Skip to main content

Der Steppenwolf

Zitate und Textstellen

  • »Ein zu uns, in die Städte und ins Herdenleben verirrter Steppenwolf – schlagender konnte kein andres Bild ihn zeigen, seine scheue Vereinsamung, seine Wildheit, seine Unruhe, sein Heimweh und seine Heimatlosigkeit.«
    – Der fiktive Herausgeber über Haller, S. 17.

    Der Herausgeber erklärt, dass es keine treffendere Bezeichnung für Harry Haller gibt als den »Steppenwolf.« Er hat sich in eine Welt verirrt, in die er eigentlich nicht gehört, und in der er nun als einsamer Eremit umherwandert und kein Zuhause findet. Damit wird gleich von den ersten Seiten an die Distanz zum Ausdruck gebracht, die zwischen Haller und seiner Gesellschaft herrscht. Ebenfalls beachtenswert ist das scheinbare Paradoxon aus Heimweh und seine Heimatlosigkeit (Wie kann jemand ohne Heimat Heimweh empfinden?), das in Hallers Fall gar nicht mehr so paradox ist. Als aus der Zeit gefallener Charakter kann Haller keine Heimat haben, denn seine Heimat ist die Vergangenheit. Nostalgie empfinden kann er aber dennoch, und so ist diese Kombination aus Empfindungen möglich.

  • »Ich sehe in ihnen aber etwas mehr, ein Dokument der Zeit, denn Hallers Seelenkrankheit ist – das weiß ich heute – nicht die Schrulle eines einzelnen, sondern die Krankheit der Zeit selbst, die Neurose jener Generation, welcher Haller angehört, und von welcher keineswegs nur die schwachen und minderwertigen Individuen befallen scheinen, sondern gerade die starken, geistigsten, begabtesten.«
    – Der fiktive Herausgeber über Harry, S. 20.

    An dieser Stelle merkt der Herausgeber an, dass Haller kein Einzelfall ist, sondern dass es in seiner Generation noch mehr Steppenwölfe gibt. Gerade unter den Künstlern teilen viele Hallers innere Zerrissenheit und Zwiegespaltenheit zwischen bürgerlicher und künstlerischer Sphäre. Der Herausgeber bezeichnet das Phänomen sogar als regelrechte »Neurose«, als Krankheit seiner Zeit. Damit spricht er einen Konflikt an, der viele von Hesses Zeitgenossen beschäftigt hat. Der kulturelle Wandel zu Anfang des 20. Jahrhunderts führte dazu, dass sich viele Künstler zwischen der künstlerischen und bürgerlichen Sphäre gefangen sahen. So geht es Haller in Hesses Roman, und ebenso ging es Hesse zur Zeit der Komposition (Stelzig, 1988). Wenn Hesse also den Herausgeber von einer Neurose sprechen lässt, handelt es sich um eine Empfindung, die er selbst auch verspürt hatte.

  • »Haller gehört zu denen, die zwischen zwei Zeiten hineingeraten, die aus aller Geborgenheit und Unschuld herausgefallen sind, zu denen, deren Schicksal es ist, alle Fragwürdigkeit des Menschenlebens gesteigert als persönliche Qual und Hölle zu erleben.«
    – Der fiktive Herausgeber über Harry, S. 21.

    Der Herausgeber erklärt, dass Haller sich nach einer anderen Zeit sehnt und deswegen niemals wirklich in der Moderne ankommen kann. Deswegen kann er seine Gesellschaft besser als andere durchschauen und hinterfragen, und genau daran leidet er. Dass Haller »zwischen zwei Zeiten« geraten ist, wird im Laufe des Romans noch mehrfach erwähnt, wenngleich auf sehr unterschiedliche Weise. So bezeichnet Hermine Haller später als jemanden, der mit »einer Dimension zuviel« lebt, und Haller sieht sich selbst als »schizophren«.

  • »Ich weiß nicht, wie das zugeht, aber ich, der heimatlose Steppenwolf und einsame Hasser der kleinbürgerlichen Welt, ich wohne immerzu in richtigen Bürgerhäusern, das ist eine alte Sentimentalität von mir.«
    – Haller, S. 26.

    Haller beschreibt das bürgerliche Haus, in dem er lebt. Als freiheitsliebender Steppenwolf passt er eigentlich nicht in diese Umgebung, in der er sich eingeengt fühlt. Dennoch kann Haller sich nicht ganz von der Welt der Bourgeoisie losreißen. Sie erinnert ihn, wie er später anmerkt, an seine Kindheit. Daraus wird einerseits wieder einmal Hallers Zerrissenheit deutlich, andererseits aber auch sein Festhalten an dieser Zerrissenheit. Er könnte die bürgerliche Welt sehr leicht hinter sich lassen, indem er sich ganz aus ihr zurückzieht – aber er schafft es nicht. Außerdem tritt in diesen Zeilen Hallers Ähnlichkeit zu Hesse ganz besonders deutlich hervor. Genau wie Haller ist Hesse in einer sehr bürgerlichen Familie aufgewachsen. Aufgrund seines Wunsches Schriftsteller zu werden geriet er mit seinen Eltern als junger Mann in Konflikt (Cornils, 2009) – genau wie Haller, dessen Eltern seinen Willen brechen wollten (S. 11).

  • »Wie sollte ich nicht ein Steppenwolf und ruppiger Eremit sein inmitten einer Welt, von deren Zielen ich keines teile, von deren Freuden keine zu mir spricht!«
    – Haller, S. 28.

    Haller bringt in diesem Satz sehr treffend zum Ausdruck, wie wenig er sich der bürgerlichen Gesellschaft zugehörig fühlt: Er kann ihre Freuden nicht teilen. Zeitgenössische Kinos und Theater, Bars und Varietés sprechen ihn nicht an. Ihn zieht es zur Kunst der früheren Jahrhunderte, zu Dichtung und Musik. Aber sein Geschmack passt nicht in die Moderne. All diese neuen Phänomene – die Massenkultur – sieht er lediglich als Verfallserscheinungen der Gesellschaft (Patzer, 2017).

  • »Ich denke mir: wir Menschen alle, wir Anspruchsvolleren, wir mit der Sehnsucht, mit der Dimension zuviel, könnten gar nicht leben, wenn es nicht außer der Luft dieser Welt auch noch eine andre Luft zu atmen gäbe, wenn nicht außer der Zeit auch noch die Ewigkeit bestünde, und die ist das Reich des Echten.«
    – Hermine zu Haller, S. 142

    Dieses Gespräch zwischen Hermine und Haller findet am Abend vor dem Maskenball statt. Hermine erklärt Haller darin, dass er »eine Dimension zuviel habe«, genau wie sie selbst. Mit dieser zusätzlichen Dimension werden sie in ihrer eigenen Zeit niemals zufrieden sein und das Einzige, was ihnen Hoffnung bieten kann, ist die Aussicht, dass sie nach ihrem Tod das Reich der Ewigkeit erreichen werden. In diesem Reich existiert die wahre Kunst und dort leben die Unsterblichen. Inspiriert von diesem Gespräch schreibt Haller später auch sein Gedicht »Die Unsterblichen«. Das Reich des Echten symbolisiert die traditionelle Kultur, die Haller so sehr verehrt. Als aus der Zeit gefallener Intellektueller sind für ihn die wahren Künstler Personen wie Mozart und Goethe. Allem, was danach kommt, misstraut er. Mit seiner skeptischen Einstellung gegenüber der Kunst der Moderne steht Haller stellvertretend für die Einstellung all jener traditionell orientierten Künstler zu Zeiten der Hochmoderne.

  • »Ein leichtes Leben, eine leichte Liebe, ein leichter Tod – das war nichts für mich.«
    – Haller, S. 147.

    Haller denkt über Hermines Worte nach: dass es ein Reich der Ewigkeit gebe, nach dem alle streben, die wie sie und Haller mit »einer Dimension zuviel« (S. 141) leben. Er beschließt daraufhin, dass er lieber weiter schwermütig und leidend nach diesem Reich streben will; ein leichtes, unbedeutendes Leben lehnt er ab. Allerdings begeht er den Fehler, mit diesem Beschluss auch den Lehren des Traktats den Rücken zu kehren. Das Traktat hatte Haller ermahnt, das Leben mit Humor zu nehmen. Mit seiner Entsagung an die Leichtigkeit tut Haller nun allerdings das genaue Gegenteil.

  • »Ich war nicht mehr ich, meine Persönlichkeit war aufgelöst im Festrausch wie Salz im Wasser.«
    – Haller, S. 157

    Auf dem Maskenball fällt es Haller zunächst schwer, sich dem Vergnügen hinzugeben. Dann aber wandelt sich seine Einstellung schlagartig, und er schafft es, Freude zu empfinden. Dieser Wandel wird dadurch verursacht, dass Haller aufhört, an seiner Selbstwahrnehmung als nicht dazugehöriger Steppenwolf festzuhalten. Daraufhin ist er in der Lage, mit der Menge zu verschmelzen und die Nacht zu genießen.

  • »Denn natürlich ist dein Selbstmord kein endgültiger; wir sind hier in einem magischen Theater, es gibt hier nur Bilder, keine Wirklichkeit. Suche dir schöne und heitere Bilder aus und zeige, daß du wirklich nicht mehr in deine fragwürdige Persönlichkeit verliebt bist!«
    – Pablo zu Haller, S. 165

    Pablo erklärt Haller die Regeln des Magischen Theaters. Um das Theater betreten zu können, muss er seine bisherige Persönlichkeit des Steppenwolfs ablegen, an der er bisher so sehr festgehalten hat. Das kommt einem metaphorischen Selbstmord gleich. Erst nachdem dieser erfolgt ist, wird Haller in der Lage sein, mit Hilfe des Magischen Theaters auch andere Teile seines Selbst kennenzulernen. Da das Magische Theater keine Wirklichkeit enthält, muss Haller mit dem Eintritt eine andere Ebene des Bewusstseins betreten. Auf dieser nicht-wirklichen Ebene wird Haller all die möglichen Selbsts sehen, die er zu seiner Persönlichkeit machen könnte. Fraglich ist lediglich, ob Haller es letztendlich schafft, die Wirklichkeit komplett hinter sich zu lassen.

  • »So wie die Verrücktheit, in einem höhern Sinn, der Anfang aller Weisheit ist, so ist Schizophrenie der Anfang aller Kunst, aller Phantasie.«
    – Schachspieler zu Haller, S. 178

    Der Schachspieler erklärt Haller das, was er »Aufbaukunst« nennt: Da Menschen aus vielen verschiedenen Ichs bestehen, haben sie jederzeit die Möglichkeit, diese Ichs zu einer neuen Persönlichkeit anzuordnen. Diese Fähigkeit, sich stets neu zu erfinden, ist für den Schachspieler die Grundlage für jegliche Kreativität. Mit diesen Worten wiederholt er auch die Lehre des Traktats, dass eine Person sich aus tausenden Ichs zusammensetzt, und nicht, wie Haller bisher geglaubt hatte, aus lediglich zweien. Damit bestätigt er die Lehre des Traktats und die Pablos: dass Haller sich nicht nur als Steppenwolf sehen darf. Das ist eine wichtige Lehre für all diejenigen, die wie er zwischen zwei Zeiten geraten sind. Es ist der einzige Weg, den historischen und kulturellen Wandel zu überstehen, ohne an dessen Geschwindigkeit zu verzweifeln.

Veröffentlicht am 26. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. Mai 2023.