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1984

Dritter Teil: Kapitel 4–6

Zusammenfassung

Im vierten Kapitel übt sich Winston im Doppeldenk und kommt körperlich wieder etwas auf die Beine. Man versorgt ihn nun besser und er darf sogar auf Papier schreiben. Er macht Sportübungen und merkt, nachdem er seinen Intellekt wieder nutzen kann, dass es falsch war zu rebellieren.

Er träumt von Julia und hat einen heftigen Gefühlsausbruch, in dem er von Liebe zu ihr erfüllt ist. Er hasst die Partei noch immer, was die Fortschritte zunichtemacht, für die er bis jetzt im Ministerium für Liebe gearbeitet hat. Er denkt an seine Hinrichtung und plant, seine wahren Gedanken bis dahin zu verbergen und seinen letzten Gedanken dem Hass zu widmen. Damit wäre die Partei an ihm gescheitert.

O’Brien kommt herein und wirft ihm vor, ihn getäuscht zu haben. Er fragt ihn nach seinen wahren Gefühlen gegenüber dem Großen Bruder und Winston antwortet, er hasse ihn. O’Brien bringt ihn daraufhin in Raum 101.

Im fünften Kapitel wird das Geheimnis um Raum 101 gelüftet. In diesem Raum begegnet jeder Gefangene seiner größten Angst. Für Winston wird ein zweigeteilter Käfig bereitgestellt, in dem Ratten sitzen. Winston wird auf einem Stuhl festgeschnallt und der Käfig an seinem Kopf befestigt.

O’Brien erklärt ihm, dass es für jeden etwas Unerträgliches gibt, das schlimmer ist als Schmerz. Für Winston sind das Ratten. Er erkennt, dass die Wand aus Dunkelheit, die er in seinen Träumen gesehen hat, aus Ratten bestanden hat. O’Brien erklärt ihm, dass er die Käfigtüren öffnen wird und die Ratten ihn anschließend bei lebendigem Leibe fressen werden.

Winston gerät in blinde Panik, schreit und wird fast ohnmächtig. Er sieht nur noch einen Ausweg: Er muss eine andere Person zwischen sich und die Ratten stellen. Er schreit, man solle lieber Julia nehmen als ihn und sie der Bestrafung aussetzen. Damit verrät er sein tiefstes Gefühl, seine Liebe zu ihr.

Kapitel 6 beschreibt, wie Winston wieder außerhalb des Gefängnisses lebt. Ab und zu arbeitet er in einer Unterabteilung des Ministeriums für Wahrheit, die aus Leuten wie ihm besteht. Sie beschäftigen sich offiziell mit der Arbeit am Neusprech-Wörterbuch, haben allerdings in der Realität kaum Aufgaben. Den Rest seiner Zeit verbringt er im Chestnut Tree Café, spielt Schach, liest Zeitung und trinkt Gin.

Ozeanien befindet sich im Krieg mit Eurasien und die gängige Meinung ist, dass es sich schon immer im Krieg mit Eurasien befunden hat. Winston wartet auf eine Meldung aus dem Telemonitor und denkt dabei an Julia. Wie in Trance malt er »2+2=5« in den Staub auf dem Tisch. An einem kalten Tag im März ist er Julia begegnet. Beide haben eingeräumt, den anderen in Raum 101 verraten zu haben. Sie empfinden nichts mehr füreinander – das Erlebte und der Verrat haben sie als Menschen gebrochen.

Was O’Brien prophezeit hat, ist eingetreten – Winston ist den Zielen der Partei durch die Gehirnwäsche verbunden. Er denkt an seine Familie, entscheidet aber dann, dass es eine falsche Erinnerung ist. Der Telemonitor im Café verkündet einen entscheidenden Sieg, den Ozeanien über Eurasien errungen habe. Winston fühlt Rührung und Dankbarkeit, als er aus dem Fenster hinaus auf das Plakat des Großen Bruders blickt. Er träumt von seiner bevorstehenden Hinrichtung und erkennt, dass er geschafft hat, was O’Brien von ihm wollte – er liebt den Großen Bruder.

Analyse

In Kapitel 5 wird Winston in den berüchtigten Raum 101 gebracht. Dieser zeigt noch einmal deutlich die Macht der Partei: Durch ihre Allgegenwärtigkeit und ihre zahlreichen Überwachungsmethoden kennt sie die größte Angst eines jeden – und diese wartet in Raum 101.

Winston wird klar, dass die dunkle Wand in seinen Träumen aus Ratten bestand und ein Hinweis auf diese letzte Station war. Genauso setzen die Ratten das Foreshadowing aus Kapitel 4 in den Kontext – es wird nun klar, dass die Partei Winston zu diesem Zeitpunkt beobachtet hat. Die Ratte im Zimmer über Charringtons Laden erhält die Bedeutung einer Warnung für das, was kommen wird.

Die Konfrontation mit Winstons größter Angst ist der zweite große Höhepunkt des Romans. Der Konflikt zwischen Winstons Wunsch nach Freiheit und der natürlichen, menschlichen Angst erreicht seinen Zenit.

In Kapitel 3 kurz vorher wird das Wesen des Menschen erneut thematisiert, als O’Brien Winston als den letzten Menschen (vgl. 366) bezeichnet. Er zeigt ihm sein Spiegelbild, das verwahrlost und ausgemergelt ist, und veranschaulicht so die Kontrolle, die die Partei über den Körper hat. In Kapitel 4 akzeptiert Winston diese Kontrolle über den Körper. Er beharrt jedoch auf der Unabhängigkeit seines Geistes. Immer noch glaubt er, mit freien Gedanken sterben zu können. O’Brien hingegen hat ihn schon vorher gewarnt: »Der Mensch ist endlos formbar« (365). Es geht also um die »Plastizität [Verformbarkeit] der menschlichen Natur« (Böker 2020: 1). Sie steht im Gegensatz zu der Ansicht, die Julia und Winston teilten, dass die Partei die Gefühle nicht beeinflussen kann. Dieses Kapitel zeigt, dass sie es kann und dass es für jeden einen Moment gibt, in dem er bricht.

Winston kehrt zurück in das Chestnut Tree Café, in dem er sich nun in derselben Weise aufhält wie zuvor Jones, Aaronson und Rutherford, die er dort beobachtet hatte. In genau dem Moment, als er an das Treffen mit Julia denkt, ertönen aus dem Telemonitor wieder die Zeilen »Under the spreading chestnut tree/I sold you and you sold me« (ebd.). Es wird klar, dass es sich bei dem »Verkauf« um den Verrat der eigenen Gefühle und der Liebe handelt. Der Große Bruder erscheint wie »ein allmächtiger Gott […], der weiß, wann Winston das Café betritt, und der die Musik entsprechend ändern läßt« (Plank 1983: 46).

Jones‘, Aaronsons und Rutherfords Tränen ergeben nun einen Sinn, waren es doch wie bei Winston jetzt Tränen der Rührung über die Liebe zum Großen Bruder (vgl. 397). Der Große Bruder wirkt wegen dieser Anbetung auf eine verdrehte Art auch wie ein Gott der Liebe (vgl. ebd.).

Das düstere Fazit des Romans ist klar: »Jeder wird früher oder später geheilt« (371), sagt O’Brien zu Winston. Es wird noch einmal deutlich, dass es in einem Regime wie diesem keine Helden geben kann.

Veröffentlicht am 31. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2023.