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Draußen vor der Tür

3. Szene

Zusammenfassung

Beckmann besucht einen Oberst und stört ihn beim Abendessen mit der Familie. Er bringt an, dass er vor der Entscheidung stünde, sich umzubringen oder weiterzuleben. Doch dann wünsche er sich, ein bisschen zu essen und nachts schlafen zu können. Der Oberst wirft ihm Unmännlichkeit vor und nennt ihn einen Soldaten, da er eine Uniform trägt. Beckmann behauptet, dass die Uniform ihn noch zu keinem Soldaten mache. Auf die Frage der Tochter des Obersts, was er hier wolle, antwortet Beckmann, dass er sich nur nach Wärme und Behaglichkeit sehne.

Die Frau des Obersts gruselt sich vor Beckmanns Erscheinung mit der Gasmaskenbrille. Der Oberst weist Beckmann darauf hin, dass der Krieg vorbei sei. Beckmann ist sich dessen bewusst, doch in ihm tobe noch immer ein Krieg. Aufgrund seiner kurzgeschorenen Haare vermutet der Oberst, dass Beckmann im Gefängnis gesessen habe. Beckmann berichtet von Stalingrad. Der Schwiegersohn des Obersts beschwert sich über Beckmanns Aufdringlichkeit.

Nach der Ansicht des Obersts verzerrt Beckmann das Geschehene bei seiner Erzählung. Er fordert ihn auf, dass er bei der »deutschen Wahrheit« bleiben solle. Beckmann reagiert sarkastisch, als sei der warme Ofen, das saubere und traute Heim die Wahrheit. Für den Oberst, der all dies hat, mag das vielleicht stimmen. Allerdings nicht für Beckmann. Tochter und Schwiegersohn des Obersts sind empört. Seine Frau fürchtet sich vor Beckmann. Der Oberst kontert mit der Frage, warum Beckmann nicht Offizier geworden sei. Dann hätte auch er all das haben können. Beckmann behauptet, er sei zu leise und zu weich gewesen. Doch jetzt sei er furchtbar müde und sehne sich nur danach, endlich zu schlafen. Beckmann scheint plötzlich weit weg zu sein. Er sagt, dass er jede Nacht träume und dann von seinem eigenen Schrei aufwache. Auf die Nachfrage des Obersts erzählt Beckmann von seinem Traum:

In diesem erscheint ihm ein fetter Mann, der an einem riesigen Xylophon spielt. Dabei muss er ständig hin und her rennen, sodass er ins Schwitzen kommt. Allerdings schwitzt er Blut anstelle von Schweiß, das ihm an den Seiten wie die roten Streifen an einer Generalsuniform herunterläuft. Das Xylophon besteht aus bleichen Menschenknochen, von Zähnen bis zum Schulterblatt, auf dem der General Marschmusik spielt. Diese lässt Soldaten aus ihren Gräbern steigen. Dabei verströmen sie einen Gestank bis zum weißen, kranken Mond.

Die Tochter empört sich über die Behauptung, dass die Farbe des Mondes weiß sei. Der Oberst wird hingegen immer leiser, doch stimmt ihr nüchtern zu. Der Mond sei schließlich gelb.

Beckmann schmückt das schaurige Bild der auferstehenden Toten und aufs Übelste zugerichteten Soldaten weiter aus. Im Traum erhält er von dem Xylophon spielenden General den Befehl, abzuzählen. Beckmann hat nun die Verantwortung, doch die Skelette hören nicht auf ihn. Stattdessen rufen sie seinen Namen. Der Sprechchor überrollt ihn, bis er keine Luft mehr bekommt und schreiend aufwacht. Danach kann er nicht mehr einschlafen. Schließlich hatte er die Verantwortung. Der Traum wiederholt sich jede Nacht.

Jetzt will er dem Oberst die Verantwortung zurückgeben, um endlich wieder schlafen zu können. Beckmann erinnert ihn an den 14. Februar im russischen Gorodok. Er kann sich noch genau an die Situation erinnern, bei der der Oberst ihm die Verantwortung für 20 Mann erteilte, mit denen er die Gegend erkunden und Gefangene nehmen sollte. Dabei gerieten sie unter Beschuss. Elf Männer starben, wofür Beckmann sich die Schuld gibt. Doch nun ist der Krieg vorbei. Der Oberst versucht, es herunterzuspielen. Beckmann beharrt allerdings auf der Verantwortung für die Tode und die Trauer und Sehnsucht der Angehörigen.

Er fragt den Oberst, ob er schlafen könne, wie er leben könne, ohne zu schreien und dass für ihn elf Tote mehr auf dem Gewissen keinen Unterschied machen sollten. Der Oberst versucht seine Betroffenheit mit Lachen zu überspielen. Er nennt Beckmann einen Pazifisten. Sein Lachen wird immer stärker. Der Oberst hält Beckmanns Erzählung für einen einstudierten Witz, der ihn amüsiert hat. Dafür will er ihn mit einem warmen Bad und einem Anzug belohnen. Beckmann solle erstmal wieder ein Mensch werden.

Beckmann erwacht wie aus einem Traum und wiederholt die letzte Aussage des Obersts. Schreiend bezweifelt er, dass die Familie vor ihm Menschen seien. Darauf kreischt die Frau des Obersts auf und behauptet, dass Beckmann sie umbringen wolle. Dabei stößt sie die Lampe um und es entsteht ein hektisches Durcheinander. Als das Licht wieder brennt, ist Beckmann fort, genauso wie ein Brot und eine Flasche Rum. Die Familie fragt sich, was Beckmann mit dem trockenen Brot wolle.

Beckmann ist zurück auf der Straße und betrinkt sich mit dem Rum des Obersts. In seinem Zustand gibt er dem Oberst recht, dass man bei der unaufhaltsam wachsenden Zahl an Toten darüber lachen müsse und er beschließt, zum Zirkus zu gehen. Der Alkohol wird zum Mittel, um den Schmerz zu vergessen.

Analyse

Mit Beckmanns Besuch beim Oberst wird der starke Kontrast zwischen deren Welten verdeutlicht. Mit einem reich gedeckten Tisch in einer warmen Stube kehren die Autoritäten zur Tagesordnung zurück und verleugnen das Elend, das sich vor ihren Fenstern abspielt. Gleichzeitig wird der Kontrast zwischen drinnen und draußen herausgestellt. Beckmann selbst ist ein Sinnbild dieses Elends. Er friert, hungert und steht vor der Entscheidung, sich umzubringen oder weiterzuleben. Das Unverständnis von Tochter, Schwiegersohn und Ehefrau unterstreicht ihre Ignoranz und Distanz zu den Qualen der Opfer.

Als Beckmann am Szenenende Brot und Rum stiehlt, kann die Mutter sich nicht erklären, warum Beckmann das trockene Brot wolle (vgl. 28). Sie sind blind für die Leiden der Menschen. Die Kriegsverbrecher halten an ihrer Stellung fest, während die Opfer weiterhin, trotz Kriegsende, darunter leiden. Eine Konstellation, die umgekehrt sein sollte. (Poppe [2003], 59)

Beckmann reagiert darauf mit Sarkasmus: »Jawohl, Herr Oberst. Bin irgendwo mit eingestiegen. In Stalingrad. Aber die Tour ging schief, und sie haben uns gegriffen. [...] Die Kopfamputierten waren noch die Glücklichsten. Die brauchten wenigstens nicht ewig Kaviar zu löffeln.« (21) Der Oberst hält dies für eine Verzerrung der Umstände, was dessen Treue zur alten Ordnung und Flucht in die Illusion untermauert. Es wird ein Generationskonflikt herausgestellt. Beckmann steht dabei für eine Jugend, die sich für den Krieg verantworten muss, ohne diesen, im Gegensatz zur älteren Generation des Obersts, herbeigeführt zu haben. (Bernhardt, 17) Winfried Freund schreibt in »Literatur ohne Antwort« von einer »moralisch verkehrte[n] Welt«, auf die Beckmann nur mit einem grotesken Traum reagieren könne. Die Anklage hat keine Chance. (Poppe [2003], 59)

Dieser Traum lebt von metaphorischen Bildern. Er zeichnet mit auferstehenden Toten, Blut, Knochen und Stöhnen ein Bild des Grauens, welches Beckmann jede Nacht heimsucht und ihn an seine Schuld erinnert. Die detaillierte und bildhafte Beschreibung des Albtraumes bedient sich expressionistischer Merkmale inklusive der Motive von Tod und Verwesung. Zusätzlich wird die Nacht zum Schauplatz »Dann stehen sie auf aus den Massengräbern, und ihr blutiges Gestöhn stinkt bis an den weißen Mond. Und davon sind die Nächte so. So bitter wie Katzengeschrei. So rot, so rot wie Himbeermarmelade auf einem weißen Hemd.« (24)

Die Verleugnung des Grauens zeigt sich in der Entrüstung der Tochter über den weißen Mond, die vom Oberst unterstützt wird: »Der Mond ist selbstverständlich gelb wie immer« (24), als ob der Krieg nichts verändert hätte. Obwohl er es später verleugnen wird, ist der Oberst von Beckmanns Ausführungen getroffen und mitgerissen. Auf Beckmanns Fragen antwortet er mit einem Flüstern (vgl. 25).

Beckmann will dem Oberst die Verantwortung zurückgeben. An diesem Punkt wechselt er von seiner bildhaften und ausgeschmückten Sprache zu einer sachlichen Wiedergabe des Vorfalls vom 14. Februar. Diese ist dennoch von zahlreichen Wiederholungen durchzogen. Dass Beckmann sich noch genau an die Situation erinnern kann, verdeutlicht, wie bedeutsam diese für ihn bis zu jenem Zeitpunkt ist und wie intensiv er sich damit auseinandersetzen muss. Als der Oberst das Erzählte herunterspielen will, bleibt Beckmann bei seiner Ernsthaftigkeit. Die Wiederholung der Frage, ob der Oberst schlafen könne, ist für Beckmann besonders persönlich. Fassungslosigkeit und Bedrohliches schwingen in ihr mit. Wegen elf Männern kann Beckmann keine Nacht schlafen. Wie dem Oberst dies mit tausenden Opfern gelingen soll, ist ihm ein Rätsel, macht ihn wütend und schürt seine Verzweiflung, die von der tiefen Erschöpfung, der zermürbenden Schuld und dem Selbsthass gespeist wird: »Können Sie überhaupt leben, Herr Oberst? Mit zweitausend nächtlichen Gespenstern? [...] können Sie eine Minute leben, ohne zu schreien?« (26).

Die Reaktion des Obersts ist eine Verleugnung der Wahrheit, um seinen eigenen falschen Frieden innerhalb seines trauten Heims zu wahren. (Poppe [2003], 60) Statt sich wie Beckmann mit der Verantwortung auseinanderzusetzen, verschließt er sich vor der Wahrheit. Mit lautstarkem Lachen versucht er, die Beklemmung abzuschütteln, nennt Beckmann einen Komiker und das Erzählte einen Witz: »Köstlich, Mann, ganz köstlich! Sie haben wirklich den Bogen raus! Nein, dieser abgründige Humor!« (26). Das Amüsement des Obersts beinhaltet die Tragik der Hoffnungslosigkeit für die Opfer des Krieges. Beckmann wird mit seinen wirklichen Sorgen nicht gesehen. Als der Oberst ihm ein Bad und Kleidung anbietet und ihn dazu auffordert, wieder ein Mensch zu werden, bringt dies das Fass zum Überlaufen.

Beckmann stellt die Moral des Menschseins infrage. Bedeutet ein Mensch zu sein, zu werden wie der Oberst und seine Familie? Haben diese überhaupt etwas Menschliches an sich, ohne jegliches Mitgefühl und Verständnis für das Leid der Bevölkerung, ohne Bereitschaft, sich der Wahrheit zu stellen, ohne Bewusstsein für ihre Schuld? Beckmann sucht als Heimkehrer seinen Platz in der Gesellschaft. Doch diese hat sich am Beispiel des Obersts noch lange nicht aus den alten, faschistischen Sitten gelöst. Deutlich wird dies auch in seinen anfänglichen Bemerkungen wie zum Beispiel »Reden Sie mal nicht so unmännliches Zeug« (21) oder »Sehen Sie, Sie sind zu leise. Mal ehrlich, einer von denen, die ein bißchen müde sind, ein bißchen weich, wie?« (22).

Das Unmenschliche, die Verleugnung der Schuld, ist in der Gesellschaft zur Realität geworden. Im Nationalsozialismus wurde eine ganze Generation in Organisationen wie der Hitlerjugend zum Krieg erzogen. Die Individualität der jungen Menschen war dabei nebensächlich. Militärischer Gehorsam wurde gefordert. Borchert thematisiert dies mit der Reduzierung auf das Objekt. Beckmann will sich diesem Objektcharakter entziehen und macht sich auf die Suche nach dem Subjekt, dem Ich. Solange die Macht aber noch immer bei Autoritäten wie dem Oberst liegt, ist dies Beckmann nicht möglich. (Bernhardt, 86f.) Obwohl der Oberst ihn zur Menschwerdung auffordert, unterstützt er in seiner Position die Entwicklung zum Objekt. Das wird auch in seiner Ausdrucksweise deutlich, indem er auf die Nennung des individuellen Subjekts verzichtet: »Was ausgefressen, wie? [...] sind irgendwo eingestiegen, was?« (21).

Beckmann, dessen Wortlaut vor allem von umgangssprachlicher Natur ist, passt sich teilweise seinem Vorgesetzten an und ersetzt den Begriff »pennen« durch »schlafen« (25f.), fällt aber wieder in seine Muster zurück. Sein abschließender Monolog drückt seine Trunkenheit aus. Dieser weist durch die wiederkehrende Unterbrechung mit dem Wort »Prost« (28) eine rhythmische Gliederung auf, die an Verse erinnert. Der Alkohol wird zum Mittel, um das Unerträgliche erträglich zu machen und dabei personifiziert: »Der Schnaps hat mir das Leben gerettet, mein Verstand ist ersoffen!« (28).

Veröffentlicht am 28. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. September 2023.