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Im Westen nichts Neues

Kapitel 1

Zusammenfassung

Die 2. Kompanie ist nach einem vierzehntägigen Einsatz an der Kriegsfront zurück im Lager. Da von den ursprünglich hundertfünfzig Mann nur achtzig zurückgekehrt sind, bekommen diese doppelte Portionen Verpflegung und Zigaretten.

Der Ich-Erzähler Paul Bäumer beschreibt den Alltag der Soldaten im Barackenlager. Ihr Leben dort dreht sich vor allem um Schlafen, Essen und Rauchen. Die Kameraden sitzen stundenlang im Freien auf Holzkisten, die als Toiletten dienen, und spielen Karten. Dies empfinden sie als entspannend und genießen es im Kontrast zu den traumatischen Erlebnissen an der Front.

Bäumer und einige seiner Kameraden besuchen ihren Freund Kemmerich im Feldlazarett. Diesem wurde nach einem Oberschenkeldurchschuss ein Bein amputiert. Sie erkennen sofort, dass er im Sterben liegt, aber keiner traut sich, ehrlich zu ihm zu sein. Sie reden davon, dass er nach Hause fahren werde. Während Müller vor allem darüber nachdenkt, wie er nach Kemmerichs Tod dessen gute Stiefel bekommen könne, sieht Bäumer seinen Kameraden in Gedanken schon verwesen. Bevor sie ins Barackenlager zurückkehren, bestechen die Freunde einen Pfleger, damit er Kemmerich Morphium gegen die Schmerzen gibt.

Bäumer graut davor, dass er Kemmerichs Mutter vom Zustand ihres Sohnes schreiben muss. Sie hat ihn vor der Abfahrt an ihren Einsatzort darum gebeten, auf ihren Sohn aufzupassen. Bäumer fragt sich jedoch, wie man im Angesicht der Gefahr an der Front auf jemanden aufpassen könne.

In der Post, die am Tag nach ihrer Rückkehr von der Front eingetroffen ist, befindet sich unter anderem ein Brief von Kantorek, Bäumers ehemaligem Klassenlehrer. Darin bezeichnet er Bäumer und seine Freunde als »eiserne Jugend« (S. 22). Auf dem Rückweg vom Lazarett zum Lager spricht Bäumer mit seinen Freunden über diesen Brief.

Die Erinnerung an seinen Klassenlehrer nimmt Bäumer zum Anlass, über die Situation seiner Generation nachzudenken. Er kritisiert, dass Kantorek, wie viele andere Lehrer dieser Zeit, die Jungen unüberlegt dazu motiviert hat, sich als Kriegsfreiwillige zu melden, und sie somit in ihr Verderben geschickt hat. Bäumer meint, dass er und seine Schulkameraden vor dem Krieg noch an die Autorität der älteren Generation geglaubt haben, dass ihr Weltbild aber durch die Erlebnisse an der Front zusammengebrochen sei. Sie fühlen sich von den Älteren allein gelassen und haben das Gefühl, keine Jugend mehr zu haben.

Analyse

In diesem Kapitel führt der Ich-Erzähler die meisten seiner Kameraden und Freunde ein. Einige von ihnen (Müller, Kropp und Leer) waren vor dem Krieg seine Klassenkameraden. Sie sind alle zwanzig Jahre alt.

Bereits im ersten Kapitel des Romans werden die wesentlichen Themen eingeführt, die auch im Verlauf des Romans immer wieder aufgegriffen werden. Dazu gehören der Werteverfall im Angesicht der Erlebnisse an der Kriegsfront, die Abstumpfung und Verrohung durch diese Erlebnisse, der Bruch der jungen Soldaten mit der Elterngeneration und die Frage nach dem Wert von (Schul-)Bildung.

Der Werteverfall, den der Ich-Erzähler beschreibt, zeigt sich zum Beispiel an der Art zu sprechen. Er bezeichnet diese mit dem Begriff »Latrinenparole« (S. 13), was man als Fäkalsprache verstehen kann. Diese unterscheidet sich stark von der bürgerlichen Ausdrucksweise, die sie in der Schule und zu Hause gelernt haben. Bäumer meint: »Unsere Familien und unsere Lehrer werden sich schön wundern, wenn wir nach Hause kommen […]« (ebd.). Bäumer erklärt auch, dass er und seine Freunde es genießen, auf den Toilettenkisten im Freien zu sitzen. »Wir fühlen uns augenblicklich wohler als im noch so weiß gekachelten Luxuslokus« (S. 14). Damit wird die Abgrenzung von der bürgerlichen Welt der Zuhausegebliebenen unterstrichen. Dass sie einen »Genuss« (S. 13) darin sehen, zeigt auch, dass die Kameraden sich an dem wenigen festhalten, was sie haben, und es für sich aufwerten.

Eine Folge ihrer Erlebnisse an der Front ist, dass sie gegenüber Leid und Tod abstumpfen. Das zeigt sich gleich zu Anfang des Kapitels: Die Soldaten der zweiten Kompanie haben durch Artilleriebeschuss fast die Hälfte ihrer Leute verloren. Davon profitieren sie nun, als sie zurück im Lager sind, da Verpflegung für die gesamte Kompanie geliefert wurde. Die Freude darüber steht deutlich im Vordergrund vor der Trauer um die Kameraden. Der Unteroffizier, der das Essen gebracht hat, will es erst ausgeben, wenn alle da sind, und fragt: »Wo sind denn die andern?« (S. 9). Darauf reagieren die jungen Soldaten anscheinend emotionslos: »Die werden heute nicht von dir verpflegt! Feldlazarett und Massengrab!« (ebd.). Sogar als sie ihren verwundeten Freund Kemmerich im Lazarett besuchen, ist zumindest bei Müller der Wunsch, die Stiefel des Sterbenden zu erhalten, größer als die Trauer oder Betroffenheit über dessen Zustand. Daran zeigt sich, dass die jungen Soldaten eine pragmatische Lebenseinstellung angenommen haben. Sie haben sich an die Gegebenheiten angepasst und versuchen, so viele Vorteile wie möglich für sich zu gewinnen.

Bäumer denkt über seinen ehemaligen Klassenlehrer Kantorek nach. Dieser hatte ihn und seine Freunde dazu ermutigt, sich als Kriegsfreiwillige zu melden. Bäumer weist ihm aber nicht allein die Schuld zu, sondern sieht ein Versagen bei der gesamten Eltern- und Lehrergeneration. Im Text heißt es: »Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle überzeugt waren, auf eine für sie bequeme Weise das Beste zu tun« (S. 17). An Bäumers Überlegungen zeigt sich, dass er eine klare Grenze zwischen seiner Generation und den Älteren zieht. Er spricht von »uns Achtzehnjährigen« (ebd.) und meint: »Wir mußten erkennen, daß unser Alter ehrlicher war als das ihre […]« (ebd.). Er beschreibt, dass er und seine Freunde in der Schulzeit noch an die Autorität der Lehrer geglaubt haben, aber unter den Eindrücken an der Front »stürzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten« (ebd.). Das fehlende Verständnis ist dabei beidseitig. Dies wird an Kantoreks Äußerung in seinem Brief deutlich, in dem er seine ehemaligen Schüler als »eiserne Jugend« (S. 22) bezeichnet. Bäumer stellt in seiner Reaktion darauf klar, dass der Lehrer weniger Ahnung habe als sie: »Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! […] Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung? Jugend? Das ist lange her. Wir sind alte Leute.« (ebd.)

Mit der Kritik an ihrem alten Lehrer hängt auch der Zweifel am Sinn ihrer Schulbildung zusammen. Nichts von dem, was sie gelernt haben, hilft ihnen nun beim Überleben. Bäumer beschreibt seinen Kameraden Müller als vorsichtigen, besorgten jungen Mann, der noch an Schulbildung glaubt, was vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Gefahr absurd wirkt: »[I]m Trommelfeuer büffelt er physikalische Lehrsätze« (S. 8). Stanislaus Katczinsky, genannt Kat, den Bäumer als »das Haupt unserer Gruppe« (S. 9) bezeichnet und der mit vierzig Jahren doppelt so alt ist wie die anderen, schätzt die Bedeutung der Bildung aus Bäumers Sicht realistischer ein. Kat und er denken darüber nach, warum die »einfachen Leute« (S. 16) die Gefahr des Krieges von Anfang an erkannt haben, während die »bessergestellten« (ebd.) begeistert waren, »obschon gerade sie sich über die Folgen viel eher hätten klar werden können« (ebd.). Kat meint, das komme daher, dass Bildung »dämlich« (S. 16) mache.

Es fällt auf, dass der Ich-Erzähler in seinen Schilderungen vor allem auf die persönlichen Auswirkungen eingeht, die die Kriegserlebnisse auf die jungen Soldaten haben. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg ist also weniger eine politische Frage als vielmehr eine des »rein menschlichen Erleben[s]« (Eggebrecht, S. 1). Remarque selbst hat seinen Roman als »unpolitisch« (ebd.) bezeichnet. Er wollte den Ersten Weltkrieg aus der »Froschperspektive des einfachen Grabensoldaten« (ebd.) darstellen.

Veröffentlicht am 2. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 2. April 2023.