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Der Steppenwolf

Sprache und Stil

Hesses »Steppenwolf« besteht aus zwei narrativen Einheiten: Der Hauptteil wird aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Harry Haller erzählt, das Vorwort hingegen aus der Ich-Perspektive eines anonymen Herausgebers. Daher ist es wichtig, bei einer sprachlichen Analyse des Werks auch entsprechend zwischen diesen beiden Einheiten zu unterscheiden. 

Auch wenn der Herausgeber des Vorworts namenlos bleibt, lässt sich eindeutig feststellen, um wen es sich handelt. Er ist der Neffe von Hallers Vermieterin und ebenfalls derjenige, dem Haller seine Aufzeichnungen übergeben hat, bevor er verschwunden ist. Abgesehen davon, dass er in einem sehr bürgerlichen Haus bei seiner Tante lebt, gibt der Herausgeber nicht viel von sich preis. Vielmehr konzentriert er sich in seinen Beobachtungen auf Harry Haller. Da er jenen über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg beobachtet hat, traut er sich zu, ein Bild seiner Persönlichkeit zeichnen zu können. 

Diese Beobachtungen haben nahezu einen psychoanalytischen Charakter. Der Herausgeber behauptet zwar, er wolle keine »Novellen erzählen« oder »Psychologie betreiben« und lediglich als »Augenzeuge« dienen, aber an dieses Vorhaben kann er sich ganz offensichtlich nicht halten. Schon innerhalb weniger Seiten stellt er Vermutungen über Hallers Seele an: »Haller gehört zu denen, die zwischen zwei Zeiten hineingeraten, die aus aller Geborgenheit und Unschuld herausgefallen sind, zu denen, deren Schicksal es ist, alle Fragwürdigkeit des Menschenlebens gesteigert als persönliche Qual und Hölle zu erleben.« (S. 21) Derartige Aussagen sind keine Beobachtungen mehr, sondern psychologische Analysen. 

Auch anderweitig scheint sich der Herausgeber nicht an seine Vorsätze halten zu können. Bereits am Anfang seines Vorwortes gibt er zu, dass er eigentlich nur allmählich sein Bild von Haller habe enthüllen wollen, aber entgegen seines eigentlichen Plans nun schon vorher das Wesentliche von Hallers Persönlichkeit gesagt habe (S. 10). Vorsätzlich will er zwar nur beobachten, aber dennoch lässt er sich immer wieder dazu hinreißen, das, was er beobachtet, auch zu interpretieren. Folglich ist das Vorwort eine Mischung aus tiefen Persönlichkeitsanalysen und alltäglichen Anekdoten. 

Hallers eigene Aufzeichnungen folgen einer ähnlichen Struktur. Auch er vermischt in seinen Schriften gern tiefe Gedankengänge mit Erzählungen von Ereignissen aus seinem Leben. Hallers Schriften zeichnen sich durch eine Reihe von Eigenheiten aus:

  • Analyse: Haller reflektiert sehr gern und viel. Zum einen macht er sich viele Gedanken über Dichtung, Musik und Kunst, und stellt Beobachtungen an, über seine Gesellschaft und die Zeit, in der er lebt. Zum anderen analysiert er ausgiebig seine eigene Persönlichkeit. So kommt er auch dazu, sich als Steppenwolf zu sehen, als zerrissener Außenseiter der Gesellschaft, halb Mensch und halb Wolf. Oft spricht er auch von sich selbst in der dritten Person, was seine innere Zerrissenheit noch mehr hervorbringt (Patzer, 2017). 
  • Unklarheit: Oft ist unklar, ob das, worüber Haller schreibt, sich wirklich in der realen Welt ereignet, oder ob die Ereignisse in Wahrheit lediglich zu einer Sequenz an Träumen gehören (Swales, 2009). Betritt Haller wirklich ein Magisches Theater? Und ist das, was im Magischen Theater passiert, real? 
  • Reflexivität: Diese Fragen werden dadurch noch komplizierter, dass Haller sehr viel über die Ereignisse redet, sie erklärt und interpretiert (Swales, 2009). Denn ob das Geschehene nun wirklich stattfindet oder nicht, geht aus den Aufzeichnungen trotz der vielen Interpretationen und Analysen nicht hervor. Auch der Herausgeber weiß über die Wirklichkeit/Fiktionalität von Hallers Aufzeichnungen nicht sehr viel: »Es war mir nicht möglich, die Erlebnisse, von denen Hallers Manuskript erzählt, auf ihren Gehalt an Realität nachzuprüfen.« (S. 19). Er vermutet stattdessen, dass es sich um Versuche handelt, »tief erlebte seelische Vorgänge« im »Kleide sichtbarer Ereignisse« darzustellen (S. 19). 
  • Stilmittel: Haller bedient sich einer Reihe von Stilmitteln. Dazu zählen Parallelismen und Anaphern, ganz besonders aber auch Neologismen (Wortneuschöpfungen) (Patzer, 2017). Beispielsweise erfindet Haller die Worte »Halbundhalbmensch« oder »Zufriedenheitshalbundhalbgott« (S. 25) (ebd.) Wieder einmal bringen diese Worte seine innere Zerrissenheit zum Ausdruck.

Als eine weitere separate Erzähleinheit ließe sich auch das Traktat des Steppenwolfs betrachten. Das Traktat handelt über Haller in der dritten Person und bedient sich einer sehr analytischen Sprache. Dabei offenbart es erstaunlich tiefe Einsichten in die Seele Hallers, die es kommentiert, gegeneinander abwägt und zu einem theoretischen Fazit zusammenfügt (Patzer, 2017).  Wer die Autoren des Traktats sind, wird an keiner Stelle erwähnt, auch wenn manche Literaturwissenschaftler vermuten (z. B. Swales, 2009), dass es sich bei ihnen um die sogenannten »Unsterblichen« handelt, die immer wieder im Laufe des Romans erwähnt werden. 

Veröffentlicht am 26. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. Mai 2023.