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1984

Zweiter Teil: Kapitel 1–3

Zusammenfassung

Einige Zeit später trifft Winston im Wahrheitsministerium erneut auf die Frau. Sie trägt den rechten Arm in einer Schlinge. Plötzlich stolpert sie und fällt der Länge nach hin. Als er ihr auf die Beine hilft, drückt sie ihm heimlich ein Stück Papier in die Hand. Winston kehrt an seinen Arbeitsplatz zurück und entfaltet bei der nächsten Gelegenheit den Zettel: Dort stehen die Worte »Ich liebe dich« (146).

Es vergeht eine Woche, bis sich Winston in der Kantine eine Möglichkeit bietet, mit der Frau zu sprechen. Sie verabreden ein Treffen für denselben Abend am Hauptplatz Victory Square. Dort ist eine Hinrichtung von Kriegsgefangenen angesetzt, weshalb sich die Menschen auf dem Platz nur so tummeln. Winston und die junge Frau treffen etwas zeitversetzt am Victory Square ein. Als ein Gefangenentransport den Platz überquert, schafft es Winston, sich in der Menge neben sie zu drängen. Sie gibt ihm Anweisungen für ein Treffen auf dem Land am kommenden Sonntag. Mehr sprechen sie nicht miteinander, doch als sie sich trennen, berühren sich ihre Hände kurz.

Im Kapitel 2 kommt es zum Treffen auf einer Waldlichtung außerhalb von London. Winston erfährt den Namen der jungen Frau: Sie heißt Julia und ist gegen das Regime der Partei. Weil sie in Winston einen Verbündeten vermutet hatte, fühlte sie sich zu ihm hingezogen und hatte ihm deshalb den Zettel zugesteckt. Winston und Julia küssen sich und Julia packt richtige Schokolade aus, die sie vom Schwarzmarkt bekommen hat. Sie erzählt ihm, dass sie ihre Mitgliedschaft beim Junioren-Anti-Sex-Bund als Tarnung für ihre wahre Meinung benutzt.

Außerdem ist Sex eine Möglichkeit für sie, persönlichen Widerstand zu leisten. Winston erregt dieser Umstand, denn auch er sehnt sich danach, der Partei etwas entgegenzusetzen. Es kommt zur ersten sexuellen Begegnung von Winston und Julia. Doch diese ist geprägt von Hass gegen die Partei und dient nur dem Zweck, ein politisches Statement zu setzen.

Sie arrangieren ein weiteres Treffen im selben Monat, in einem Glockenturm einer alten Kirche. Wegen der Gefahr durch die Gedankenpolizei unterhalten sie sich meist nur bruchstückhaft bei Begegnungen auf der Straße im Gedränge. Bei einem Bombenanschlag schaffen sie es sogar einmal, einen Kuss auszutauschen.

Im Glockenturm sprechen sie über Julias Leben: Sie ist 26 und arbeitet in der Abteilung für Fiktion, in der Romane mithilfe einer Maschine hergestellt werden. Julia hat sich schon in jungen Jahren für die Partei engagiert, war erfolgreich in Sportmannschaften und bei den Spionen. Wegen ihres guten Rufs hat sie sogar in der Pornoab gearbeitet, einer Zweigstelle der Abteilung für Fikton, die billige Pornografie herstellt. Dort dürfen überwiegend Frauen arbeiten, da man der Ansicht ist, diese könnten ihren Sexualtrieb besser kontrollieren als Männer.

Julia hatte im Gegensatz zu dieser Vorstellung schon einige Affären, hauptsächlich mit Parteimitgliedern. Winston erzählt ihr von Katharine und seinem Eheleben, was Julia interessiert. Sie beschäftigt sich intensiv mit dem Sexualtrieb und versteht genau, aus welchem Grund die Partei diesen unterdrückt. Durch die Enthaltsamkeit soll nämlich Energie angestaut werden, die dann in Hass umgewandelt und in Begeisterung für den Krieg und die Parteiaktivitäten gesteckt werden kann.

Winston erzählt Julia von einer Wanderung mit Katharine. Dort hatte sie am Rand eines Kalksteinbruchs gestanden und er hatte ihr die Hand um die Taille gelegt. Ihn packte der Gedanke, sie hinunterzustoßen. Mit Julia teilt er nun, dass er bereut, es nicht getan zu haben.

Insgesamt ist er jedoch der Ansicht, dass sich dadurch nichts geändert hätte. Auch wenn Winston gegen die Partei kämpfen will, so sind seine Gedanken doch vom Tod beherrscht, der für ihn unabwendbar am Ende des Ganzen steht. Julia teilt seine Ansicht nicht – sie ist jung und idealistisch und will die Zeit, die sie miteinander haben, genießen. Sie wechselt das Thema und die beiden verabreden ein erneutes Treffen auf der Waldlichtung.

Analyse

Im zweiten Teil des Romans treibt Winston seine Auflehnung gegen das System nun auf die Spitze. Er geht eine verbotene Beziehung mit Julia ein und tut genau das, was die Partei so stark zu unterdrücken versucht: Er entwickelt Gefühle und sexuelle Lust. Als er Julias Zettel liest, ist es, als würde »ein Feuer […] in seinem Bauch brennen« (147). Er entwickelt das Bedürfnis, »am Leben zu bleiben« (148). In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass sich Winston langsam wieder wie ein richtiger Mensch fühlt.

Neben Überwachung, Doppeldenk und Realitätskontrolle wird auch die Unterdrückung des Sexualtriebs von der Partei eingesetzt, um die Menschen zu kontrollieren. Das Thema Sex taucht schon im 6. Kapitel des ersten Teils auf, wo Winston sich an den Besuch bei einer Prostituierten erinnert. Dabei wird deutlich, worin das Verbot besteht: Sex zwischen Parteimitgliedern gilt als unverzeihlich, Prostitution hingegen wird nur mit fünf Jahren Arbeitslager bestraft, und vor allem dann nicht so schwer, »wenn das Ganze so verstohlen wie freudlos über die Bühne ging und nur Frauen einer unterdrückten und verachteten Klasse betraf« (90). Das ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass Proles ohnehin nicht als Menschen, sondern eher als Tiere oder Dinge betrachtet werden.

Winston und Julia begehen das Verbrechen der schamlos ausgelebten Erotik zweier gleichwertiger Personen. Hier muss man sich fragen, ob Männer und Frauen allerdings tatsächlich als gleichwertig betrachtet werden. Winston denkt schon zu Beginn des Romans, dass es gerade junge, schöne Frauen sind, die der Partei am ergebensten dienen, weswegen er auch Julia anfangs misstraut (vgl. 17). Im Gespräch mit Julia auf der Waldlichtung wird erneut ein Unterschied in der Darstellung der Geschlechter deutlich: Nur unverheiratete Frauen dürfen in der Pornoabteilung arbeiten. Denn »[d]ie jungen Frauen gelten immer als sittlich rein« (177), wie Julia es ausdrückt. Hier wird trotz der sonstigen Gleichstellung Sexismus deutlich, den die Partei vertritt.

Diese Vorstellungen treffen bei Julia überhaupt nicht zu. Winston und sie verlieben sich, weil sie die rebellischen Gedanken gemeinsam haben – Julia lebt diese durch Sex aktiv aus und Winston erregt dieser Umstand. Der Genuss von sexueller Nähe ist jedoch alles, was die beiden wirklich gemeinsam haben: Während Winston gerne über das System philosophiert, lehnt Julia die meisten Diskussionen ab, die nichts mit der Sexualität zu tun haben.

Winston beschäftigt sich in diesem Romanabschnitt vor allem mit dem Wesen des Menschen. Eine wichtige Textstelle dazu ist seine These: »Solange der Mensch menschlich bleibt, sind Leben und Tod ein und dasselbe.« (183). Damit meint er, dass es keinen Unterschied macht, ob er stirbt, solange er sich seine Menschlichkeit bewahrt. Dass die Partei auch über diese Kontrolle hat, weiß er noch nicht.

Auf der Waldlichtung kommt ein weiteres wichtiges Symbol zum Einsatz: »das Goldene Land« (167). Es ist eine Landschaft, die Winston oft im Traum sieht, eine paradiesische Welt. Das Feld neben der Lichtung, auf der sich Julia und er näherkommen, sieht der Landschaft aus Winstons Traum bis auf die kleinsten Details ähnlich. Sie ist ein Symbol für die äußerste Menschlichkeit und die friedlichste, unberührteste Natur. Außerdem ist sie der größtmögliche Kontrast zum heruntergekommenen, durch die Partei beherrschten, industriellen und kalten London.

Veröffentlicht am 31. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2023.