liegen. Der Straßenkehrer trägt an seinen Hosen rote Streifen wie ein General, was auch eine Verbindung zum Xylophonspieler aus Beckmanns Traum herstellt. Beide Figuren entspringen Beckmanns Träumen und unterstreichen seine Annahme, dass die Befehle erteilenden Instanzen die Verantwortung für das massenhafte Sterben der Menschen tragen.

  • Die Elbe

    Die Elbe ist eine fantastische Figur und Personifizierung. Anstatt des lieblichen Mädchens hat sie den Charakter einer bodenständigen und erfahrenen Frau, die Beckmann zurechtweist. 25 Lebensjahre sind in ihren Augen zu jung, um sich selbst umzubringen.

    Ihre Worte sind direkt und forsch, doch beinhalten gleichzeitig ihren Wunsch, dass Beckmann die schönen Seiten des Lebens kennenlernt. Sie tritt dabei in die Rolle der Mutter, die dem naiven Kind erklärt, wie die Welt funktioniert und über dessen Schicksal bestimmt. Gleichzeitig steht sie für Geborgenheit, nach der sich Beckmann in seinen Selbstmordgedanken sehnt.

Veröffentlicht am 28. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. September 2023.