Skip to main content

Der große Gatsby

Kapitel 4

Zusammenfassung

Am Sonntagmorgen kehren die Leute in Gatsbys Anwesen zurück. Es kursieren neue Gerüchte: dass Gatsby ein Alkoholschmuggler, ein Neffe Hindenburgs (und ein Cousin des Teufels) sei und dass er einen Mann getötet habe.

Nick erstellt eine Liste der Leute, die in diesem Sommer zu Gatsbys Partys gekommen sind. Eines Morgens im Juli holt Gatsby Nick in seinem schönen Auto ab und nimmt ihn zum Mittagessen nach Manhattan mit. Sie haben sich zunächst nicht viel zu erzählen, aber plötzlich sagt Gatsby zu Nick, er solle alle Gerüchte über ihn ignorieren – er werde ihm die Wahrheit über sich selbst erzählen.

Laut seiner eigenen Darstellung wurde Gatsby in einer wohlhabenden Familie aus dem Mittleren Westen geboren. Seine Eltern seien tot und er habe gemäß der Familientradition in Oxford studiert. Nick hat sofort das Gefühl, dass Gatsby lügt, denn er verschluckt sich fast an seinen Worten, und Nick kann den abgedroschenen und einstudiert klingenden Erzählungen keinen Glauben schenken.

Gatsby fährt mit seiner Geschichte fort: Er habe sich bis zum Krieg in Europa herumgetrieben und dann so tapfer gekämpft, dass er von allen Regierungen der Alliierten Orden erhalten habe. Gatsby zeigt Nick eine echt aussehende Medaille und ein Foto aus seiner Zeit in Oxford. Beide Gegenstände überzeugen Nick davon, dass diese verrückte Geschichte, die zu schön klingt, um wahr zu sein, tatsächlich wahr ist. Gatsby erklärt Nick, dass diese Informationen eine Art Bezahlung für einen Gefallen sind, um den er ihn später bitten werde. Mysteriöserweise soll Nick von Jordan erfahren, um welchen Gefallen es sich genau handelt.

Auf der Fahrt nach Manhattan sieht Nick Mr. Wilson in seiner Tankstelle. Gatsby fährt zu schnell, aber als ein Polizist ihn anhalten will, zeigt er dem Polizisten eine weiße Karte und der Polizist winkt ihn höflich und entschuldigend weiter. Als Nick ihn nach der Karte fragt, erklärt Gatsby vage, der Polizeipräsident sei ihm noch etwas schuldig.

Beim Mittagessen stellt Gatsby Nick seinen jüdischen Geschäftspartner Meyer Wolfshiem vor, der Nick zunächst für einen weiteren Geschäftspartner hält und ihm Kontakte vorschlagen will, bis Gatsby ihn aufklärt. Wolfshiem erinnert sich an ein anderes Restaurant gegenüber, in dem er Zeuge einer Hinrichtung geworden war. Nick erinnert sich an den Fall und daran, dass die Schützen auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden.

Gatsby entschuldigt sich bei Nick dafür, ihn auf der Autofahrt verärgert zu haben, und lässt Wolfshiem und Nick wegen eines Anrufs allein am Tisch zurück. Wolfshiem bestätigt Nick eindrücklich, dass Gatsby in Oxford studiert hat. Dann weist Wolfshiem auf seine Manschettenknöpfe hin, die aus menschlichen Backenzähnen bestünden, und sagt unvermittelt, dass Gatsby niemals etwas mit der Frau eines Freundes anfangen würde. Als Gatsby zurückkehrt, lässt Wolfshiem die beiden mit der Erklärung allein, dass er als älterer Herr die beiden Jünglinge unter sich lassen wolle.

Nick fragt Gatsby, womit Wolfshiem seinen Lebensunterhalt verdiene, und Gatsby erzählt ihm, dass er ein Spieler sei – und der Mann, der die Weltmeisterschaft 1919 manipuliert habe. Nick sieht Tom im Restaurant, und sie gehen hinüber, um sich zu begrüßen. Gatsby fühlt sich unwohl und ist plötzlich verschwunden.

Später erzählt Jordan Nick die folgende Geschichte: Im Jahr 1917, als sie 16 Jahre alt war, schloss Jordan in Louisville Freundschaft mit Daisy. Daisy war 18 Jahre alt, sehr beliebt, hatte ein weißes Auto, weiße Kleidung und jede Menge Jungs, die mit ihr ausgehen wollten. An dem Tag, an dem Daisy Jordan als neue Freundin ausgewählt hatte, verbrachte Daisy einen romantischen Nachmittag mit Jay Gatsby. Einige Jahre später erfuhr Jordan, dass Daisy versucht hatte, von zu Hause wegzulaufen, um sich von einem Soldaten zu verabschieden, der nach Übersee ging.

Sechs Monate später heiratete Daisy Tom Buchanan. Toms Hochzeitsgeschenk für Daisy war eine Perlenkette im Wert von 350.000 Dollar. Jordan war eine von Daisys Brautjungfern. In der Nacht vor der Hochzeit fand sie Daisy betrunken mit einem Brief in der Hand. Daisy weinte, wollte, dass Jordan die Perlenkette mitnahm und flehte Jordan an, allen zu sagen, sie, Daisy, habe es sich anders überlegt. Dann zerknüllte sie den Brief in der Badewanne. Doch am nächsten Tag wurde nichts davon erwähnt, und die Hochzeit fand ohne Vorkommnisse statt.

Nach den Flitterwochen schien Daisy sehr in Tom verliebt zu sein, aber Tom hatte sie bereits betrogen. Daisy hingegen hatte noch nie eine Affäre – zumindest keine, von der jemand wusste. Jordan beendet ihre Erzählung mit der Bemerkung, dass Daisy zum ersten Mal in all den Jahren den Namen Gatsby hörte, als Nick zum Abendessen mit Daisy und Tom kam. Sie erkannte dabei, dass es sich um denselben Gatsby handelte, den sie in Louisville kennengelernt hatte.

Nick ist erstaunt über diesen Zufall. Jordan entgegnet, dass es überhaupt kein Zufall sei – Gatsby habe das Haus auf der anderen Seite der Bucht absichtlich gekauft und wolle, dass Nick Daisy zu sich einlade und dann auch Gatsby vorbeikommen lasse, damit er Daisy wie zufällig dort treffen könne. Jordan denkt, Gatsby habe vielleicht erwartet, dass Daisy zu einer seiner Partys komme, und als das nicht geschah, habe er sich diesen neuen Plan ausgedacht. Nick küsst Jordan.

Analyse

Je mehr Gatsby über sich selbst preisgibt, desto mehr vertieft er das Geheimnis, das ihn umgibt. Interessant ist auch, dass Gatsby seine Herkunftsgeschichte als Transaktion benutzt: Er teilt seine Vergangenheit mit Nick nicht, wie man meinen könnte, um eine tiefere Beziehung zu ihm aufzubauen, sondern als Vorschuss und Bezahlung für einen Gefallen, um den er ihn später bitten wird. Diese fast schon förmliche Transaktion ist gleichermaßen humoristisch wie tragisch.

Gleichzeitig spiegelt sich in diesem Motiv auch der amerikanische Traum wider. Gatsbys Versuch, Nick seine eigene Herkunftsgeschichte als Spross einer wohlhabenden Familie zu verkaufen, weist erneut auf seinen Wunsch nach Selbsterfindung und Selbstmythologisierung hin. Gleichzeitig zeigt es auch, dass er sich nicht als Erfolgsgeschichte des American Dream präsentieren will, sondern als Teil der Oberschicht mit altem Geld. Nick dagegen bemerkt sofort, wie falsch diese Erklärungen aus Gatsbys Mund sich anhören: »Es kostete mich einige Anstrengungen, ein ungläubiges Lachen zu unterdrücken. Diese Formulierungen waren derart abgedroschen« (S. 83), dass Nick ihnen keinen Glauben schenken kann.

Die Einführung von Meyer Wolfshiem lenkt die Aufmerksamkeit auf die kriminellen Unternehmungen, die die Roaring Twenties während der Prohibition durchzogen. Wolfshiems großer Einfluss – seine Fähigkeit, die Weltmeisterschaft 1919 im Alleingang zu manipulieren – steht im Gegensatz zu dem der beiden anderen wohlhabenden Männer, die die Leser:innen bisher kennengelernt haben, Tom und Gatsby. Gatsby bewundert Meyers Fähigkeiten offensichtlich, schließlich ist er eine der wenigen Personen, die ihm zumindest etwas nahestehen; immerhin mehr als die zahllosen unbekannten Gestalten, die auf seinen Partys ein und ausgehen. Tom dagegen ist nur auf eine physisch einschüchternde Art und Weise mächtig.

Die Ehe von Tom und Daisy – stand sie schon bei Nicks erstem Besuch bei ihnen zu Hause nicht unter den besten Sternen – wird noch komplizierter, als Nick erfährt, dass Daisy vor ihrer Hochzeit eine romantische Beziehung zu Gatsby hatte, dass sie die Hochzeit eigentlich abblasen wollte und dass Tom nach ihren Flitterwochen bereits mit seinen Affären begann. Diese neuen Informationen geben einigen von Daisys früheren verzweifelten Aussagen einen Kontext und lassen Tom in einem noch schlechteren Licht erscheinen.

Indem Jordan für eine Weile die Aufgabe des Erzählens übernimmt, als sie Nick von Daisys Vergangenheit berichtet, wird gezeigt, wie ein unzuverlässiger Erzähler wie sie – schließlich nannte Nick sie zuvor äußerst unehrlich – die Erzählung formen würde. Jordan ist voreingenommen, aber die Geschichte, die sie erzählt, ist kohärent und widerspricht keiner der Informationen, die bisher über die Figuren bekannt sind. Für Nick hat die Neuigkeit über Gatsbys Liebe zu Daisy einen besonderen Wert. Sie hilft ihm, den »großen« Gatsby zu entmystifizieren und ihm eine menschliche Note zu verpassen: »Dann waren es also nicht nur die Sterne gewesen, nach denen er in jener Juninacht gegriffen hatte« (S. 97), erinnert sich Nick an den Abend zurück, als er Gatsby in der Dunkelheit am Ufer auf das grüne Licht am Ende von Daisys Pier blicken sah. »Jetzt war er lebendig für mich, plötzlich entbunden aus dem Schoß seiner sinnlosen Großartigkeit« (S. 97).

Veröffentlicht am 10. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 10. August 2023.