Skip to main content

1984

Erster Teil: Kapitel 1–3

Zusammenfassung

Der Roman spielt im Jahr 1984, in dem sich die drei Supermächte der Welt, Ozeanien, Eurasien und Ostasien nach zahllosen Kriegen und Revolutionen innerhalb ihrer Grenzen im Friedenszustand befinden. Zu Beginn des Romans führen Ozeanien und Eurasien miteinander Krieg. Die Hauptfigur des Romans Winston Smith ist 39 Jahre alt, hat ein Krampfadergeschwür und lebt in London im totalitären Überwachungsstaat Ozeanien. Die Partei, angeführt vom »Großen Bruder«, kontrolliert diesen Staat und die darin lebenden Menschen, indem sie unter anderem deren Freiheit oder Privatsphäre komplett unterbindet.

Dazu sind in jedem Zimmer sogenannte »Telemonitore« in die Wand eingelassen, die durchgehend Propaganda senden. Am anderen Ende der Monitore befinden sich Mitglieder der »Gedankenpolizei«, denen es möglich ist, den Einzelnen über die Monitore jede Sekunde in Bild und Ton zu überwachen. Es gibt vier Ministerien, je eines für Wahrheit, Frieden, Liebe und Fülle, allerdings setzen sie sich jeweils immer für das Gegenteil ein. Die Parteiparolen, die Winston von seinem Fenster aus lesen kann, lauten: »KRIEG IST FRIEDEN/FREIHEIT IST SKLAVEREI/UNWISSENHEIT IST STÄRKE« (9).

Winston Smith kommt eines Abends im April von seiner Arbeit für die Äußere Partei im Wahrheitsministerium nach Hause und beginnt damit, ein Tagebuch zu schreiben. Das gilt in Ozeanien als Gedankenverbrechen und Winston ist klar, dass er dafür irgendwann verhaftet und erschossen werden wird. Trotzdem hält er an seinem Vorhaben fest.

Er lässt seinen Arbeitstag Revue passieren: Um elf Uhr hat er am sogenannten »Zwei-Minuten-Hass« teilgenommen, bei dem alle Mitarbeiter vor einem Telemonitor in grenzenlose Raserei versetzt werden. Das Ziel der Aggression ist der Staatsfeind Emmanuel Goldstein, der mit seiner Organisation der »Bruderschaft« im Untergrund agieren soll. Winston verdächtigt eine junge Kollegin, der Gedankenpolizei anzugehören und ihn zu verfolgen. Außerdem denkt er an O’Brien, ein Mitglied der Inneren Partei, mit dem er einen Blick austauschte. Er hat das Gefühl, O‘Brien könnte wie er rebellische Gedanken hegen.

Es klopft an Winstons Tür: Seine Nachbarin Mrs. Parsons bittet ihn um Hilfe bei einem verstopften Spülbecken. Mrs. Parsons ist die Ehefrau des parteitreuen Tom Parsons, der ebenfalls mit Winston im Wahrheitsministerium arbeitet. Die beiden haben zwei Kinder, die Winston bedrängen und ihn in angriffslustigen Spielen als »Gedankenverbrecher« oder »Goldstein« beschuldigen. Wie allen Kindern Ozeaniens bringt man ihnen in Jugendorganisationen wie den »Spionen« schon früh aggressives Verhalten und das Aufspüren von Andersdenkenden bei.

Im dritten Kapitel träumt Winston von seiner Mutter und seiner kleinen Schwester, die verschwanden, als er ungefähr zehn Jahre alt gewesen war. Im Traum befinden sich die beiden an einem tiefgelegenen, unterirdischen Ort, der immer tiefer sinkt, während Winston oben im Licht und an der Luft ist. Er hat den Eindruck, beide würden für ihn sterben.

Anschließend taucht in dem Traum zum ersten Mal Winstons Vorstellung vom »Goldenen Land« (44) auf, eine ungepflegte, friedliche Wiese in wilder Natur. Die junge Kollegin, die Winston verdächtigt, eine Agentin der Gedankenpolizei zu sein, erscheint auf der Wiese und entledigt sich ihrer Kleider. In diesem Moment wird Winston vom Telemonitor geweckt.

Dieser ruft zum Frühsport, bei dem sich Winston jedoch nicht richtig konzentrieren kann. Er denkt über das Konzept der Erinnerung und der Vergangenheit an sich nach: In Ozeanien wird die Vergangenheit von der Partei verändert und damit die gesamte Realität der Welt kontrolliert. Winston denkt an den zurückliegenden Krieg mit der Supermacht Ostasien, der nun anhand der veränderten Aufzeichnungen laut der Partei nie stattgefunden hat. Auch ein früheres Bündnis mit Eurasien, an das er sich erinnert, gebe es nicht – im allgemeinen Verständnis hat Ozeanien schon immer mit Eurasien Krieg geführt.

Tatsächlich erinnert sich Winston an nur einen einzigen Beweis für diese Fälschung von historischen Tatsachen. Doch die Vorführerin der Sporteinheit ermahnt ihn aus dem Telemonitor heraus und reißt ihn aus seinen Gedanken.

Analyse

In den ersten Zeilen des Romans verbergen sich schon zwei wichtige Symbole: der Staub und der Wind. Ein »hässlicher Wind« weht »Wirbel körnigen Staubs« (5) durch die Türen von Winstons Wohnblock, den er gerade betritt. Mit dem Wind weist Orwell auf die »Unbezähmbarkeit der Natur« (Hanowell 2021: 425) und auf den Zufall hin – beides Dinge, die sich vom totalitären Regime nicht kontrollieren lassen.

Der Staub spielt noch eine wichtigere Rolle. Er ist überall im London von »1984« zu sehen – er bedeckt die Straßen (vgl. 6), die Häuser (vgl. 119) und gräbt sich sogar in die Gesichter der Menschen: Als Winston Mrs. Parsons trifft, stellt er fest, dass sich »Staub in den Falten ihres Gesichts abgelagert hatte« (34). Den Staub kann man als Zeichen der Verwahrlosung der Stadt und ihrer Bewohner sehen und er steht außerdem für die Spuren der Vergangenheit, die sich noch immer überall befinden. Der Staub symbolisiert aber auch die Macht der Partei, die sich über alles erstreckt: Gesichter, Straßen, Geräte, Zigaretten, Bilderrahmen. Er ist eine Erinnerung an die allgegenwärtigen Mächtigen (vgl. Waddell 2020: 171).

Orwells Buch ist deswegen so faszinierend und auch erschreckend, weil sich bei der Lektüre viele eigene Assoziationen und Verbindungen zu realen Ereignissen in der Welt ergeben. Somit kann man es auch als Allegorie, als indirekte Aussage über die Welt, verstehen.

Vor allem der geschilderte Überwachungsstaat erinnert zum Beispiel an die Sammlung privater Daten durch die Sozialen Medien, Google oder Amazon und an Staaten wie China, in denen die ständige Überwachung ihrer Bürger schon an der Tagesordnung ist (vgl. hierzu auch Kapitel 9. Interpretationsansätze).

Der Aufbau des Überwachungsapparates in »1984« ist dem Konzept eines Gefängnisses sehr ähnlich, das der englische Philosoph Jeremy Bentham im 16./17. Jahrhundert entwarf. Es nennt sich »Panopticon« und ist ein kreisrundes Gebäude mit einem Wachturm in der Mitte. Dem Gefängniswächter ist es durch die besondere Konstruktion des Gefängnisses und der offenen, immer mit Licht durchfluteten Zellen jederzeit möglich, jede Bewegung der Gefangenen wahrzunehmen. Er selbst ist jedoch für die Gefangenen unsichtbar. So wird das gute Benehmen der Gefangenen immer gewährleistet, auch wenn scheinbar gar kein Wächter anwesend ist.

Das Prinzip des Panopticons wird auch vom Großen Bruder angewendet: Durch die zahlreichen Telemonitore und die Möglichkeit der ständigen Überwachung hält er die Menschen in Schach. Der französische Philosoph Michel Foucault nennt das Panopticon als wichtiges Merkmal moderner Überwachungsgesellschaften (vgl. Foucault 1977).

In diesen ersten Kapiteln wird der Konflikt aufgebaut und die Ausgangssituation vorgestellt. Gleichzeitig erzeugt Orwell Spannung durch Winstons allmähliche Zweifel, die später noch stärker aufkeimen werden. Auch wenn der Leser noch nicht alles versteht, wird seine Neugier geweckt und durch den »Cliffhanger« am Ende von Kapitel 3 auf dem Höhepunkt gehalten.

Veröffentlicht am 31. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2023.