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Der Steppenwolf

S. 122-147 (Harry Hallers Aufzeichnungen)

Zusammenfassung

In der nächsten Zeit trifft Haller immer wieder auf den Musikanten Pablo und sieht sich gezwungen, sein Urteil über ihn zu revidieren. Das liegt einerseits daran, dass Pablo Hermine so wichtig zu sein scheint, und andererseits daran, dass er stets freundlich zu Haller ist und ihm zuhört, auch wenn Pablo selbst nach wie vor eher wortkarg bleibt. Gelegentlich bietet er ihm aus einer kleinen Dose etwas zum Schnupfen an. Laut Hermine handele es sich bei der Substanz um ein Mittel »zum Betäuben von Schmerzen, zum Schlafen, zur Erzeugung schöner Träume, zum Lustigmachen, zum Verliebtmachen« (S. 124). Haller genießt die Effekte der Substanz sehr.

Einmal befragt er Pablo zu seinen Ansichten über die Musik und ist schockiert: Pablo behauptet, in der Musik käme es nicht auf Bildung und Wissen an. Musiker müssten immer das spielen, was gerade von den Leuten verlangt werde, sei es die Musik von Mozarts Zauberflöte, die Haller so schätzt, oder der neueste Foxtrott.

In diesen Wochen wechseln Hallers Emotionen konstant zwischen Glück und Leid. Teils lebt er seine neue Persönlichkeit aus, teils seine alte. Er geht zu Konzerten, wo klassische Musik von Bach und Haydn gespielt wird, und direkt im Anschluss zu modernen Jazzkonzerten, wo er auf Hermine und Pablo trifft. Manchmal liebt er diese neue Welt, in der er jetzt lebt, manchmal verabscheut er sie. Genauso hasst er manchmal Hermine dafür, dass sie ihm Zugang zu dieser Welt verschafft hat, manchmal wiederum ist er ihr sehr dankbar.

Eines Abends, als er spät nach Hause kommt, findet er die schöne Maria in seinem Bett vor. Er hat sie bei seinem ersten Tanzabend mit Hermine kennengelernt, wo er sie damals zum Tanzen aufforderte. Er ist sich sicher, dass Hermine Maria zu ihm geschickt hat (er hat ihr damals gesagt, dass er Maria sehr gern mochte). Sie schlafen miteinander und Maria verbringt die ganze Nacht bei ihm.

Die beiden reden viel und sie erzählt ihm von der Welt der Tanz- und Vergnügungslokale. Von ihr lernt er nun, dass es möglich ist, für diese Welt ebensolche Begeisterung und Leidenschaft zu empfinden, wie er sie früher für seine Dichter und Komponisten empfunden hat. Nach der Nacht mit Maria fühlt er sich, als atme seine Seele wieder und als nehme er die Welt nun anders war. Er hat wieder Hoffnung auf Leben geschöpft.

Haller und Maria sehen sich von nun an häufiger. Oft hat Maria aber auch keine Zeit für ihn, da sie als Prostituierte lebt und sich mit vielen Männern trifft. Er freut sich jedes Mal auf die Treffen mit ihr und bringt ihr Geschenke mit. Von ihr erfährt er viel über die Welt der Prostituierten und Künstler, in der sie lebt, und wird selbst ein Teil davon. Durch sie kommt er auch enger mit Pablo in Kontakt.

Eines Abends äußert er Hermine gegenüber seine Bedenken darüber, dass er in der letzten Zeit zu glücklich geworden sei. Dabei war sein eigentlicher Plan gewesen, zeitnah zu sterben und der modernen Welt zu entfliehen. Hermine verrät ihm daraufhin ein Geheimnis: Ihr sei es einmal sehr ähnlich gegangen und sie könne seine Ablehnung der modernen Gesellschaft gut nachvollziehen. Aber das Streben nach Idealen und einer vergangenen Zeit führe zu nichts. Wer heutzutage leben wolle, müsse die Welt so akzeptieren, wie sie sei, und dürfe nicht an der Sehnsucht nach einer vergangenen Welt festhalten. Oder wie Hermine und Haller es formulieren: Man kann nicht »mit einer Dimension zuviel« leben (S. 141).
Das Einzige, was ihnen, den Menschen mit einer Dimension zu viel, laut Hermine bleibe, sei das Reich der Ewigkeit. Damit meint sie das Reich des »Echten«, frei von jeglichem Schein. Hier haben Dichtung, Musik und Kunst ihr Zuhause. Hermine erklärt ihm, dass es dieses Reich sei, nach dem sowohl sie selbst als auch er strebten.

Nach seinem Gespräch mit Hermine wartet Haller auf Maria, mit der er sich für den Abend verabredet hat. Während er auf sie wartet, verfasst er, inspiriert von Hermines und seinen Gedanken, ein Gedicht, dem er den Titel »Die Unsterblichen« gibt und das von dem Reich der Ewigkeit handelt, über das er und Hermine gesprochen haben. An diesem Abend beschließt er, Abschied von Maria zu nehmen. Er findet, dass er nun lange genug die Leichtigkeit des Lebens genossen hat. Von nun an will er wieder nach Höherem streben und leiden.

Analyse

Durch Pablo, Hermine und Maria lernt Haller die einfachen, oberflächlichen Freuden der modernen Welt kennen, denen er sich bislang verweigert hat. Hermine bringt Haller Tanzen bei, Foxtrott und Boston, Maria bringt ihm die Liebeskunst bei, und von Pablo lernt er etwas über moderne Musik. Sein Leben lang war Haller überzeugt, dass man, um Musik schätzen zu können, viel über ihre Geschichte und Theorie wissen müsse. Pablo belehrt Haller nun eines Besseren. Er sagt: »Aber sehen Sie, ich bin Musikant, nicht Gelehrter, und ich glaube nicht, daß in der Musik das Rechthaben den geringsten Wert hat. Es kommt ja in der Musik nicht darauf an, daß man recht hat, daß man Geschmack und Bildung hat und all das.« (S. 124) Für den Saxophonspieler Pablo zählt nur, ob sein Publikum seine Musik genießt oder nicht.

Im Laufe der nächsten Wochen beginnt Haller die Lehren von Hermine, Maria und Pablo zu verstehen. Sie alle wollen ihm die Leichtigkeit des Lebens beibringen und aus seiner unglücklichen Schwermut befreien. Zu Anfang tut sich Haller noch schwer damit:

    Die Welt der Tanz- und Vergnügungslokale, der Kinos, der Bars und Hotelteehallen, die für mich, den Einsiedler und Ästheten, noch immer etwas Minderwertiges, Verbotenes und Entwürdigendes hatte, war für Maria, für Hermine und ihre Kameradinnen die Welt schlechthin, war weder gut noch böse, weder begehrens- noch hassenswert, in dieser Welt blühte ihr kurzes sehnsüchtiges Leben, in ihr waren sie heimisch und erfahren. (S. 130)

Je mehr Zeit Haller mit seinen drei neuen Bekanntschaften verbringt, desto eher erkennt er, dass diese »Welt der Tanz- und Vergnügungslokale« der seinen durchaus ebenbürtig sein kann, und dass die eine Welt die andere nicht unbedingt ausschließt. Im Gegenteil, er ruft sich in Erinnerung, dass doch alle jungen Menschen für Trends und Moden schwärmen, die späteren Generationen eher zweifelhaft erscheinen. Folglich beginnt er, die ihm unbekannte Welt zu akzeptieren, und wird, indem er mehr über sie erfährt, auch selbst ein Teil davon.

Das Gespräch mit Hermine wühlt ihn jedoch auf und nimmt ihm etwas von seiner neugewonnenen Leichtigkeit. Hermine ermahnt ihn, er sei »für diese einfache, bequeme, mit so wenigem zufriedene Welt von heute viel zu anspruchsvoll und hungrig« und er habe für sie »eine Dimension zuviel« (S. 141). Damit meint sie, dass er zu sehr an vergangenen Zeiten festhält, wo er doch lieber einfach die moderne Welt akzeptieren sollte. Denn Menschen mit einer Dimension zuviel könnten in ihrem Zeitalter nicht leben. Damit greift sie indirekt die Worte des Herausgebers aus dem Vorwort auf, der Haller als Menschen zwischen zwei Zeiten bezeichnet hatte (S. 21).

Das Einzige, was laut Hermine für solche Menschen das Leben noch lebenswert macht, ist der Gedanke an das Reich der Ewigkeit, das nicht an eine Zeit gebunden und frei von jeglichem Schein sei. Sie selbst strebt darauf zu, und genauso er. Dieses Reich des »Echten« vereint die wahren und schönen Dinge des Lebens: Dichtung, Kunst, Musik. Dort leben die Heiligen und die Vorbilder von ihr und ihm. Daran müssen sie festhalten.

Haller machen Hermines Worte so sehr zu schaffen, dass er noch am gleichen Abend beschließt, dass das neue Leben der Leichtigkeit, das er in den letzten Wochen geführt hat, nicht das richtige Leben für ihn ist: »Ein leichtes Leben, eine leichte Liebe, ein leichter Tod – das war nichts für mich.« (S. 147) Er will sich wieder der Suche nach dem Höheren, dem Reich des Echten und der Ewigkeit widmen.

Veröffentlicht am 26. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. Mai 2023.