Skip to main content

Draußen vor der Tür

Interpretation

Generation der Heimkehrer 

Bereits mit der Vorbemerkung rückt Borchert den Heimkehrer ins Zentrum seines Stücks. »Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist« (8) fasst deren Schicksal treffend zusammen. Es betrifft eine ganze Generation, die auch als Generation der »verlorene[n] Jugend« (Bernhardt, 85) bezeichnet wird, die noch im oder kurz nach dem Ersten Weltkrieg aufwuchs.

Ihr bewusstes Leben fand im Nationalsozialismus statt, der ihnen schon früh das Ideal vermittelte, für das »Vaterland in den Tod zu gehen« (Poppe [1995], 22). Diese Interpretation der Männlichkeit wird vom Oberst nach wie vor praktiziert und Beckmann vorgehalten. (vgl. 21) Für diese Generation gab es kaum ein anderes Leben als das im Nazi-Deutschland und im Krieg, wie Beckmann zum Ausdruck bringt: »Nichts. Krieg: Gehungert. Gefroren. Geschossen: Krieg. Sonst nichts«, worin sich auf der Satzebene ein Kreislauf ergibt, aus dem Beckmann nicht zu entkommen scheint.

Durch den Verzicht auf Beckmanns Vornamen sowie sein Erscheinungsbild mit Gasmaskenbrille, kurz geschorenen Haaren und altem Soldatenmantel wird die Typisierung des Heimkehrers gesteigert. Er kehrt zurück in ein zerstörtes Zuhause, sowohl materiell vor seinen Augen als auch zwischenmenschlich und innerlich.

Existenzangst, Hunger, Notstand, Arbeitslosigkeit, politischer und struktureller Umbruch, Verluste und Perspektivlosigkeit überfallen die Überlebenden. Verständlich, dass sich Beckmann Fragen aufdrängen; Fragen nach der Schuld und Verantwortung für dieses Szenario, Fragen nach dem Sinn, dem Leben, Werten und Moralvorstellungen. Aber niemand gibt ihm eine Antwort. Auf seinen Stationen stellt er die Schuldigen zur Rede, doch muss erkennen, dass diese noch immer an den alten Normen festhalten, ohne die Schuld auf sich zu nehmen.

Beckmann zählt wie Borchert selbst zu einer Generation, die in der Gruppe 47, in der junge Schriftsteller zusammenkamen, angesprochen wurde. Sie waren zu jung, um die Verantwortung für die Entstehung des Naziregimes und des daraus resultierenden Krieges mitzutragen. Allerdings waren sie diesem Schicksal ausgeliefert. Durch diese Verstrickung wird Beckmann letztendlich beides, Opfer und Täter.

Vom Objekt zum Subjekt und die Frage nach der Schuld

Beckmann kehrt als Kriegsheimkehrer nach Hause zurück. Dieser Krieg und dessen ausführende Autoritäten haben ihn zum Objekt reduziert. Deutlich wird dies im Umgangston des Obersts, der im Gespräch auf die Nennung des Subjekts verzichtet und sich einer verkürzten Militärsprache bedient: »Waren doch Soldat, wie?« (21). Wolfgang Borchert, der selbst im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat, beschreibt diese Reduzierung zum Kriegseinsatz in seiner Erzählung »Das ist unser Manifest« mit den Worten: »Daß nun dieselben Studienräte ihre Kinder benäseln, die schon die Väter so brav für den Krieg präparierten.« (115)

In »Draußen vor der Tür« muss Beckmann feststellen, dass die Autoritäten, welche diese Norm durchgesetzt haben, noch immer an ihr festhalten und zudem Kontrolle ausüben. Dem will sich Beckmann entziehen. Nur der Selbstmord scheint ihm dafür ein Ausweg zu sein.

Weiterhin beinhaltet die Entwicklung zum Subjekt die Auseinandersetzung mit der Schuld. Die Bewusstwerdung des eigenen Ichs verlangt auch die Verantwortung für das eigene Handeln. Beckmann ist sich dessen bewusst. Er entzieht sich dieser Verantwortung nicht als Opfer, sondern fordert die Verarbeitung durch die übergeordnete Ebene, in seinem Fall den Oberst, der ihm diesen Auftrag erteilt und somit die letztendliche Verantwortung trägt. (Bernhardt, 86f.) An ihn will er sinnbildlich die elf Toten zurückgeben, die nur eine kleine Ergänzung zu den Tausenden sind, die bereits auf den Schultern des Obersts lasten.

Sein Wunsch bleibt jedoch unerfüllt. Der Oberst entzieht sich dieser Verantwortung. Seine Verbrechen werden als etwas Alltägliches abgetan und kreieren eine unmenschliche Welt. Aufgrund dieser entrückten Wertvorstellungen gibt Borchert dem Drama den Untertitel: »Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will«. Borchert findet in der Gesellschaft keine Lösung für dieses Dilemma und somit bleibt auch Beckmann ohne Antwort.

Religion, Mythos und Surreales

»Draußen vor der Tür« enthält sowohl reale als auch surreale Passagen. Letztere finden sich in Beckmanns Träumen und den fantastischen, übergeordneten Figuren von Gott und Tod. Beckmann hat den Glauben, so wie viele andere, an einen Gott verloren, der die Geschehnisse in Stalingrad oder den Tod seines Sohnes zugelassen hat.

Gott selbst ist erschüttert und handlungsunfähig. Darum kann ihm die Verantwortung nicht zugeschrieben werden. Sie bleibt bei den Menschen. Ein entscheidender Punkt, der bedeutet, dass die Menschen die Schuld nicht an Gott abschieben können, sondern sich mit ihr auseinandersetzen müssen.

Religiöse Bezüge lassen sich auch in der Bezeichnung »Fisch« finden, welche das Mädchen Beckmann gibt. Nach griechischem Ursprung steht das Wort Fisch für Jesus Christus. Eine Verbindung zwischen Beckmann und Christus besteht in ihren Leiden und der Verallgemeinerung dieses Leidens auf die Menschheit. (Bernhardt, 90) Beckmann ist aber nicht als Erlöser oder Messias zu interpretieren. Schließlich lehnt er selbst den Namen Fisch ab. Seine Rettung und die der anderen bleibt aus.

Auch der Elbe kann eine tiefere Bedeutung zugeschrieben werden. Wie eine Urmutter hält sie Beckmann in ihrem Schoß und stößt ihn ins Leben aus, wo er am Strand von dem Mädchen gefunden wird. An diesem Punkt beginnt seine Suche vom Objekt zum Subjekt, seine Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, den Erfahrungen und der damit einhergehenden Verantwortung.

Inwiefern Borchert derartige Deutungen beabsichtigte, ist fraglich. Er stand Mythen skeptisch gegenüber, da sie ihm nicht zweckdienlich erschienen oder er diese aufgrund deren Nutzung für den Faschismus ablehnte. (ebd., 90f.)

A. Leslie Willson treibt die Rolle von Elbe und Traum noch weiter. Er interpretiert das Werk als »Delirium des Ertrinkenden«, in welchem sich alle von Beckmann durchlaufenen Stationen im Traum zu tragen, bevor dieser stirbt. Allerdings würde dadurch sein letzter Aufschrei entkräftet. Denn würde dieser nur im Traum stattfinden, wäre das Ausbleiben der Antworten weniger dramatisch als im realen Leben. (ebd., 92)

Veröffentlicht am 28. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. September 2023.