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Im Westen nichts Neues

Sprache und Stil

Remarque beschreibt die schreckliche Vernichtung und das unvorstellbare Grauen des Ersten Weltkrieges aus der Perspektive eines jungen Soldaten. Dazu verwendet er die Ich-Perspektive. So erhält der Leser einen direkten Einblick in seine Gedanken- und Gefühlswelt. Die Ansichten des lyrischen Ichs sind in den meisten Fällen eher beobachtend als wertend. Seine Persönlichkeit steht nicht im Vordergrund. Es soll zum Ausdruck kommen, dass er nicht für sich persönlich, sondern für seine Generation spricht. »Zwar werden die Ereignisse durch die Perspektive des Erzählers Paul Bäumer gefiltert, der aber spricht mehr von ›wir‹ als von ›ich‹.« (Chambers/Schneider, S. 8).

Um die Erlebnisse zu beschreiben, setzt Remarque verschiedene sprachliche Mittel ein. Dabei wechseln sich Abschnitte lebhafter, teils drastischer Schilderungen, nüchterne, distanzierte Beschreibungen, persönliche Reflexion und philosophisch-poetische Äußerungen ab. Die unterschiedlichen sprachlichen Ebenen spiegeln das Innenleben des Protagonisten Paul Bäumer und seine Entwicklung im Laufe des Krieges wider. Dabei wird immer wieder verdeutlicht, dass er stellvertretend für eine Generation steht, die »vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam« (S. 5). Diese Zerstörung äußert sich auf unterschiedliche Weise: durch Abstumpfung und innere Distanz zu den Geschehnissen, Zerrissenheit, Angstzustände, Trauer, Entfremdung von denen, die nicht an der Front waren, und schließlich durch ein Gefühl der Entwurzelung und Hoffnungslosigkeit. Diese Zustände werden sprachlich durch verschiedene Mittel dargestellt.

Abstumpfung und innere Distanz zeigen sich an dem großen Kontrast zwischen dem, was beschrieben wird, und der Art, wie es beschrieben wird. Ein Beispiel dafür ist das kurze Gespräch im Feldlazarett zwischen Bäumer und dem Arzt. Bäumer bittet diesen, sich schnell um seinen Freund zu kümmern: »Kommen Sie rasch, Franz Kemmerich stirbt sonst« (S. 34). Der Arzt versteht nicht, was Bäumer meint, da er die Namen der Patienten nicht kennt. Selbst als sein Assistent den Namen durch eine Nummer, »Bett 26« (ebd.), und einen Fakt, »Oberschenkel amputiert« (ebd.), ersetzt, weiß er nicht, wer gemeint ist. An seiner Ausdrucksweise wird deutlich, dass er die Patienten nicht als Individuen sieht: »Wie soll ich davon etwas wissen, ich habe heute fünf Beine amputiert« (ebd.).

Der Assistent erklärt Bäumer die Situation: »Eine Operation nach der andern, seit morgens fünf Uhr – doll, sage ich dir, heute allein wieder sechzehn Abgänge – deiner ist der siebzehnte. Zwanzig werden sicher noch voll –« (ebd.). Er versachlicht die Todesfälle durch den Ausdruck »Abgänge«. Fehlende Empathie wird daran deutlich, dass er Bäumer gegenüber Kemmerich als seinen Abgang bezeichnet und ihm eine Nummer zuweist. Der Lazarettarzt und seine Mitarbeiter sind jeden Tag mit schweren Verletzungen konfrontiert, führen mehrere Amputationen durch und sehen viele Menschen sterben. Sie können ihre Arbeit nur durchhalten, indem sie sich innerlich und sprachlich davon distanzieren.

Die Zerrissenheit der Protagonisten wird oft dadurch zum Ausdruck gebracht, dass verschiedene Stile in einem Abschnitt kombiniert werden. Im vierten Kapitel wird zum Beispiel eine Szene beschrieben, in der die Soldaten sich in der Nähe der Front befinden und der Beschuss näherkommt. Die Ereignisse werden lebhaft beschrieben:

    Schon geht es los. Wir kriechen weg, so gut es geht in der Eile. Der nächste Schuß sitzt bereits zwischen uns.

    Ein paar Leute schreien. Am Horizont steigen grüne Raketen auf. Der Dreck fliegt hoch, Splitter surren. Man hört sie noch aufklatschen, wenn der Lärm der Einschläge längst wieder verstummt ist. (S. 57)

Durch die kurzen Sätze und die knappen Schilderungen im Präsens kann der Leser die bedrohliche Szene direkt vor sich sehen. Der Ich-Erzähler schildert die Vorgänge so, als wenn er sie gerade erlebt.

Andere Bilder, die sich ihm eingeprägt haben, werden drastisch geschildert: »Einem [Pferd] ist der Bauch aufgerissen, die Gedärme hängen lang heraus. Es verwickelt sich darin und stürzt, doch es steht wieder auf« (S. 59). Immer wieder werden in diesem Abschnitt Schreie erwähnt: »Man hört Schreien zwischen den Einschlägen« (S. 58), »Es wird stiller, doch das Schreien hört nicht auf« (ebd.), »Das Schreien dauert an« (S. 59). Es stellt sich heraus, dass dieses Schreien nicht von Menschen, sondern von den in der Schlacht verwundeten Pferden stammt. Die Soldaten finden das Geräusch unerträglich, sodass sie sich schließlich die Ohren zuhalten. Um das Durchdringende dieser Schreie zu betonen, wird das Wort noch vier weitere Male erwähnt. Nachdem einer der Soldaten an der Front die verletzten Pferde erschossen hat, um sie von ihrem Leid zu erlösen, heißt es schließlich: »Das Schreien ist verstummt« (S. 60).

Während eines Beschusses, den die Kompanie erlebt, sucht ein junger Rekrut vor Angst bei Bäumer Schutz. Ihm gegenüber äußert er sich abgeklärt und scheinbar lässig: »Vorbei, Kleiner! Ist noch mal gutgegangen. […] Wirst dich schon gewöhnen« (S. 58). Auch an anderen Aussagen zeigt sich, dass die Soldaten versuchen, die Situation durch verharmlosende Worte für sich erträglicher zu machen. So sagt Kat über den Granatenbeschuss: »Ganz schönes Feuerwerk, wenn’s nicht so gefährlich wäre« (S. 57).

Diese Kombination von drastischen Schilderungen und leidenschaftslosen, teils humoristischen Äußerungen verdeutlicht ein Phänomen, das sich bei vielen traumatisierten Menschen zeigt: Sie versuchen sich innerlich von den grausamen Erlebnissen zu distanzieren, um der Angst entgegenzuwirken.

In einer seiner Reflexionen über seine Situation (in Kap. 7) denkt der Ich-Erzähler über dieses Phänomen nach:

    Diese Gewohnheit ist der Grund dafür, daß wir scheinbar so rasch vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten und fechten uns durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In Wirklichkeit vergessen wir nichts. Solange wir hier im Felde sein müssen, sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil sie zu schwer sind, um sofort darüber nachdenken zu können. Täten wir es, sie würden uns hinterher erschlagen; denn so viel habe ich schon gemerkt: Das Grauen läßt sich ertragen, solange man sich einfach duckt; – aber es tötet, wenn man darüber nachdenkt. […]

    [S]o werden wir zu oberflächlichen Witzbilden und Schlafmützen […]. Wir können gar nicht anders, es ist förmlich ein Zwang. Wir wollen leben um jeden Preis; da können wir uns nicht mit Gefühlen belasten, die für den Frieden dekorativ sein mögen, hier aber falsch sind. (S. 125)

Wenn man diesen Stil mit den Schilderungen des Beschusses vergleicht, fällt auf, dass längere Sätze verwendet werden, um komplexere Gedanken zu vermitteln. An seinen Formulierungen wird deutlich, dass Bäumer ein nachdenklicher Mensch ist. Er sucht nach einer Erklärung für die Abstumpfung. In diesen nachdenklichen Passagen setzt Remarque teilweise einen poetischen Stil ein. Der Ich-Erzähler verwendet hier zum Beispiel bildliche Sprache wie den Vergleich, dass die Fronttage in ihnen hinunterfallen »wie Steine«. Außerdem nutzt er einen leicht überspannten Ton, indem er sagt, die Gefühle mögen für den Frieden »dekorativ« sein.

Daran zeigt sich, dass der Ich-Erzähler ein sensibler Mensch ist und die distanzierte, grobe Art, die er an sich und seinen Kameraden wahrnimmt, nicht ihrem Wesen entspricht, sondern durch die Erlebnisse zustande kommt.

Insgesamt kann man feststellen, dass der Tonfall des Ich-Erzählers poetischer wird, wenn er über Gefühle (wie Entfremdung und Hoffnungslosigkeit) und philosophische Themen (wie die verlorene Jugend) spricht. Ein Beispiel hierfür findet sich in Kapitel 6, wo es heißt: »Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh und traurig und oberflächlich, – ich glaube, wir sind verloren« (S. 111).

Die poetische Sprache in diesem Satz entsteht durch mehrere Stilmittel:

· Anapher (mehrmaliger gleicher Satzanfang): »Wir sind …, wir sind …, wir sind«,
· Antithese (gegensätzliche Charakterisierung): »wie Kinder […] wie alte Leute«,
· Polysyndeton (wiederholte Konjunktion zwischen den Adjektiven): »roh und traurig und oberflächlich«.

Die Häufung von Adjektiven in diesem Satz zeigt, wie Bäumer darum ringt, seine Generation richtig zu beschreiben. Dies gipfelt in der Zusammenfassung: »[W]ir sind verloren«, die er mit dem vorgeschobenen »ich glaube« aber auch wieder relativiert, was seine Unsicherheit unterstreicht.

Remarque setzt also eine große Bandbreite sprachlicher Stile und Mittel ein, mit denen Bäumers unterschiedliche geistige und emotionale Zustände dargestellt werden können.

Die letzten beiden Absätze des Romans sind nicht mehr aus der Ich-Perspektive, sondern aus Sicht eines auktorialen Erzählers geschrieben. An dieser Stelle erfährt der Leser in wenigen Worten, dass der Protagonist im Oktober 1918 an der Front gefallen ist. Hier wird das Präteritum verwendet. Dies bildet einen Gegensatz zum übrigen Text, der im Präsens geschrieben ist, wodurch die Schilderungen besonders anschaulich sind und der Leser einen direkten Einblick in die Gedanken und Gefühle des Ich-Erzählers erhält.

In diesem letzten Abschnitt des Romans wird auch der Titel »Im Westen nichts Neues« aufgegriffen. Diese Information, dass es an der Westfront nichts Neues gebe, steht im Heeresbericht über den Tag, an dem Bäumer stirbt. Auch hier wird ein starker Kontrast eingesetzt: Nachdem der Leser Bäumer durch die Ich-Perspektive und die Unmittelbarkeit der Beschreibungen in der Gegenwartsform nahegekommen ist, wirkt sein Tod wie eine Randnotiz. Dies entspricht auch dem Kontrast, den Remarque zwischen Titel und Romaninhalt aufbaut: Das Auslöschen eines ganzen Lebens und das unvorstellbare Leid werden schlicht als »nichts Neues« bezeichnet.

Veröffentlicht am 2. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. April 2023.