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Im Westen nichts Neues

Zitate und Textstellen

  • »Eiserne Jugend. Jugend! Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung? Das ist lange her. Wir sind alte Leute.«
    – Bäumer, S. 22

    Bäumer ärgert sich hier über die Worte des ehemaligen Klassenlehrers Kantorek, der seinen Schülern einen Brief an die Front geschickt hat, in dem er sie als »eiserne Jugend« bezeichnet. Die Jugend wurde ihnen genommen. Alles, wofür sie sich vorher interessierten oder was noch auf sie zugekommen wäre, wenn sie nicht an die Front gegangen wären, spielt nun für sie keine Rolle mehr. Bäumer hatte zum Beispiel noch nie eine Beziehung mit einem Mädchen und sieht auch keine Hoffnung mehr für die Zukunft.

    Die militärische Ausbildung, die sie in zehn Wochen »entscheidender umgestaltet« (S. 25) habe als zehn Jahre Schulzeit, und das Erleben von Grausamkeit, Angst und Verlusten an der Front haben sie so stark verändert, dass es sich für Bäumer anfühlt, als wären sie schon alte Leute. Sie sind es auch insofern, als sie an der Front sterben werden und die längste Zeit ihres Lebens schon hinter sich haben, wie es normalerweise erst bei Älteren der Fall ist.

  • »Man sollte die ganze Welt an diesem Bette vorbeiführen und sagen: Das ist Franz Kemmerich, neunzehneinhalb Jahre alt, er will nicht sterben. Laßt ihn nicht sterben!«
    – Bäumer, S. 32

    Dieser Gedanke zeigt Bäumers Hilflosigkeit im Angesicht seines sterbenden Freundes Kemmerich. Er ist empört und will, dass die Verantwortlichen die konkreten Auswirkungen des Krieges auf den einzelnen Menschen sehen. Indem er seinen Namen nennt, wird er als Person hervorgehoben, im Gegensatz zu den bloßen Fakten »Bett 26« (S. 34) und »Oberschenkel amputiert« (ebd.). Indem er das Alter angibt, macht er deutlich, wie dramatisch es ist, dass ein so junger Mensch sinnlos sterben muss.

    Der britische Remarque-Forscher Brian Murdoch hat darauf aufmerksam gemacht, dass Remarque genau das, was seine Figur Bäumer hier fordert, im übertragenen Sinne gemacht hat. Durch den Roman hat er Lesern weltweit das Leid und die Sinnlosigkeit der sterbenden Soldaten im Ersten Weltkrieg vor Augen geführt (vgl. Murdoch, S. 83).

  • »Für niemand ist die Erde so viel wie für den Soldaten. Wenn er sich an sie preßt, lange, heftig, wenn er sich tief mit dem Gesicht und den Gliedern in sie hineinwühlt in der Todesangst des Feuers, dann ist sie sein einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter, er stöhnt seine Furcht und seine Schreie in ihr Schweigen und ihre Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entläßt ihn wieder zu neuen zehn Sekunden Lauf und Leben, faßt ihn wieder, und manchmal für immer.«
    – Bäumer, S. 52

    Diese Schilderung zeigt zum einen, wie sich ein Soldat an der Front bewegt, mit dem ganzen Körper nahe am Boden, da jedes Aufrichten Lebensgefahr bedeutet. Zum anderen wird das Naturelement Erde hier als schützend und kraftspendend beschrieben. Die Erde wird hier sogar »teilweise personifiziert und als Verbündete des Soldaten und Schutzgebende dargestellt« (Brandi/Lehmann, S. 32).

    Diese Naturbeschreibung steht im Kontrast beispielsweise zur Beschreibung der Pappeln, die Bäumer an mehreren Stellen im Roman ebenfalls als tröstlich und beruhigend wahrnimmt. Während er bei diesen davon träumt, dem »Rauschen ihrer Blätter« (S. 258) zu lauschen, ist die Beziehung zur Erde heftig, eine Ganzkörpererfahrung, schon in dem Wissen, dass die Erde schließlich auch die letzte Geborgenheit im Tod spenden wird.

  • »Die Front ist ein Käfig, in dem man nervös warten muß auf das, was geschehen wird. Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben in der Spannung des Ungewissen. Über uns schwebt der Zufall.«
    – Bäumer, S. 91

    Der Zufall und die dadurch entstehende Spannung des Ungewissen werden als besonders lähmend beschrieben, da man selbst nur untätig warten und das eigene Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen kann. Bäumer veranschaulicht das mit einer Erinnerung an einen Tag, an dem er zweimal durch Zufall von Treffern verschont geblieben ist: Zweimal ist ein Unterstand, kurz nachdem er ihn verlassen hatte, durch einen Treffer vernichtet worden. So könne es geschehen, dass ein Soldat stundenlang im Trommelfeuer überlebe, aber im bombensicheren Unterstand zerquetscht werde.

    Diese Betonung des Zufalls hängt auch mit Remarques Einschätzung der modernen Kriegsführung zusammen: »Besonders während der letzten zwei Jahres des Krieges hatte die technische Organisation der Kampfweise so verblüffende Fortschritte gemacht, daß der einzelne ganz vom Zufall abhängig geworden war« (Remarque b, S. 63). Dies steht einer Glorifizierung der Soldaten als Helden entgegen. Denn für Tapferkeit ließ ein solcher Krieg, bei dem es vom Zufall abhing, ob man starb oder am Leben blieb, wenig Raum.

    Das Bild des Käfigs verdeutlicht das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Diese Erfahrung macht die Soldaten gleichgültig wie Tiere im Käfig, die resignieren, weil sie begreifen, dass sie selbst nichts tun können, um zu entkommen.

  • »Käme dein Vater mit denen drüben, du würdest nicht zaudern, ihm die Granate gegen die Brust zu werfen!«
    – Bäumer, S. 103

    Mit diesem Satz macht Bäumer deutlich, in welchem Zustand die Soldaten an der Front beim Angriff sind. Sie sind vollständig darauf konzentriert, den Gegner zu vernichten. Dabei ist ein Zögern oder Hinterfragen, wie Bäumer es in seinen Reflexionen häufig tut, nicht möglich. In der Szene, auf die sich die Aussage bezieht, haben die Soldaten zuvor mehrere Tage im Ungewissen und voller Angst auf den Angriff gewartet. Als er endlich erfolgt, entlädt sich ihre gesamte Spannung in einem rauschhaften Zustand. Bäumer empfindet diesen wie eine »Welle, die unsere Kraft vervielfältigt in Angst und Wut und Lebensgier […]« (S. 103). Dieser Zustand ist so stark, dass sie nicht einmal zögern würden, einen Verwandten zu töten.

  • »Die Tage, die Wochen, die Jahre hier vorn werden noch einmal zurückkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und mit uns marschieren […].«
    – Bäumer, S. 127

    Wie sein Freund Albert Kropp ist Bäumer davon überzeugt, dass ein normales Leben nach dem Krieg für die jungen Frontsoldaten nicht mehr möglich sein wird, selbst wenn sie den Krieg überleben. Remarque lässt seinen Protagonisten hier etwas vorausahnen, was er selbst, der ebenfalls im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hat und die Nachkriegsjahre bereits erlebt hat, aus eigener Erfahrung weiß. In einem Interview aus dem Jahr 1929, kurz nach der Veröffentlichung von »Im Westen nichts Neues«, beschreibt er dies so:

      Nicht die Bilder, die Visionen des Erlebten bedrückten mich, sondern der allgemeine Zustand der Leere, der Skepsis, der Unrast. […] Ich litt unter ziemlich heftigen Anfällen von Verzweiflung. Bei dem Versuche, sie zu überwinden, suchte ich allmählich ganz bewußt und systematisch nach der Ursache meiner Depressionen. Durch diese absichtliche Analyse kam ich auf mein Kriegserleben zurück. Ich konnte ganz Ähnliches bei vielen Bekannten und Freunden beobachten. Wir alle waren – und sind oft noch unruhig, ziellos, bald exaltiert, bald gleichgültig, im tiefsten Grunde aber unfroh. Der Schatten des Krieges hing auch und gerade über uns, wenn wir gar nicht daran dachten. (Eggebrecht, S. 1)

    Der Tod fast aller Freunde wird in dem Roman von Bäumer nur mit einem oder wenigen Sätzen beschrieben. Mit Ausnahme von Kemmerich, über dessen Tod Bäumer Wut empfindet, werden die späteren Verluste nur noch knapp erwähnt. Selbst über den Tod seines engen Freundes Kat verliert er nicht viele Worte. Obwohl dieser Tod ihn am härtesten trifft, kann er nicht weiter darüber nachdenken. Bäumer vermutet, dass alle Gefühle und Gedanken, denen die Soldaten an der Front keinen Raum geben können, sie später wieder einholen werden.

  • »Ich will wieder diese stille Hingerissenheit, das Gefühl dieses heftigen, unbenennbaren Dranges verspüren, wie früher, wenn ich vor meine Bücher trat. Der Wind der Wünsche, der aus den bunten Bücherrücken aufstieg, soll mich wieder erfassen, er soll den schweren, toten Bleiblock, der irgendwo in mir liegt, schmelzen und mir wieder die Ungeduld der Zukunft, die beschwingte Freude an der Welt der Gedanken wecken; – er soll mir das verlorene Bereitsein meiner Jugend zurückbringen.«
    – Bäumer, S. 154

    An diesem Wunsch, den Bäumer während seines Heimaturlaubs hat, wird deutlich, dass er vor dem Einsatz an der Front anders war. An vielen anderen Stellen spricht er von dieser Veränderung und sagt, die Fronterlebnisse hätten sie alle abgehärtet, mitleidlos und gleichgültig gemacht. An dieser Äußerung schimmert jedoch etwas von der Person Paul Bäumer durch. In seiner Erzählung aus der Ich-Perspektive betont er immer »das gemeinsame Schicksal unserer Generation« (S. 80). Die Individualität, auch seine eigene, spielt dabei eine geringe Rolle. Zu den persönlichen Dingen, die man über ihn erfährt, gehört, dass er Gedichte geschrieben und ein Drama mit dem Titel »Saul« begonnen hat. Bäumer liebt Bücher und die »Welt der Gedanken«, die in ihm einmal etwas Verheißungsvolles ausgelöst haben. Nach diesem Gefühl der «stille[n] Hingerissenheit« sehnt er sich zurück. Es erschreckt und ernüchtert ihn, dass er dieses Gefühl bei seiner Heimkehr nicht mehr hat. Er fühlt sich mit seinem früheren Ich nicht mehr verbunden.

  • »Ein Land? Das verstehe ich nicht. Ein Berg in Deutschland kann doch einen Berg in Frankreich nicht beleidigen.«
    – Tjaden, S. 181

    In einem Gespräch über den Sinn des Krieges und darüber, wem dieser nützt, behauptet Kropp, dass die Ursache für Krieg meist sei, dass ein Land ein anderes schwer beleidige, worauf Tjaden meint, ein Land könne doch ein anderes nicht beleidigen. Ob er tatsächlich den Zusammenhang nicht versteht oder sich bewusst dumm stellt, weiß auch Kropp nicht, der daraufhin seine Aussage präzisiert: Nicht ein Land beleidige ein anderes, sondern ein Volk. Auch das überzeugt Tjaden aber nicht, da er sich nicht beleidigt fühlt und daher unklar sei, warum er überhaupt an der Front kämpfen müsse.

    Die Szene verdeutlicht mit humoristischen Elementen die Widersinnigkeit des Krieges. Weder wörtlich genommen, wie Tjaden es hier macht, noch in der Erklärung von Kropp, der als Intelligentester der Gruppe dargestellt wird, lässt sich die Widersinnigkeit auflösen. Denn am Ende kommen sie zu dem Schluss, dass sie den Krieg nicht gewollt haben, »die andern behaupten dasselbe – und trotzdem ist die halbe Welt feste dabei.« (S. 183)

  • »Krieg ist Krieg schließlich.«
    – Bäumer, S. 204

    Nachdem Bäumer auf der gegnerischen Seite im Trichter den Franzosen Duval getötet hat, quälen ihn Gewissensbisse. Er erzählt es seinen Freunden Kropp und Albert, die ihn beruhigen. Sie führen ihm vor Augen, dass es an der Front um nichts anderes gehe, als ums Töten, und sagen: »Du kannst gar nichts daran machen. Was wolltest du anders tun. Dazu bist du doch hier!« (S. 203). Bäumer fühlt sich durch ihre Worte beruhigt. Hat er kurz zuvor noch dem toten Franzosen geschworen, nach dem Krieg seiner Familie Geld zu schicken, redet er seine Gefühle von Reue und Erschrecken nun weg und kommt zu der Einsicht, dass im Krieg eben andere Regeln gelten als im zivilen Leben. Innerhalb kurzer Zeit bewertet Bäumer seine Tat ganz anders, weil es ihm gelingt, von einem moralischen Bewertungssystem, in dem Töten Mord bedeutet und damit verwerflich ist, in ein anderes zu wechseln, in dem Töten die Hauptaufgabe und damit richtig ist.

  • »Die Unterschiede, die Bildung und Erziehung schufen, sind fast verwischt und kaum noch zu erkennen«
    – Bäumer, S. 239

    Die Unterschiede durch Bildung und Erziehung werden zu Beginn des Romans deutlich betont. Zum einen werden die Kameraden aus dem Arbeitermilieu als etwas langsam im Denken (Haie Westhus), wortkarg und einfältig (Detering), derb und zupackend (Tjaden) oder im Fall von Kat als bauernschlau dargestellt; die Gymnasiasten werden dagegen als intelligent (Kropp, Leer), an Bildung interessiert (Bäumer, Müller) und kindlich (Kemmerich) beschrieben. Zum anderen hebt der Ich-Erzähler die Unterschiede in Bezug darauf hervor, wie leicht sie später an ihr Leben vor dem Krieg anknüpfen können. Während diejenigen, die bereits einen Beruf und eine Familie haben, in ihr früheres Leben zurückkehren könnten, seien die Schüler ganz ohne Wurzeln und Erfahrungen. Wenn er von seiner Generation spricht, meint Bäumer zu Beginn vor allem sich und seine Klassenkameraden. Kurz vor Ende des Krieges ist von diesem Unterschied nichts mehr übrig. Die Schulbildung hat den Gymnasiasten für den Krieg nichts gebracht, alles, was ihnen geholfen hat, haben sie in der militärischen Ausbildung in der Kaserne oder direkt an der Front gelernt. Alle sind unabhängig von ihrer Herkunft und Bildung traumatisiert, von den Erlebnissen abgestumpft und innerlich versehrt, »für alles verdorben« (S. 80), wie Kropp es formuliert.

Veröffentlicht am 2. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. April 2023.