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Draußen vor der Tür

5. Szene, Teil 2

Zusammenfassung

Der Andere lädt Beckmann beharrlich ins Leben ein. Doch Beckmann kann nicht mehr. Er behauptet, seine Lungen würden bereits rasseln. Das Geräusch sind jedoch die Besenstriche eines Straßenfegers. Dieser trägt rote Streifen an den Hosen, weshalb Beckmann ihn als Generalstraßenfeger bezeichnet.

Der Straßenfeger wird jedoch als Tod entlarvt, der sich an die Sterbenden anpasst. Diese sinken immer weiter und liegen jetzt schon auf der Straße. Beckmann fleht ihn an, dass er ihn mit sich nehmen möge. Der Tod in Gestalt des Straßenfegers versichert, dass er niemanden vergesse und seine Tür immer offen stünde. Dann verschwindet er.

Beckmann will sterben und befindet sich weiterhin in dem Glauben, dass seine Lunge aufgibt. Der Andere versucht ihn aus seinem tödlichen Traum zu wecken und zurück ins Leben zu holen: Alles lebe, auch Beckmann. Seine Lunge sei in Ordnung. Der Andere beruft sich auf die Güte der Menschen. Doch für Beckmann ist dies unglaubhaft. Die Menschen haben ihn vor die Tür gestoßen und sterben lassen. Das entfacht einen Streit zwischen dem Anderen und Beckmann. Während der Andere Beckmann Lügen vorwirft und auf das Mitgefühl der Menschen plädiert, ist dieser der Überzeugung, dass sie an seiner Leiche vorbei gehen.

Der Oberst erscheint und Beckmann ruft ihn zu sich. Zuerst hält er Beckmann für einen Bettler und kann sich nur mit dessen Nachhilfe an ihn erinnern. Dann spricht er abfällig von ihm. Beckmann macht den Oberst aufgrund seines Lachens für seinen Tod verantwortlich. Der Oberst sieht sich als Unschuldigen. Beckmann wäre seiner Meinung nach eh gestorben.

Beckmann fühlt sich in seiner Annahme bestätigt. Der Andere beruft sich auf die guten Menschen und darauf, dass Beckmann nur träume. Für Beckmann sind die Menschen in der Hinsicht verschieden, dass einige wie der Oberst alles haben und andere, zum Beispiel wie ein Unteroffizier, frieren und hungern. Der Andere appelliert an die guten Herzen der Menschen, die sie im Leben nicht zeigen können. Die Menschen seien ahnungslos, doch ihre Herzen gut.

Der Direktor kommt und Beckmann spricht ihn an. Der Direktor erkennt Beckmann an seinen äußerlichen Merkmalen. Beckmann wirft ihm die Schuld für seinen Selbstmord vor, da er ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen habe. Der Direktor streitet dies ab. Beckmann sei zu sentimental und seine Geschichten wolle keiner hören.

Beckmann kann nicht mit diesen Menschen weiterleben. Sie haben ihn ahnungslos in den Krieg und damit in die Hölle geschickt. Jetzt, wo er zurück ist, sind ihre Türen zu. Sie reagieren mit Gleichgültigkeit statt mit Hilfe und Wärme. Der Andere ermahnt ihn erneut, dass er träume und auf die Herzen schauen solle.

Als Frau Kramer vorbeikommt, spricht Beckmann sie auf ihr Herz an und fragt, was es sage, jetzt wo sie ihn auf dem Gewissen habe. Er gibt ihr die Schuld an seinem Selbstmord, begründet in der Art und Weise, wie sie über den Tod von Beckmanns Eltern berichtet hat. Außerdem habe sie ihn draußen stehen lassen. Frau Kramer ist ergriffen, aber kann es nicht an sich heranlassen.

Wieder spricht der Andere von einem tödlichen Traum, aus dem Beckmann erwachen solle. Das Leben biete ihm noch so viele Chancen und er solle sich selbst nicht so wichtig nehmen. Beckmann sieht seine Frau mit ihrem neuen Partner an ihm vorbeigehen. Er glaubt, dass sie ein guter Mensch war und es seine Schuld ist, dass sie nun einen neuen Mann hat, da er so lange in Sibirien war. Er versucht sie anzusprechen und ruft ihr zu, doch sie hört ihn nicht. Beckmann packt die Verzweiflung. Selbst seine Frau hat ihn vergessen, wo sie ihn doch umgebracht habe. Beckmann ruft nach dem Anderen und sehnt sich nach dem versprochenen Licht einer Laterne.

Der Andere kündigt das Mädchen an. Ihr sei Beckmanns Tod nicht egal. Beckmann glaubt ihm nicht, doch das Mädchen hat ihn überall gesucht. Sie sagt, dass sie ihn liebe. Beckmann will für sie weiterleben. Sie wird zu seiner Laterne, seiner Lichtquelle. Sie hören ein Klopfen. Das Mädchen sagt, dass es der Totenwurm sei und sie verschwinden müsse. Beckmann bittet sie, zu bleiben. Ohne das Mädchen wird alles wieder dunkel.

Das Klopfen kommt immer näher. Es ist der Einbeinige mit seinem Stock. Er fragt Beckmann, warum er noch lebe, wo er doch einen Mord begangen habe. Beckmann streitet einen Mord ab. Doch der Einbeinige beharrt darauf, dass Beckmann ihn ermordet habe: Er kam nach drei Jahren Sibirien nach Hause und sein Platz war besetzt. Jemand anderes saß in seinen Kleidern bei seiner Frau. Daraufhin habe er sich in der Elbe ertränkt. Der Einbeinige macht ihm keinen Vorwurf, nur solle er seinen Tod nicht vergessen. Beckmann versichert ihm, dass er ihn nicht vergessen werde. Der Einbeinige ist beruhigt. Nun kann er in Ruhe tot sein, da wenigstens einer an ihn denkt und nachts nicht schlafen kann.

Beckmann erwacht aus seinem Traum. Die Klopfgeräusche verfolgen ihn. Er zählt die vergangenen Erlebnisse auf. Er sieht sich als Opfer einer Gesellschaft, die mordet und ermordet wird. Sein Tod sei so sinnlos wie das Leben. Beckmann fühlt sich allein. Verzweifelt ruft er nach Antworten, doch weder Gott noch der Andere antworten ihm.

Analyse

Mit der Erscheinung von Gott wurde die Wiederholung der Figuren bereits eingeleitet. Auch der Tod tritt erneut auf, dieses Mal als Straßenfeger. Die roten Streifen an seiner Hose stellen außerdem den Bezug zum Xylophonspieler her und verbinden die Traumfiguren. Der Ausdruck: »Sie sinken. Kein Salut. Kein Sterbegeläut. Keine Grabrede« (44) verdeutlicht, dass den Toten keine letzte Ehre mehr erwiesen wird. Ein würdevolles Bestatten und Gedenken bleibt aufgrund der erschütternd großen Todeszahlen aus, eine Tatsache, die die Tragweite und den Schrecken des Krieges verdeutlicht.

Mit Lautmalerei wird das Geräusch des Besens in Worte gefasst, das Beckmann als seine rasselnde Lunge deutet. Die Richtigstellung durch den Anderen macht deutlich, dass Beckmann träumt und die Realität durch das Irrationale ersetzt und verzerrt wird. Beckmanns Wahrnehmung richtet sich auf den Tod, während die des Anderen das Leben fokussiert.

Im Gegensatz zu den Türen, die Beckmann bei seinen Stationen aufgesucht hat, steht die des Todes immer offen. Doch der Tod nimmt Beckmann nicht mit, als sei seine Zeit noch nicht gekommen. Die Tür wird auch von dem Anderen symbolhaft aufgegriffen, indem er ein Leben mit tausend Türen beschreibt (vgl. 43), Möglichkeiten, die auf Beckmann warten. Der Andere zeichnet sich durch seinen unabkömmlichen Optimismus aus, der in Beckmanns Situation zwar notwendig ist, um am Leben zu bleiben und sich nicht vollkommen aufzugeben, jedoch ein unrealistisches Szenario beschreibt. Beckmann ist ein Heimkehrer, der vor dem Nichts steht. Trotzdem ermutigt ihn der Andere, den Glauben in das Leben und die Menschen nicht zu verlieren. Er bezeichnet diese als gut. Beckmann widerspricht dieser Annahme deutlich, was den Gegensatz zwischen den beiden Figuren verstärkt.

Die wiederholte Begegnung mit dem Oberst, dem Kabarettdirektor und Frau Kramer bestätigen Beckmann in seiner Meinung. Er macht jeden von ihnen für seinen Tod verantwortlich, doch alle drei weisen die Schuld von sich. Beckmann stellt sich als Opfer dar. Der Andere fordert ihn auf, mit den Menschen zu leben. Für Beckmann würde das jedoch bedeuten, sich in die Gruppe der Täter einzureihen, die als Schuldige ohne Einsicht weiterleben (Bernhardt, 56f.); eine Möglichkeit, die er ablehnt. Der Andere bezeichnet Beckmanns Traum als einen tödlichen Traum, da Beckmann sich dem Leben widersetzt.

In seiner Frau glaubt er, das Gute zu sehen, doch auch diese geht an ihm vorüber, als ob sie ihn schon vergessen habe. Dabei ist festzuhalten, dass es sich um Beckmanns Traum handelt, er die Situationen also aus seiner Perspektive und durch seinen persönlichen Filter sieht. Sie spiegeln demzufolge seine Sicht auf die Menschen wider. Inwiefern diese der Realität entspricht, darf diskutiert werden. Der Andere hält die Gegenmeinung unumstößlich aufrecht.

Die Begegnung mit dem Mädchen unterscheidet sich von den anderen, indem sie Beckmann wahrnimmt und ihn zu sich nehmen will. Sie wird zu seiner Hoffnungsquelle, seiner Motivation am Leben zu bleiben, wie sich in den Zitaten: »Ich komme mit. Ich will mit dir lebendig sein!« und »Du bist die Lampe, die für mich brennt« (51) zeigt. Was Beckmann braucht, um sich für das Leben zu entscheiden, ist also eine Hand, die sich ihm entgegenstreckt, das Gefühl wahrgenommen zu werden, jemandem wichtig zu sein und (wieder) ein Individuum zu werden.

Beckmann befindet sich auf der persönlichen Suche vom durch Nationalsozialismus und Krieg reduzierten Objekt zurück zum Subjekt. Die Gesellschaft hat sich jedoch auch nach Kriegsende nicht verändert: Beckmann bleibt bei der Suche erfolglos, bis er auf das Mädchen trifft, das mehr in ihm sieht als nur Beckmann und ihm sogar den persönlichen Kosenamen »Fisch« (51) gibt.

Mit dem Auftritt des Einbeinigen, der mit Lautmalerei eingeleitet wird, verschwindet das Mädchen jedoch. Beckmanns Rolle und Perspektive ändern sich. Bisher war er Opfer der Ablehnung der anderen Figuren und hat ihnen die Schuld an seinem Tod gegeben. Am Beispiel des Einbeinigen wird Beckmann selbst zum Täter: »Wir werden jeden Tag ermordet und jeden Tag begehen wir einen Mord. Wir gehen jeden Tag an einem Mord vorbei. Und du hast mich ermordet, Beckmann.« (52) Er ist Beispiel einer Gesellschaft, in der gemordet und ermordet wird, ein Umstand, den der Krieg hervorgebracht hat, der allerdings von den Menschen hervorgerufen wurde. Die Alltäglichkeit des Todes ist eine weitere Konsequenz des Kriegs, die Beckmann nicht ertragen kann. Dabei zieht er die makabre Parallele zwischen Müll und Menschen: »Früher lagen Zigarettenstummel, Apfelsinenschalen und Papier auf der Straße, heute sind es Menschen, das sagt weiter nichts.« (53)

Beckmann erwacht aus seinem Traum. Der Andere ist weg. Er wird nicht mehr benötigt, da Beckmann zurück ins Leben gefunden hat. Als Täter und Opfer sind nun beide Anteile in Beckmann vereint, der Neinsager und der Jasager, Beckmann und der Andere.

In seinem abschließenden Monolog nimmt Beckmann mit der sich wiederholenden Zeile: »Ein Mann kommt nach Deutschland!« (53) Bezug zum Einstieg des Dramas. Beckmann spricht von diesem Mann in der dritten Person, der damit symbolisch für die Generation der Heimkehrer, ihn inbegriffen, steht.

Anstatt ansteigender Handlung, Höhepunkt und abfallender Handlung zeigt das Drama vielmehr einen Einblick in die Erfahrungen dieser Generation. Eine Entwicklung bleibt aus. Die Fragen, die Beckmann am Anfang beschäftigt haben, sind nach wie vor aktuell: »Wohin soll ich denn? Wovon soll ich leben? Mit wem? Für was?« (54). Weder Gott noch der Andere antworten ihm. Niemand antwortet ihm, da niemand in dieser Situation der damaligen Zeit eine Antwort auf diese Fragen hatte. Beckmann bleibt allein mit ihnen zurück.

Veröffentlicht am 28. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. September 2023.