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Im Westen nichts Neues

Kapitel 10

Zusammenfassung

Die Soldaten haben den Auftrag, ein verlassenes Dorf und das Proviantamt dort zu bewachen. Es wird zwar stark beschossen, aber hier haben sie reichlich Lebensmittel und richten es sich in den verlassenen Häusern ein.

Kurz darauf ziehen sie weiter, um eine andere Ortschaft zu räumen. Dabei geraten sie in einen Angriff, bei dem Bäumer und Kropp am Bein verletzt werden und sich nur mit Mühe in Sicherheit bringen können. Sie kommen ins Feldlazarett und Bäumer besticht den Sanitätsfeldwebel mit Zigarren, damit er und Kropp in den gleichen Wagen im Lazarettzug nach Hause kommen.

Während der Fahrt bekommt Kropp Fieber und soll ausgeladen werden. Um mit ihm zusammenzubleiben, täuscht Bäumer auch Fieber vor, indem er das Quecksilberthermometer mit einem Streichholz erhitzt. Die beiden kommen in ein katholisches Krankenhaus und liegen mit anderen Patienten in einem Zimmer. Von Joseph Hamacher, einem Patienten, der schon länger dort ist, erfahren sie, dass die Schwerkranken abgeholt werden und zum Sterben in ein Zimmer gebracht werden, das näher an der Totenhalle ist. Hamacher erzählt ihnen auch, dass der Chefarzt die Patienten als Versuchskaninchen benutze, um an ihnen unnötige Operationen durchzuführen, nach denen es ihnen schlechter geht als vorher.

Kropp wird das Bein amputiert und er will sich lieber erschießen, als so weiterzuleben. Bäumer kann mit Krücken wieder gehen, übt dies aber außerhalb des Zimmers, um Kropp nicht neidisch zu machen. Dabei sieht er die anderen Patienten, die alle möglichen Arten von Verletzungen haben, was Bäumer das Ausmaß der Zerstörung und die Sinnlosigkeit des Krieges noch einmal vor Augen führt. Er zweifelt auch daran, dass sie nach dem Krieg je wieder in etwas Sinn erkennen können, da sie sich Jahre hindurch nur mit Töten beschäftigt haben.

Einer der Patienten, Lewandowski, bekommt Besuch von seiner Frau, ist aber zu krank, um mit ihr auszugehen. Die anderen Patienten ermöglichen es ihm, mit seiner Frau zu schlafen, indem sie Wache stehen und auf ihr Baby aufpassen. Dafür bekommen sie die Wurst, die sie als Proviant für ihren Mann mitgebracht hat.

Nach einiger Zeit können Bäumer und Kropp nach Hause. Während Kropp eine Beinprothese bekommt und zu Hause bleibt, muss Bäumer kurz darauf zurück an die Front.

Analyse

Dadurch dass Bäumer seine Gehübungen in den Korridoren des Krankenhauses macht, sieht er das ganze Ausmaß an Verletzungen, die die Kriegsversehrten haben. Er meint: »Man kann nicht begreifen, daß über so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind, in denen das Leben seinen alltäglichen Fortgang nimmt« (S. 232–233). Ähnlich wie in der Episode mit dem getöteten Franzosen in Kapitel 9 werden Bäumer die Folgen der Kriegshandlungen erst klar, als er sie direkt vor Augen hat. Dadurch kommt es wieder zu einer seiner vielen Reflexionen:

    Ich sehe, daß die Völker gegeneinandergetrieben werden und sich schweigend, unwissend, töricht, gehorsam, unschuldig töten. Ich sehe, daß die klügsten Gehirne der Welt Waffen und Worte erfinden, um das alles noch raffinierter und länger dauernd zu machen. Und mit mir sehen das alle Menschen meines Alters hier und drüben, in der ganzen Welt, mit mir erlebt das meine Generation, Was werden unsere Väter tun, wenn wir einmal aufstehen und vor sie hintreten und Rechenschaft fordern? Was erwarten sie von uns, wenn eine Zeit kommt, wo kein Krieg ist? Jahre hindurch war unsere Beschäftigung Töten – es war unser erster Beruf im Dasein. Unser Wissen und Leben beschränkt sich auf den Tod. Was soll danach noch geschehen? Und was soll aus uns werden? (S. 233)

Thomas Becker bezeichnet diese Passage als den Höhepunkt von Bäumers Verzweiflung (Becker, S. 84). Hier wird die Frage nach der »Verantwortung der älteren Generation« (ebd.) wieder aufgegriffen. Becker sieht in dieser Anklage zugleich ein »Bekenntnis, im Krieg und einem ihm folgenden Leben keinen Sinn auffinden zu können« (ebd.).

Der einzige Sinnzusammenhang, der für Bäumer Bestand hat, ist der von Freundschaft und Kameradschaft, wie sich auch in diesem Kapitel zeigt. Kropp gehört zu Bäumers besten Freunden. Bäumer lässt ihn nicht zurück, als dieser schwerer verwundet wird als er selbst, und er sorgt dafür, dass sie auf allen Etappen zusammenbleiben, obwohl er selbst schon früher wieder zu Hause sein könnte, wenn er sich nicht durch das Vortäuschen von Fieber mit Kropp in das katholische Krankenhaus hätte verlegen lassen. Auch dort nimmt er Rücksicht auf seinen Freund, indem er seine Gehübungen nicht vor seinen Augen ausführt.

Die Soldaten im Krankenhaus verhalten sich ebenfalls kameradschaftlich. Als Bäumer aus Protest gegen die Gebete der Schwestern, die die Patienten beim Schlafen stören, seine Urinflasche auf den Korridor wirft, tritt Joseph Hamacher für ihn ein und behauptet, er habe die Flasche geworfen. Gemeinschaftlich setzen sich alle Patienten für Lewandowski ein, damit er ungestört mit seiner Frau schlafen kann, die er seit zwei Jahren nicht gesehen hat.

Die Kameradschaft ist damit der einzige Wert, den Bäumer von Beginn an anerkennt und an dem er festhält.

Veröffentlicht am 2. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. April 2023.