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Im Westen nichts Neues

Kapitel 2

Zusammenfassung

In diesem Kapitel denkt Bäumer über Ereignisse der Vergangenheit, die neuen Werte im Angesicht des Krieges und das Verhältnis zwischen seiner und der älteren Generation (der Lehrer) nach. Er besucht Kemmerich, bevor dieser stirbt, noch einmal im Lazarett und nimmt dessen Stiefel für Müller mit.

Bäumer denkt darüber nach, dass er vor dem Krieg ein bürgerliches Leben geführt hat, in dem Bildung eine wichtige Rolle spielte. Er hat damals Gedichte geschrieben und ein Drama begonnen. Diese Zeit kommt ihm jetzt unwirklich vor, weil sie sich von der Wirklichkeit an der Front so stark unterscheidet, dass er das Gefühl hat, sein früheres Leben sei »abgeschnitten« (s. 23). Er betont, dass es für ihn und seine ehemaligen Klassenkameraden, die jetzt Zwanzigjährigen, anders sei als für die Älteren, da diese vor dem Krieg ein Berufs- und Familienleben hatten, die Schüler aber nicht viel hatten, mit dem sie jetzt noch »verbunden« (S. 23) sind.

Der Ich-Erzähler erinnert sich an die zehn Wochen zwischen Schulzeit und Einsatz an der Front, in denen er und seine Klassenkameraden im Bezirkskommando für den Krieg ausgebildet wurden. Er beschreibt dies als eine Zeit, in der sich ihre innere Orientierung vollständig änderte: Die vorher wichtigen Werte Bildung und Freiheit wurden durch Ordnung und Gehorsam ersetzt. Bäumer beschreibt, wie der Unteroffizier Himmelstoß ihn und seine Freunde in der militärischen Ausbildung schikaniert hat und wie sie sich ihm durch Provokation und Ungehorsam widersetzten. Diese Erlebnisse haben sie abgehärtet und erst dazu befähigt, später die Situation an der Front auszuhalten.

Bäumer sieht nicht nur Verrohung und eine innere Härte als Folgen ihrer militärischen Ausbildung. Er hebt hervor, dass sich durch den Drill in der Kaserne und die unfaire Behandlung durch Himmelstoß ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hat. Diese Kameradschaft bezeichnet er als das Wichtigste, das der Krieg hervorgebracht habe.

Im Anschluss an diese Überlegungen beschreibt Bäumer seinen zweiten Besuch bei Kemmerich, dem sein Bein amputiert wurde und der im Sterben liegt. Bäumer beschreibt die Merkmale des bevorstehenden Todes (hervorstehende Wangenknochen, in den Schädel zurücksinkende Augen) und denkt, dass sein Freund in einigen Stunden tot sein wird. Trotzdem redet er ihm zu und versucht ihn zu trösten, indem er davon spricht, dass Kemmerich nun nach Hause fahren könne, eine Prothese bekomme und sogar noch Oberförster werden könne, was vor dem Krieg sein Berufswunsch war. Kemmerich beginnt zu weinen, und Bäumer fühlt sich hilflos.

Als es seinem Freund schlechter geht, sucht Bäumer einen Arzt und bittet ihn, mitzukommen, da Kemmerich sonst sterbe. Der Arzt weiß nicht, wer gemeint ist und hat keine Zeit für Bäumer. Er beauftragt einen Lazarettgehilfen, um nach Kemmerich zu sehen. Der Gehilfe erzählt Bäumer, dass der Arzt täglich mehrere Amputationen durchführt und dass an diesem Tag bereits 16 Patienten gestorben sind. Er spricht emotionslos von den Patienten als Nummern »Bett 26« (ebd.) und von den Toten als Abgängen. Als sie an Kemmerichs Bett ankommen, ist dieser schon gestorben. Das Bett wird sofort für einen neuen Patienten freigemacht.

Auf dem Weg zurück ins Barackenlager fühlt Bäumer sich befreit und nimmt das Leben bewusst wahr. Er bringt Müller die Stiefel, die Kemmerich ihm hinterlassen hat.

Analyse

Auch in diesem Kapitel gibt es Abschnitte, in denen Bäumer über die Themen nachdenkt, die ihn beschäftigen, und Abschnitte, in denen jeweils eine Handlung erzählt wird (Erinnerung an die militärische Ausbildung in der Kaserne; Kemmerichs Tod im Lazarett und Bäumers Rückkehr ins Lager).

Die Themen Veränderung der Werte und Distanz zur Elterngeneration aus dem vorigen Kapitel werden hier wieder aufgegriffen. Remarque lässt den Protagonisten immer wieder über die gleichen Themen nachdenken und dabei sprunghaft zwischen Erzählung einer gegenwärtigen Handlung, Erinnerungen und Reflexionen über sein Leben wechseln. So erzählt Bäumer zum Beispiel von seiner Erinnerung an die militärische Ausbildung, in der er und seine Klassenkameraden von Unteroffizier Himmelstoß besonders hart behandelt wurden: »[I]ch habe mit Kropp, Westhus und Tjaden ohne Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde ›Stillgestanden‹ geübt, die bloßen Finger am eisigen Gewehrlauf, lauernd umschlichen von Himmelstoß, der auf die geringste Bewegung wartete, um ein Vergehen festzustellen« (S. 27).

Von der Erzählung geht Bäumer über zu allgemeinen Gedanken über die Korporale in der Kaserne und darüber, wie sich der »Kasernenhofschliff« (S. 29) auf die Jungen ausgewirkt hat: »Wir wurden hart, mißtrauisch, mitleidlos, rachsüchtig, roh, – und das war gut; denn diese Eigenschaften fehlten uns gerade.« (ebd.) Die Verrohung, von der er wiederholt spricht, sieht er als notwendige Reaktion, als Anpassung: »Wir zerbrachen nicht, wir paßten uns an« (ebd.).

Diese Anpassung wird auch an Bäumers Gedankengängen deutlich. Zum einen versucht er, Zusammenhänge zu erklären und die Erlebnisse dadurch fassbarer zu machen. Zum anderen sucht er in allem nach etwas Positivem, das die Situation erträglicher macht. So versucht er selbst dem Krieg noch etwas Gutes abzugewinnen, indem er behauptet, dieser habe ein »praktisches Zusammengehörigkeitsgefühl« (ebd.), die »Kameradschaft« (ebd.) hervorgebracht.

Wie die Abschweifungen und Wiederholungen lassen auch die Widersprüche in Bäumers Denken ihn realistisch und nahbar wirken, da dies der tatsächlichen Art des Denkens entspricht. So stehen den behaupteten Eigenschaften Rohheit und Mitleidlosigkeit Bäumers Besuch bei Kemmerich und sein Versuch, ihn zu trösten, entgegen. Zudem sagt Bäumer über Müller: »Wenn Möller [sic] gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht weniger teilnahmsvoll als jemand, der vor Schmerz nicht daran zu denken wagte. Er weiß nur zu unterscheiden. Würden die Stiefel Kemmerich etwas nutzen, dann liefe Müller lieber barfuß über Stacheldraht, als zu überlegen, wie er sie bekommt« (S. 24). Diese Haltung und seine eigene Anteilnahme passen nicht zu den Zuschreibungen »verroht« und »mitleidlos«.

Kemmerichs Stiefel, die auch im ersten Kapitel schon eine Rolle spielten, weil Müller sich mehr für diese zu interessieren scheint als für seinen im Sterben liegenden Kameraden, stehen als Sinnbild für den Pragmatismus, von dem Bäumer spricht. Er verwendet den Ausdruck »praktisches Zusammengehörigkeitsgefühl« (S. 29). Die Soldaten zeigen zwar kein Taktgefühl, wie sie es in ihrem früheren bildungsbürgerlichen Umfeld getan hätten, aber sie halten in der Not zusammen, teilen die wenigen Freuden, die sie haben, und ihr Verhalten unterscheidet sich auch von dem der Ausbilder in der Kaserne, die aus Grausamkeit handeln, und von den Mitarbeitern im Lazarett, die abgestumpft sind und Menschen nur noch als »Bett 26« (S. 34), »Oberschenkel amputiert« (ebd.) oder »Abgänge« (ebd.) bezeichnen.

Veröffentlicht am 2. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. April 2023.