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1984

Anhang

Zusammenfassung

Der Anhang des Romans beschäftigt sich mit dem Prinzip der ozeanischen Staatssprache Neusprech. Es folgt eine Analyse der elften und letzten Ausgabe des Neusprech-Wörterbuches.

Die Sprache ist dazu da, die politische Ideologie des englischen Sozialismus (hier wird er Engsoz genannt) zu festigen. Es soll nur noch Wörter geben, die in dieser Ideologie existieren und sie bestätigen. Dadurch werden Gedanken außerhalb der Ideologie unmöglich gemacht.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Wortschatz extrem verringert werden. Für jeden Ausdruck soll es nur noch eine genaue Bedeutung geben – Mehrdeutigkeit soll ausgelöscht werden. Ein Beispiel dafür ist das Wort »frei«, das in Neusprech nur noch im Sinne von »dieses Feld ist frei von Unkraut« oder »dieser Hund ist frei von Flöhen« (405) verwendet wird. Geistige Freiheit gibt es nicht mehr in der Bedeutung dieses Wortes.

Mit diesem Kürzungsprozess geht die Vernichtung vieler Kulturwerke einher, die man beim Versuch, sie zu »übersetzen«, zu etwas anderem macht. Diejenigen, die sich nicht übersetzen lassen, werden einfach ausgelöscht.

Wörter werden in drei Vokabelklassen unterteilt: A, B und C. In Klasse A finden sich die meisten Gebrauchswörter des täglichen Lebens, wie »rennen«, »Hund« oder »Baum«. Es sind Worte, die nicht für politische Diskussionen verwendet werden können. Stattdessen geht es hier nur um Gedanken, die einen bestimmten Zweck oder eine Handlung verfolgen.

Im B-Vokabular finden sich Wörter des politischen Gedankenguts. Es sind also Wörter, die die gewünschten Geisteshaltungen des Engsoz ausdrücken, wie »Gutdenker« (410). Im C-Vokabular findet man dann wissenschaftliche und technische Ausdrücke. Jedoch gibt es kein übergreifendes Prinzip der Wissenschaft – nur Wörter, die für bestimmte Menschen in Spezialgebieten gebraucht werden müssen.

Die Grammatik wird auf das Einfachste heruntergebrochen und ist sehr ungewöhnlich: Wortarten können nämlich beliebig ausgetauscht werden. Jedes Wort kann als Substantiv, Verb, Adjektiv oder Adverb verwendet werden. Aus »Gedanke« macht man zum Beispiel »Denk«. Für ein Adverb wird die Endung »weise« angehängt, für ein Adjektiv »voll«.

Auf lange Sicht soll Neusprech Altsprech (das alte Englisch) vollständig ersetzen. Menschen, die sich im Übergang der Sprachen befinden, sollen die Mehrbedeutungen, an die sie sich erinnern, durch Doppeldenk auslöschen. Bis 2050 soll sich niemand mehr an die alte Sprache erinnern. Menschen, die nur mit Neusprech aufwachsen, haben demnach zum Beispiel weder Ausdrücke für »Ehre« und »Moral« noch für »Gerechtigkeit«, »Demokratie«, »Wissenschaft« oder »Religion«.

Analyse

Ähnlich wie der Abschnitt des Goldstein-Buchs in Kapitel 9 des zweiten Teils, fällt der Anhang aus dem sprachlichen und strukturellen Muster des Romans. Er ist eher im Stil einer fachlichen Abhandlung geschrieben und stellt eine »satirische Erweiterung« (Herforth 2016: 72) dar.

Eine Erweiterung ist der Abschnitt deswegen, weil das Konzept von Neusprech schon in Kapitel 5 durch Syme eingeführt wurde. Der Anhang blickt auf diesen Romanabschnitt zurück und konkretisiert ihn durch weitere Ergänzungen.

Sprache und Realität hängen eng zusammen. Die Sprache konstruiert die Realität. Das macht sich die Partei mit den Prinzipien von Neusprech zunutze. Neusprech zielt darauf ab, das Denken der Menschen zu kontrollieren, indem es die Sprache vereinfacht und manipuliert. Durch die Einschränkung des Vokabulars und die Umdeutung von Wörtern werden alternative Gedanken und Meinungen unterdrückt. Neusprech schafft eine begrenzte und eingeschränkte Denkwelt, in der die Menschen nur noch in den vorgegebenen Grenzen der Partei denken können. Durch diese Manipulation der Sprache wird die Wahrheit verzerrt und die Möglichkeit einer objektiven Kommunikation und des Verständnisses der Realität untergraben.

Neusprech ist eine Form von Kritik an den aktuellen Sprachverhältnissen und hat aufgrund der Überspitzung und Übertreibung dieser einen satirischen Unterton. In der Kritik stehen viele Entwicklungen zu Orwells Zeit, wie beispielsweise das Aufkommen von Abkürzungen, aber auch der Einfluss der Ideologie auf die Sprache und die Literatur wie zum Beispiel im Nationalsozialismus (vgl. Herforth 2016: 72).

Orwell beschäftigte sich selbst mit sprachwissenschaftlichen Themen, wie zum Beispiel in seinem Essay »Politics and the English Language« von 1946. Darin kritisiert er den Verfall der englischen Sprache zu unklarem und abstraktem Jargon, die politische Manipulation und Verschleierung durch die Sprache sowie die Wechselwirkung zwischen dem sprachlichen und dem politischen Denken. Bei dieser beeinträchtige ein Mangel an Klarheit und Präzision das Denken. Er argumentiert, dass die Verwendung von präziser und klarer Sprache von entscheidender Bedeutung ist, um Missbrauch und Manipulation in politischen Diskursen zu vermeiden und eine ehrliche und effektive Kommunikation zu ermöglichen (vgl. Orwell 1946).

Veröffentlicht am 31. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2023.