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Im Westen nichts Neues

Historischer Hintergrund und Epoche

Im Jahr 1917 begann Remarque damit, an einem literarischen Text über den Krieg zu schreiben. Er hatte selbst als junger Soldat im Ersten Weltkrieg gekämpft und lag zu dieser Zeit im Lazarett. Er setzte seine Arbeit aber erst zehn Jahre später fort. Der Vorabdruck in der »Vossischen Zeitung« erschien 1928, also zehn Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges. Remarque arbeitete sein Manuskript mehrmals um und passte es den Wünschen des Verlags an, sodass es weniger politisch war und stärker die Perspektive eines unerfahrenen jungen Soldaten betonte. 1929 erschien »Im Westen nichts Neues« dann als Buchdruck im Propyläen Verlag, der zum gleichen Konzern (Ullstein) gehörte wie die »Vossische Zeitung«. 

Es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, was Remarque dazu bewegte, den Roman zu schreiben. Zunächst gab er selbst an, ihn zur Bewältigung der eigenen Kriegserinnerungen verfasst und in sehr kurzer Zeit niedergeschrieben zu haben. Die früheren Fassungen und Dokumente des Verlags zeigen jedoch, dass Remarque dies so der Presse sagte, um den Roman erfolgreich vermarkten zu können, was auch gelang. Das führte jedoch auch dazu, dass »Im Westen nichts Neues« fälschlicherweise als authentischer Erlebnisbericht eines einfachen Soldaten gesehen wurde. 

Remarque hat den Ersten Weltkrieg an der Front miterlebt und mit Zeitgenossen über die Erlebnisse gesprochen, sodass sich sagen lässt, dass der Roman autobiografische Elemente enthält. Es handelt sich aber in erster Linie um ein künstlerisches Werk, das auch unabhängig von der Person Remarque einen Teil des Zeitgeschehens zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts literarisch verarbeitet.

»Im Westen nichts Neues« gehört in die Epoche der Weimarer Republik. Die Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg und der Kaiserzeit gehörte zu den Schwerpunktthemen dieser literarischen Epoche.

    Inhaltlich spielte von Anfang an die Einstellung zum Krieg eine große Rolle; die Darstellungen decken eine breite Skala ab: von der resignierenden Einsicht in die Tatsache der Unvermeidlichkeit von Kriegen bis zur Verherrlichung von Krieg und Soldatentum, von einer kritischen Distanzierung bis zum radikalen Pazifismus. (Leiß/Stadler, S. 239)

Der Krieg war ein großes Streitthema. Die Stellungs- und Grabenkämpfe des Ersten Weltkriegs wurden als »fundamentale[r] Kulturbruch« (Honold, Alexander, S. 403) empfunden. Zunächst überwog noch die Kriegsbegeisterung in vielen literarischen Werken, unter anderem von Thomas Mann, Gerhard Hauptmann oder Alfred Döblin. Doch bald gab es auch Gegenstimmen, in denen das Kaiserreich, das militärische System und der Krieg offen kritisiert wurden, darunter von Heinrich Mann und Arnold Zweig. 

Es ist zu beachten, dass sich die Sicht auf den Ersten Weltkrieg und das Thema Krieg überhaupt zu dieser Zeit stark von der heutigen Perspektive unterscheidet, die unter anderem durch die Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs geprägt ist. Remarque selbst schreibt, dass in der Zeit von 1914–1918 in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem die »heroische Seite des Krieges« (Remarque b, S. 62) gesehen wurde: »Die Geschichtsbücher verzeichnen den Ruhm tapferer Helden, die ewiges Ansehen erwarben, indem sie für ihr Land eroberten, fochten und starben« (ebd.).

Die Stimmung im Land war gespalten. Die Erlebnisse des Krieges lagen noch nicht weit zurück. Viele, die das Grauen der Grabenkämpfe selbst erlebt hatten, fühlten sich von authentischen Darstellungen wie in Remarques Roman »Im Westen nichts Neues« angesprochen. Andere dagegen hatten den Eindruck, dass ihnen durch die kritische Sicht auf den Krieg die Ehre abgesprochen wurde. Darstellungen, die die Sinnhaftigkeit von Krieg überhaupt anzweifelten, stellten damit auch die uneingeschränkte Heroisierung von Soldaten infrage. Für viele war dies nach der militärischen Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg aber das Einzige, worin sie Selbstbestätigung fanden.

Zur Unruhe und Unzufriedenheit im Land trug auch die Verbreitung der sogenannten Dolchstoßlegende bei:

    Kaum eine andere Parole hat so viel zur Zerstörung der Demokratie in der Weimarer Republik (1918 bis 1933) beigetragen. Bald nach der Niederlage der deutschen Streitkräfte im Ersten Weltkrieg im November 1918 war in reaktionären Zeitungen zu lesen, das deutsche Heer sei im Felde unbesiegt, aber von hinten, aus der Heimat heraus, mit einem Dolchstoß erledigt worden. Gemeint war damit die angeblich zu geringe Unterstützung der kämpfenden Truppen. Der Vorwurf richtet sich zuvorderst gegen die am 3. Oktober 1918 gebildete parlamentarische Regierung und dann gegen Parlamentarismus und Demokratie überhaupt. (bpb)

Der politische Streit erreichte einen Höhepunkt, als ein Jahr nach der Veröffentlichung des Romans von »Im Westen nichts Neues« die US-amerikanische Verfilmung von 1930 zu heftigen Protesten von Nationalisten und Nationalsozialisten führte. Joseph Goebbels, der zu diesem Zeitpunkt schon Reichspropagandaleiter war, startete eine Kampagne gegen den Film, da er die Zerstörungskraft und Sinnlosigkeit des Krieges zeigte, und ließ ihn schließlich verbieten (vgl. Leiß/Stadler, S. 237–239).

»Im Westen nichts Neues« entstand in einer historisch kritischen Zeit zwischen Erstem Weltkrieg und Nationalsozialismus, in der die Literatur sich sehr stark in das politische Geschehen einmischte und nicht nur von Gebildeten gelesen wurde.

Veröffentlicht am 2. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. April 2023.