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Der große Gatsby

Kapitel 9

Zusammenfassung

Zwei Jahre nach Gatsbys Tod erinnert sich Nick an die Ereignisse jenes Tages und der darauffolgenden. Massen von Reportern und Journalisten strömen nach dem Mord in die Villa. Es kursieren unwahre Geschichten über die Beziehung zwischen Gatsby und Myrtle und Wilson, die noch wilder sind als die Gerüchte über Gatsby, als er noch seine Partys gab.

Nick versucht, für Gatsbys Beerdigung Gäste zu finden, aber alle seine ehemaligen Freunde und Bekannten sind entweder verschwunden oder weigern sich zu kommen, wie Meyer Wolfshiem und Klipspringer. Letzterer behauptet, er habe bereits eine Verabredung und bittet Nick, ihm seine Tennisschuhe zuzuschicken. Empört legt Nick den Hörer auf. Tom und Daisy sind ohne Nachsendeadresse verreist. Von Meyer Wolfshiem erhält Nick einen Brief, in dem er erklärt, dass er nicht kommen könne, weil er in heiklen Geschäften stecke.

Am dritten Tag nach Gatsbys Tod erreicht Nick ein Telegramm mit der Nachricht, man möge mit der Beerdigung auf ihn warten. Als der Absender eintrifft, lernt Nick in ihm Gatsbys Vater Henry C. Gatz kennen. Der Mann ist sichtlich aufgelöst und dankt Nick für seinen Beistand. Er ist überzeugt davon, dass sein Sohn eine große Zukunft vor sich gehabt hätte.

Am Morgen vor der Beerdigung fährt Nick nach New York zu Meyer Wolfshiems Büro, wo eine jüdische Frau ihn zunächst abzuwimmeln versucht, bis er Gatsby erwähnt. Wolfshiem erzählt Nick von seinem ersten Aufeinandertreffen mit Gatsby und sagt, er habe ihn zu dem gemacht, was er später gewesen sei. Nick erklärt, Wolfshiem sei Gatsbys engster Freund gewesen und würde darum doch sicherlich zu dessen Beerdigung kommen, doch Wolfshiem lehnt ab. Er müsse sich heraushalten, wenn es um Mord geht. An der Beerdigung nehmen schließlich nur Nick, einige Diener und Gatsbys Vater Henry C. Gatz teil, sowie – zu Nicks Überraschung – Eulenauge, der schockiert ist, dass außer ihm niemand von Gatsbys ehemals vielen Gästen gekommen ist.

Nick hat den Osten und seine leeren Werte satt und beschließt, zurück in den Mittleren Westen zu ziehen. Er kommt zu dem Schluss, dass diese Geschichte in gewisser Weise eine Geschichte des Westens ist, auch wenn sie sich vollständig an der Ostküste abspielt. Nick, Jordan, Tom, Gatsby und Daisy stammen alle aus dem Westen, und Nick glaubt, dass sie alle vielleicht einfach nicht dorthin passen. Nick erinnert sich an das Leben im Mittleren Westen, voller Schnee, Züge und Schlittenglöckchen: seine sehr reale Kindheit, die sich dort abgespielt hat. Er findet den Osten mit all seinen aufgesetzten Menschen, die den schönen Schein der Realität bevorzugen im Vergleich dazu grotesk und unehrlich.

Nick bricht seine Beziehung zu Jordan ab, die plötzlich behauptet, sich mit einem anderen Mann verlobt zu haben. Kurz vor seiner Abreise trifft Nick in New York auf Tom. Dieser erzählt ihm, dass er Wilson gesagt habe, Gatsby sei der Fahrer des Wagens gewesen, mit dem Myrtle getötet wurde. Er habe sehr unter Myrtles Tod gelitten und geweint, als er die Wohnung auflösen musste, in der sie sich immer getroffen hatten. Er sagt, dass Gatsby den Tod verdient habe. Nick kommt zu dem Schluss, dass Tom und Daisy sorglose und zerstörerische Menschen sind, die sich in Sicherheit wiegen, weil sie wissen, dass ihr Geld sie vor jeglichen negativen Konsequenzen bewahren wird.

An seinem letzten Abend in West Egg, bevor er nach Minnesota zurückkehrt, geht Nick zu Gatsbys leerem Haus und wischt ein obszönes Wort weg, das jemand auf die Treppe geschrieben hat. Er streckt sich am Strand hinter Gatsbys Haus aus und blickt nach oben. Als der Mond aufgeht, stellt er sich die Insel ohne Häuser vor und überlegt, wie sie für die Seefahrer, die Jahrhunderte zuvor die Neue Welt entdeckten, ausgesehen haben muss.

Nick stellt sich vor, dass Amerika einst ein Ziel für Träumer und Entdecker war, so wie Daisy es für Gatsby war. Er denkt darüber nach, dass Gatsby, dessen Reichtum und Erfolg dem amerikanischen Traum so nahe gekommen waren, nicht erkannt hatte, dass der Traum bereits zu Ende war, dass seine Ziele hohl und leer geworden waren.

Nick fühlt, dass alle Menschen von ähnlichen Träumen und dem Wunsch motiviert sind, in eine Zukunft vorzustoßen, in der ihre Träume verwirklicht werden, und doch werden immer wieder alle in die Vergangenheit zurückgezogen.

Analyse

Nick betrachtet Amerika als Land mit verschiedenen Regionen, die seiner Meinung nach unterschiedliche Werte verkörpern. Der Mittlere Westen erscheint ihm im Vergleich zum aufregenden Osten zunächst als trist und langweilig, strahlt für ihn am Ende aber ein Heimatgefühl und ein Gefühl von Sicherheit aus. Der Osten dagegen ist nur eine glitzernde Oberfläche ohne moralische Tiefe. Diese grundsätzliche moralische Verkommenheit führt dazu, dass die Figuren in »Der große Gatsby« – alle aus dem Westen, wie Nick zum Schluss feststellt – zum Scheitern verurteilt sind. Der Osten stellt für Nick nun ein »Zerrbild« dar, das nach Gatsbys Tod nur noch etwas »Spukhaftes« ausstrahlt (S. 215), und hat für Nick an Glanz verloren.

Obwohl Gatsbys Leben in vielerlei Hinsicht etwas Aristokratisches ausstrahlt – seine extravagante Kleidung, sein überdimensioniertes Haus, das für eine einzelne Person viel zu groß ist –, so hat er doch nie so ganz zur Oberschicht gepasst, zu der er so verzweifelt dazugehören wollte. Er musste sein Leben auf Lügen aufbauen, traute sich nicht, den Menschen wirklich nahezukommen, aus Angst, sein Kartenhaus könnte zusammenstürzen. Seine Identität ist weitgehend ein Schauspiel, genau wie sein Lächeln, das er nutzt, um die Menschen von sich einzunehmen, obwohl er anders empfindet. Obwohl er den Mut besaß, von einer radikal anderen Zukunft zu träumen, und diese zumindest teilweise auch erreicht hat, so wurde er nicht durch seine Familie oder edle Mittel reich, sondern durch kriminelle Machenschaften. Somit stellt Fitzgeralds Roman den amerikanischen Traum mit seinen Motiven in Frage.

Auch wenn Gatsby »an das grüne Licht, an die verheißungsvolle Zukunft« (S. 220) glaubte und als vielleicht einzige Figur die Fähigkeit zu träumen besaß, so hat er vergessen, das zu genießen, was er hatte. Das grüne Licht kann also auch als das grüne Land Amerika interpretiert werden, bevor die Pioniere es für sich eingenommen hatten, also vor ihren großen Träumen. Dieses grüne Licht strahlt nun von Daisys Pier und kann als Gatsbys erste große Wunschträume gelesen werden, die ihn auf seinem Weg zum Erwachsenwerden begleitet haben. Auf seinem Weg zur Verwirklichung seines Traumes vom großen Geld hat Gatsby es nicht geschafft, tiefere Bindungen zu Menschen aufzubauen, und so hat Nick enorme Schwierigkeiten, jemanden zu finden, der zu Gatsbys Beerdigung kommen will. Zum Schluss besteht die Prozession aus dem Leichenwagen, »dann Mr Gatz, der Geistliche und [Nick] in der Limousine und nach [ihnen] vier oder fünf Angestellte sowie der Postbote aus West Egg in Gatsbys Kombiwagen«, sowie »der Mann mit der eulenäugigen Brille«, den Nick nur einmal in Gatsbys Bibliothek getroffen hatte (S. 212).

Obwohl so vieles in dem Roman für die Zukunft, den Fortschritt steht, steht das letzte Kapitel sehr stark für die Vergangenheit. Nick trifft noch einmal auf Charaktere, die schon weit in der Vergangenheit zu liegen schienen (so wie Tom auf der Straße in New York oder Jordan Baker), und erfährt von Meyer Wolfshiem mehr über die Vergangenheit Gatsbys, die personifiziert in seinem Vater vor Nick steht. Auch der Roman selbst schließt mit einer Bemerkung über die Vergangenheit ab: »So legen wir uns in die Riemen, rudern gegen den Strom, und fortwährend zieht es uns zurück in die Vergangenheit« (S. 220). Egal, wie hart Gatsby für die Zukunft gekämpft hat – sei es, um Daisys Liebe zu bekommen oder seine eigene einfache Herkunft mit allen Mitteln zu vertuschen, er ist an beidem gescheitert, und seine Vergangenheit hat ihn eingeholt. »Der große Gatsby« steht – sowohl die Figur als auch das gesamte Werk – für eine transzendentale ästhetische Erfahrung, die für immer unwiederbringlich ist, und doch für immer an den unumkehrbaren, materialistischen Lauf der amerikanischen Geschichte gebunden ist (Nowlin 31), dem viele Menschen in den Roaring Twenties zum Opfer gefallen sind. Nach Immanuel Kant bezieht sich die transzendentale Ästhetik auf die Wahrnehmung einer Ebene, die nicht von den Sinnen abhängig ist – hier spielt der amerikanische Traum eine große Rolle, den Gatsby den Großteil seines Lebens verfolgt. Der transzendentale Aspekt dieses Traumes wird dem materialistischen Traum schließlich untergeordnet, jenem Teil, der von der Außenwelt abhängt und nicht vom Inneren der menschlichen Erfahrung.

Veröffentlicht am 10. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 10. August 2023.