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Der Steppenwolf

Figuren

Figurenkonstellation

Der Steppenwolf – Figurenkonstellation
  • Harry Haller

    Harry Haller ist der Protagonist des Romans. Er ist fast fünfzig Jahre alt, hat ein gepflegtes Erscheinungsbild sowie ein freundliches und höfliches Auftreten. Er lebt sehr zurückgezogen und meidet größtenteils den Kontakt mit seinen Mitmenschen. Freunde scheint er wenige zu haben. Er war einmal verheiratet, aber diese Ehe endete in einer Scheidung. Nun hat er eine Geliebte, Erika, die er aber nicht sonderlich mag.

    Haller wohnt zwar in einem sehr bürgerlichen Haus – es ist eine »alte Sentimentalität« von ihm (S. 26) – sein Zimmer aber sieht sehr anders aus als der Rest dieses bürgerlichen Hauses: Es ist chaotisch und voller Bücher. Er ist ein »Gedanken- und Büchermensch« (S. 11). Er hat lange Zeit keinen praktischen Beruf ausgeübt, sondern beschäftigt sich lieber mit intellektuellen und künstlerischen Themen. Passend dazu hat er laut Herausgeber auch ein »vielleicht etwas eigenartiges und auch trauriges Gesicht, aber ein waches, sehr gedankenvolles, durchgearbeitetes und vergeistigtes« (S. 6). Die Beschreibung »vergeistigt« deutet in Hesses Romanen häufig darauf hin, dass es sich um eine besonders gebildete und von der realen Welt losgelöste Person handelt. Kurz darauf bestätigt der Herausgeber diesen Eindruck:

      Er machte durchaus und gleich beim ersten Anblick den Eindruck eines bedeutenden, eines seltenen und ungewöhnlich begabten Menschen, sein Gesicht war voll Geist, und das außerordentlich zarte und bewegliche Spiel seiner Züge spiegelte ein interessantes, höchst bewegtes, ungemein zartes und sensibles Seelenleben. (S. 8)

    Dieses sensible Seelenleben spiegelt sich auch in Hallers eigenen Aufzeichnungen wider, in denen er seine Eindrücke und Emotionen ausführlich schildert. Er sieht sich als Außenseiter der Gesellschaft. Der Herausgeber schreibt über ihn: »Ein zu uns, in die Städte und ins Herdenleben verirrter Steppenwolf – schlagender konnte kein andres Bild ihn zeigen, seine scheue Vereinsamung, seine Wildheit, seine Unruhe, sein Heimweh und seine Heimatlosigkeit.« (S. 17) Haller ist überzeugt, zwei Seelen in seinem Körper zu spüren; gelegentlich sieht er sich sogar in zwei Personen aufgeteilt. Eine dieser Seelen ist eine menschliche, die andere eine wölfische. Erstere versucht sich an ihre bürgerliche Umgebung anzupassen, letztere strebt nach einem unbürgerlichen, bohemischen Leben. Haller sehnt sich nach einer früheren Zeit, nach traditioneller alter Kunst und Kultur. Das moderne Leben ist ihm zuwider; er verabscheut den technischen Fortschritt und die kulturellen Trends der 1920er Jahre. Somit gehört er zu denen, »die zwischen zwei Zeiten hineingeraten, die aus aller Geborgenheit und Unschuld herausgefallen sind, zu denen, deren Schicksal es ist, alle Fragwürdigkeit des Menschenlebens gesteigert als persönliche Qual und Hölle zu erleben.« (S. 21)

    Es ist häufig angemerkt worden, dass Haller eine große Ähnlichkeit zum Autor selbst aufweist. Wie Hesse ist auch er ein alternder Intellektueller, wie Hesse hat auch er gerade einige persönliche Krisen durchlaufen und hadert mit seiner Profession als Schriftsteller und den Erwartungen des Bürgertums (Stelzig, 1988). Da Hesses Romane häufig autobiographische Züge tragen, ist es auch in diesem Fall sehr wahrscheinlich, dass der Autor im »Steppenwolf« einen Teil seiner eigenen Erfahrungen verarbeitet hat.

  • Hermine

    Hermine ist eine junge und hübsche Frau, die Haller in einem Gasthaus kennenlernt. Sie arbeitet als Prostituierte und führt ein scheinbar leichtes, freies Leben. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen duzt sie Haller konsequent, nennt ihn »Kindskopf« oder »Bub« (S. 88) und verhält sich mit ihrer Fürsorglichkeit fast wie eine Mutter, obwohl sie jünger ist als er. Hermine wird zu seiner Lehrerin: Sie entführt Haller in die Welt der Tanz- und Vergnügungslokale, der er sich bis dahin verweigert hat. Durch sie macht er auch Bekanntschaft mit Pablo und Maria (siehe unten).

    Dennoch ist auch Hermine nicht so glücklich, wie es zunächst scheint. Auch sie leidet manchmal an ihrem unbeschwerten Leben und erwartet von Haller, dass er sie zu einem späteren Zeitpunkt töten wird. Sie freut sich auf ihren Tod und bezeichnet ihn als etwas »sehr Wichtiges und Schönes« (S. 105). Er wird sie näher an das Reich des »Echten« und der »Ewigkeit« bringen, wo wahre Dichtung und Kunst existieren. Hermine gehört also eigentlich genauso wenig in die Moderne wie Haller, und auch sie ist »zwischen zwei Zeiten« geraten und lebt »mit einer Dimension zuviel« (S. 141). So sehen sie und Haller sich bald schon als »Geschwister«, als »Kinder des Teufels« (S. 119). Anders als Haller jedoch hat Hermine es geschafft, sich an die Moderne und ihre Lebensweise anzupassen.

    Ebenfalls auffällig ist Hermines Androgynität. Bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen nimmt Haller ihre »Knabenhaftigkeit« und ihre »hermaphroditische« (zweigeschlechtliche) Magie (S. 105) wahr. Hier sowie auch später beim Ball hält er sie sogar kurzzeitig für seinen Jugendfreund Hermann. Sie ist eine weibliche Version Hallers, seine »Schwester« (S. 118), und aufgrund ihres Namens auch eine weibliche Version des Autors selbst (Patzer, 2017).

  • Maria

    Haller lernt Maria bei einer Tanzveranstaltung kennen, wo er sie zum Tanzen auffordert. Maria hat jedoch bereits eine männliche Begleitung, denn genau wie Hermine verdient sie ihren Lebensunterhalt als Prostituierte. Hermine bemerkt, dass Haller sich sofort in Maria verliebt hat, und stellt die beiden einander vor. Haller findet, dass Maria »entzückend« aussieht und es dauert nicht lange, bis sie seine Geliebte wird. Wie auch Hermine und Pablo ist Maria in der Welt der Tanz- und Vergnügungslokale zuhause. Aufgrund der regelmäßigen Treffen mit ihr wird daher auch Haller tiefer in diese Welt gezogen. Durch Maria lernt er, was es heißt, leicht zu lieben. Gewissermaßen fungiert sie also auch als Lehrerin für ihn, wenngleich auf sehr andere Weise als Hermine.

  • Pablo

    Pablo ist Saxophonist und Teil einer Jazz-Band. Er ist sowohl mit Hermine als auch Maria befreundet und gleichzeitig ihr Geliebter. Haller hält zunächst nicht viel von Pablo. Weder kann er mit seiner Musik etwas anfangen (Haller empfindet eine starke Abneigung gegen Jazz) noch hält er ihn für sonderlich intelligent oder intellektuell interessiert. Mehr noch: Haller ist regelrecht schockiert, dass Pablo so wenig von der Geschichte und Theorie der Musik weiß, wo er doch selbst Musiker ist. Pablo aber ist anderer Meinung:

      Aber sehen Sie, ich bin Musikant, nicht Gelehrter, und ich glaube nicht, daß in der Musik das Rechthaben den geringsten Wert hat. Es kommt ja in der Musik nicht darauf an, daß man recht hat, daß man Geschmack und Bildung hat und all das. (S. 124)

    Für ihn zählt nur, ob sein Publikum seine Musik genießt oder nicht. Genau wie Hermine und Maria lebt Pablo ein leichtes Leben voll sinnlichem Vergnügen. Je näher Haller ebenfalls einem solchen Leben kommt, desto mehr versteht er Pablo und desto sympathischer findet er ihn.

    Im Laufe des Romans entwickelt sich Pablos Rolle vom wenig intelligenten und gebildeten modernen Musiker zum Lehrer Harrys und vielleicht sogar zu einem »versteckten Heiligen« (S. 143). So zumindest nennt ihn Hermine. Pablo ist nicht nur derjenige, der ihm Zugang zum Magischen Theater verschafft, er scheint der Intendant des Theaters zu sein. Am Ende des Romans verwandelt sich Pablo gar in Mozart und erklärt ihm die Notwendigkeit des Humors. In diesem Moment tritt er der Welt der »Unsterblichen« bei.

    Eine Frage, die sich bei der Betrachtung all der unbürgerlichen, bohemischen Figuren wie Maria, Hermine und Pablo stellt, ist, ob diese wirklich existieren oder nur eine elaborierte Halluzination Hallers sind. Als er vor seinem Eintritt ins Magische Theater mit Pablo und Hermine spricht, überlegt er:

      Warum sprach Pablo so viel? War nicht vielleicht ich es, der ihn sprechen machte, der aus ihm sprach? Blickte nicht auch aus seinen schwarzen Augen nur meine eigene Seele mich an, der verlorne bange Vogel, ebenso wie aus den grauen Augen Herminens? (S. 161).

    In Passagen wie diesen scheint es sehr gut möglich, dass Pablo und Hermine (und Maria) lediglich eine Kreation von Hallers Gedanken sind.

  • Die Unsterblichen

    Die Unsterblichen leben in dem Reich, das Hermine und Haller das Reich des »Echten« und der »Ewigkeit« nennen. Dieses Reich des »Echten« vereint die wahren und schönen Dinge des Lebens: Dichtung, Kunst, Musik. Dort leben die Heiligen und die Vorbilder von Hermine und Haller. Auf dieses Reich streben die beiden hin, es ist für sie das Ziel ihrer Existenz. In ihrem Gespräch am Abend vor dem Maskenball sagt Hermine zu Haller:

      Ich denke mir: wir Menschen alle, wir Anspruchsvolleren, wir mit der Sehnsucht, mit der Dimension zuviel, könnten gar nicht leben, wenn es nicht außer der Luft dieser Welt auch noch eine andre Luft zu atmen gäbe, wenn nicht außer der Zeit auch noch die Ewigkeit bestünde, und die ist das Reich des Echten. (S. 142)

    Haller begegnet tatsächlich auch einigen Figuren aus diesem Reich, wenngleich immer auf einer anderen Ebene seines Bewusstseins (Patzer, 2017). Goethe erscheint ihm im Traum, und später begegnet er im Magischen Theater Mozart. Mozart ist ihm noch wichtiger als Goethe, er ist für ihn der »Gott meiner Jugend, [das] lebenslange[ ] Ziel meiner Liebe und Verehrung« (S. 189). Sowohl Goethe als auch Mozart lachen Haller aus und rufen ihm damit die Notwendigkeit von Humor in Erinnerung, und wie wichtig es ist, das Leben und sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Am Ende des Romans sagt Mozart zu Haller: »Wie pathetisch Sie immer sind! Aber Sie werden schon noch Humor lernen, Harry. Humor ist immer Galgenhumor, und nötigenfalls lernen Sie ihn eben am Galgen. Sind Sie dazu bereit?« (S. 197)

  • Die Bürgerlichen

    Die bürgerlichen Charaktere bilden einen starken Kontrast zu den Charakteren Hermine, Maria und Pablo, sowie allen anderen Begegnungen Hallers aus der »Lebewelt« (S. 151). Über die bürgerlichen Charaktere erfahren wir nicht viel, und sie sind deutlich weniger präsent als ihre unbürgerlichen Gegenstücke. Zu ihnen zählen der Vermieter und seine Tante, denen Haller weitestgehend aus dem Weg geht, und der Professor und seine Frau, deren Abendessen mit Haller sich in ein Desaster verwandelt. Haller fühlt sich in der Umgebung dieser Charaktere unwohl und es fällt ihm schwer, eine richtige Verbindung zu ihnen aufzubauen. In der Wohnung des Professors denkt er: »Hier waren schön stilisierte Altmeister und nationale Größen zu Hause, keine Steppenwölfe.« (S.102) Folglich verlässt der das Abendessen mit dem Professor und seiner Frau verfrüht und überstürzt.

Veröffentlicht am 26. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. Mai 2023.