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Draußen vor der Tür

1. Szene

Zusammenfassung

Beckmann kommt in Blankenese an Land. Dort trifft er den Anderen. Dieser bezeichnet sich als Jasager, der immer da sei und den Beckmann nicht los werde. Er habe tausend Gesichter und bilde Beckmanns Gegenstimme. Der Andere bezeichnet Beckmann als Neinsager und will seinen Namen erfahren. Beckmann behauptet, er heiße nur Beckmann. Gestern sei er aus Russland wiedergekommen, was er als Unglück bezeichnet. Den Verlust seines Vornamens begründet er mit der Anrede seiner Frau, die ihn bei ihrem Wiedersehen nur Beckmann genannt habe. Die Aussprache seines Namens klang dabei wie die eines Möbelstücks.

Beckmann liegt im Sand, weil er mit seinem steifen Bein nicht aufstehen kann. Er nennt es ein Andenken aus dem Krieg. Er wollte sich ertränken, weil er das Hinken und den Hunger nicht mehr aushalten konnte. Genauso quält ihn, dass seine Frau einen anderen Mann hat, alles in Trümmern liegt und sein einjähriger Sohn darunter begraben ist. Er erzählt dem Anderen von seinem Traum, wie die Elbe sich mit seinem Leben nicht zufriedengeben wollte und ihn wieder ausgespuckt hat. Noch immer friert er, wie damals in Russland, und hat genug von seinem Leben.

Der Andere verschwindet, als ein Mädchen kommt. Sie hat Stimmen gehört und fragt, wer da am Wasser liege. Beckmann reagiert sarkastisch und nennt sich selbst einen dunklen Haufen zwischen Wasser und Sand. Das Mädchen ist froh, dass er noch lebt. Zu oft musste sie schon Leichen am Wasser sehen. Sie bittet ihn aufzustehen, doch Beckmann kann nicht. In Russland wurde ihm die Kniescheibe zerschossen. Das Mädchen hat Mitleid mit ihm. Da Beckmann nass und eiskalt ist, bezeichnet sie ihn als Fisch. Sie hilft ihm auf und bietet an, dass er mit zu ihr nach Hause komme, hofft aber, dass sie es nicht bereut. Sie sieht Beckmanns Trostlosigkeit. Langsam machen sie sich auf den Weg.

Der Andere bleibt zurück und spricht von den Menschen als sonderbare Zweibeiner. Eben dachten sie noch ans Sterben. Doch beim Anblick einer hübschen und liebevollen Frau werden sie weich und vergessen plötzlich alles.

Analyse

Die 1. Szene knüpft chronologisch an De[n] Traum an. Die Bezeichnung der Szenen erfolgt nun numerisch und ohne Titel.

Beckmann befindet sich am Strand von Blankenese, zwischen Land und Wasser, symbolhaft zwischen Leben und Tod. Dort wird er von dem Anderen gefunden.
Der Andere bildet Beckmanns Gegenstimme, sagt Ja, wenn er Nein sagt. Ihre Bekanntschaft erfolgt in einem nahezu ›stichomythischen‹ Dialog anhand rasch wechselnder Redeanteile. Dabei greifen die Figuren teilweise das letzte Wort des vorherigen Sprechers auf, zum Beispiel: »›bist du der auch?‹ ›Der auch. [...] Ich bin auch der Andere von morgen.‹ ›Morgen. Morgen gibt es nicht.‹« (13)

Die Beharrlichkeit des Anderen zeichnet sich durch seine zeitliche und örtliche Freiheit und Unabhängigkeit aus. Er war, ist und wird immer da sein, an jedem Ort, wo Beckmann ist. Dieser will ihn loswerden. Damit lehnt er den Optimismus, welchen der Andere verkörpert, entschieden ab. Ein Morgen gibt es für Beckmann nicht (vgl. 13) und somit auch keine Hoffnung. Der Andere ist für Beckmann darum ein Wesen ohne Gesicht. Dieser behauptet jedoch, tausend Gesichter zu haben, mit welchen er immer den Gegenpart zu Beckmann einnehmen wird: »Ich habe tausend Gesichter. [...] Der lacht, wenn du weinst. Der antreibt, wenn du müde wirst, der Antreiber, der Heimliche, Unbequeme bin ich. Ich bin der Optimist, der an den Bösen das Gute sieht« (13).

Die Figur des Anderen zeigt Parallelen zu Mephisto aus Goethes »Faust« auf, wie sich an dem Zitat »Ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft« (Vers 1335 f.) zeigt. So wie Mephisto Faust immer wieder zu seinen Gunsten überreden will, versucht der Andere, Beckmann auf die Straße ins Leben zu ziehen. (Bernhardt, 57) Die Motivation des Anderen mag jedoch von Mephistos abweichen. Insgesamt wird Borcherts Drama als Gegenentwurf zu Goethes »Faust« betrachtet. (ebd., 8)

Beckmann stellt sich als Mann ohne Vornamen vor. Dies reduziert seine Identität und Individualität und kreiert eine für den Expressionismus typische Anonymität. Die bloße Nennung des Nachnamens erinnert an militärische Sitten. Beckmanns Begründung liegt allerdings darin, wie seine Frau ihn nannte, als er sie mit einem anderen Mann auffand. Er spricht von ihr in der Vergangenheit, da sie nun einen neuen Mann hat. Beckmann vergleicht den Klang seines Namens mit der Bezeichnung eines Möbelstücks: »Beckmann sagte sie, wie man zu einem Tisch Tisch sagt. Möbelstück Beckmann.« (13) Das unterstreicht die entmenschlichende Wirkung, die Entwicklung vom Subjekt zum Objekt, eine Folge des Krieges. Das Leben eines Einzelnen zählt nicht mehr, wenn täglich Hunderte sterben.

In dieser Szene kommt erstmals Beckmanns Sarkasmus zum Tragen. Ein Beispiel ist die Beschreibung seines steifen Beines: »So als Andenken. Solche Andenken sind gut, weißt du, sonst vergisst man den Krieg so schnell. Und das wollte ich doch nicht. Dazu war das alles doch zu schön.« (13f.) Ob dies ein Charakterzug ist, den Beckmann schon immer ausgezeichnet hat, oder ob es sich um eine Strategie handelt, die Schmerzen und Verluste des Krieges auszuhalten, steht offen zur Interpretation. Das Leben hat er trotzdem aufgegeben. »Und ich denke immer, es geht rückwärts statt vorwärts« (15) beschreibt, das Beckmann anstatt positiver, aufbauender, voran bringender Erfahrungen nur solche macht, die ihn treffen, deprimieren, trauern lassen und zurück werfen. Das Gefühl, verloren zu sein, ist ein weiteres Merkmal der expressionistischen Literatur.

Das Mädchen hilft ihm aufzustehen und somit den entscheidenden Schritt aus der Sphäre zwischen Leben und Tod, ins Leben zu gehen. Für eine Weile holt sie ihn aus seinen Selbstmordgedanken. Da er nass und kalt an Land gespült wurde, nennt sie Beckmann beharrlich »Fisch« (15). Der Fisch ist im Christentum ein Symbol für Jesus Christus. Auch wenn Borchert den christlichen Bezug nicht absichtlich hergestellt haben mag, tritt Beckmann an dieser Stelle symbolhaft an die Stelle der Leidenden. (Bernhardt, 90) Allerdings wendet sich dieser Vergleich, da Beckmann weder Erlösung bringt noch erfährt und sich somit entgegengesetzt zu Christis Leidensweg bewegt.

In einem abschließenden Monolog schildert der Andere die schwankenden Emotionen der Menschen. Trotz seines verständnislosen und abwertenden Tonfalls zeichnet er ein Bild, in dem Menschen sich nach Zuneigung, Geborgenheit und Partnerschaft sehnen. Der Andere konnte Beckmann nicht aus dem Wasser ziehen. Dem Mädchen ist es gelungen. Sein Unverständnis gegenüber den Menschen, die er Zweibeiner nennt, sondert ihn als fantastisches Wesen von dieser Kategorie ab.

Veröffentlicht am 28. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. September 2023.