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Draußen vor der Tür

2. Szene

Zusammenfassung

Das Mädchen nennt Beckmann einen geangelten Fisch und fragt ihn nach seiner ausgefallenen Brille. Beckmann gibt zu, dass seine Brille komisch aussieht. Es handelt sich dabei um eine Gasmaskenbrille. Auf diese ist er allerdings angewiesen, selbst wenn Leute ihn auslachen, weil seine echte Brille zerschossen wurde. Das Mädchen nimmt sie ihm ab. Mit der Brille wirkt er auf sie wie ein Gespenst. Außerdem fühlt sie sich sicherer, wenn Beckmann etwas hilfloser ist. Sie hält es für eine gute Idee, wenn er für eine Weile verschwommen sieht und so vielleicht seine trüben Gedanken vergisst.

Das Mädchen gibt Beckmann Kleidung von ihrem Mann. Doch die ist so groß, dass Beckmann das Gefühl hat, erneut darin zu ertrinken. Auf seine Frage, wo ihr Mann sei, antwortet das Mädchen, dass er seit drei Jahren vermisst wird. Er war in Stalingrad. Das weckt Beckmanns eigene Erinnerung: Manche bleiben liegen, andere kommen zurück und ziehen dann die Sachen eines anderen an. Beckmann überkommt augenblicklich der Drang, die Jacke auszuziehen. Sie brächte ihn um. Das Mädchen bittet ihn, er möge die Jacke anbehalten. Beckmann solle ihr Gesellschaft leisten in einer Welt, die so still geworden ist. Beckmann ist gern bei ihr, aber hat Angst, rückwärts zu gehen. Anstatt über Morgen oder Gestern nachzudenken, will das Mädchen am Heute festhalten. Als sie die Tür abschließen will, protestiert Beckmann. Außerdem will er nicht Fisch genannt werden. Doch das Mädchen nennt ihn weiterhin so.

Beckmann fühlt sich zunehmend unwohl, weil er nichts sehen kann. Panik überkommt ihn. Er bemerkt einen einbeinigen Riesen, der hinter dem Mädchen steht. Darauf bekommt das Mädchen Angst, schreit auf und verlässt das Zimmer. Der Einbeinige fragt Beckmann monoton, was er bei seiner Frau, auf seinem Platz, in seinen Kleidern mache. Die Fragen des Einbeinigen wecken in Beckmann das Gefühl, das er hatte, als er am vorherigen Abend nach Hause kam und ein fremder Mann bei seiner Frau im Bett lag. Als er dies sah, ist er einfach gegangen. Der Einbeinige nennt Beckmann immer wieder bei dessen Namen. Beckmann will seinen Namen nicht mehr hören. Dieses Leben existiert nicht mehr. Er verlässt die Wohnung.

Beckmann will zur Elbe, doch der Andere hält ihn auf und drängt ihn zur Straße und zum Weitergehen. Beckmann stellt das Leben infrage. Er will nicht mehr Beckmann sein. Sein Name klingt für ihn wie Mord. Er erinnert sich, wie er als Unteroffizier Befehle gegeben hat und nun mit einem Resultat leben muss, das er nicht mehr tragen kann. Er steht wieder draußen, hat kein Zuhause mehr und gehört nirgendwo hin.

Der Andere ermutigt ihn, weiterzugehen. Sie wollen jemanden besuchen, dem Beckmann die Verantwortung abgeben könne. Auf diesen Vorschlag hin ist Beckmann wie ausgewechselt. Er möchte unbedingt jenen Mann besuchen, der in einem warmen Haus in jeder Stadt wohne. Ihm will er die Verantwortung und die Toten zurückgeben.

Analyse

In der Wohnung des Mädchens fällt ihr sofort Beckmanns Gasmaskenbrille auf. Diese wird in den folgenden Szenen bei jeder Station thematisiert, die Beckmann durchläuft. Dadurch wird sie zu seinem Markenzeichen, das ihm etwas Gespenstisches, Groteskes und Komisches verleiht. Gleichzeitig symbolisiert sie auch den Verlust des zivilisierten Lebens. Der Krieg ist Schuld daran, dass Beckmann diese Brille trägt und auf sie angewiesen ist, da seine richtige zerschossen wurde.

Die großen Kleider, welche das Mädchen ihm gibt, verstärken die Figur des Grotesken. Beckmann reagiert darauf jedoch ohne Lachen. Dieses scheint ihm vollkommen abhandengekommen und unter den Traumen des Krieges vergraben zu sein. Die Erinnerungen an Stalingrad rufen Panik in ihm hervor. Der Tod im Ertrinken wird mit der übergroßen Jacke nochmals aufgegriffen. Später hat Beckmann das Gefühl, die Jacke erwürge ihn: »Ich komme um in dieser Jacke. Sie erwürgt mich, diese Jacke. Ich bin ja ein Witz in dieser Jacke. Ein grauenhafter, gemeiner Witz, den der Krieg gemacht hat.« (17) Die Jacke als Epipher (Wiederholung des Satzendes) verdeutlicht die Gewissheit, dass dieses Kleidungsstück einmal jemand anderem gehört hat, der nicht nach Hause gekommen ist und dessen Platz Beckmann jetzt einnehmen soll. Dieses Schicksal kann er nicht ertragen. Es ist auffallend deckungsgleich mit den Erlebnissen, die er bei seiner eigenen Frau in seinem Zuhause erlebt hat. Dabei handelt es sich weniger um einen makaberen Zufall, sondern mehr um eine alltägliche, sich zuhauf zugetragene Folge des Krieges.

Das Mädchen hingegen sehnt sich nach Wärme und Gesellschaft, begegnet Beckmann herzlich und liebevoll. Ihr wahrer Schmerz zeigt sich, als sie über den Verlust ihres Mannes spricht. Besonders wird dieser in ihrem Flehen deutlich, dass Beckmann bleiben und mit ihr sprechen möge: »Sag was, Fisch, bitte. Sag irgendwas. Es braucht keinen Sinn zu haben, aber sag was. [...] es ist doch so entsetzlich still in der Welt.« (18) Die Wiederholungen in dieser Phrase zeichnen ihre Dringlichkeit aus sowie ihre Sehnsucht nach Nähe. Sie ist bereit, Beckmann bei sich aufzunehmen, will sogar die Tür abschließen. Außerdem nimmt sie ihm die Brille ab, sodass Beckmann hilfloser ist, was ihr mehr Kontrolle über die Situation mit einem Fremden in ihrer Wohnung verleiht.

Das Mädchen nennt Beckmann weiterhin hartnäckig Fisch. Seine Hilflosigkeit und Trostlosigkeit rühren sie: »Nein, Fisch, du siehst wunderbar traurig aus. Ich könnte heulen, wenn du mich ansiehst mit deinen trostlosen Augen.« (18) Fisch wird zu einem Kosenamen für Beckmann, den dieser jedoch unbedingt loswerden will. Er streitet ab, ein Fisch zu sein, was unter der Betrachtung der christlichen Deutung darauf anspielt, dass Beckmann nicht die Rolle eines auferstehenden und heilbringenden Messias einnimmt. Er ist nur der Leidende, der keine Hoffnung mehr sieht.

Folgt man der religiösen Interpretation, nimmt das Mädchen die Rolle der Maria Magdalena ein, welche Jesus begleitete. Sie erinnert aber auch an Gretchen in Goethes »Faust« in umgekehrter Position. Sie ist es, die Beckmann verführen will und ihn anschließend verlässt. (Bernhardt, 58)

Mit Onomatopoesie wird die Erscheinung des Einbeinigen angekündigt, den nur Beckmann zu sehen scheint. Seine monotone Sprechweise unterstreicht die geisterhafte Erscheinung. Der Einbeinige wirft Beckmann mit dem Klimax »Was tust du hier. Du? In meinem Zeug? Auf meinem Platz? Bei meiner Frau?« (18) vor, seinen Platz eingenommen zu haben. Bei dem Einbeinigen handelt es sich um den Obergefreiten Bauer, dem Beckmann als Unteroffizier befohlen hatte, seine Position bis zum Schluss zu halten. Die Begegnung mit ihm sowie die wiederkehrende Nennung Beckmanns Namen, die einer Beschwörung gleicht, wecken Beckmanns Schuldgefühle. Er leidet unter der Veränderung in seiner Familie. Jetzt hat er dasselbe getan.

Weiterhin wird deutlich, wie sehr die Erinnerungen an Stalingrad ihn mitnehmen. Beckmann kann seinen Namen nicht mehr hören, was auf Hass und Ekel gegenüber sich selbst und dem, was er getan hat, hindeutet: »Sag den Namen nicht! [...] Ich will nicht mehr Beckmann sein!« (19). Er assoziiert seinen Namen mit Tod und Mord, wodurch der Schuldcharakter verstärkt wird.

Beckmann will und kann nicht mehr weiterleben. Erst der Vorschlag des Anderen, die Verantwortung abzugeben, überzeugt ihn. Die Verantwortung wird dabei aus ihrer Abstraktheit herausgelöst und bekommt einen physischen Charakter, als ob Beckmann sie wie ein geliehenes Buch zurückgeben könnte. Gleichzeitig steht sie symbolisch für die Toten, wie sich im folgenden Parallelismus zeigt: »Ich bringe ihm die Verantwortung zurück. Ich gebe ihm die Toten zurück.« (20) Zum Schluss thematisiert er die Pflicht. In zahlreichen Wiederholungen bringt Beckmann seine Wut, Verzweiflung und die Grausamkeit dieser Pflicht zum Ausdruck.

Veröffentlicht am 28. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. September 2023.