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Effi Briest

Historischer Hintergrund und Epoche

    Theodor Fontanes Leben (1819–1898) umfasst den größten Teil des 19. Jahrhunderts; seine schriftstellerische Laufbahn spiegelt viele Entwicklungen und Probleme dieser Zeit, die literarisch in Deutschland unter anderem durch die verspätete Herausbildung einer realistischen Literatur und vor allem eines gesellschaftsanalytischen Zeitromans gekennzeichnet ist [...]. (Grawe 5)

Fontanes »Effi Briest« erschien von Oktober 1894 bis März 1895 in der Deutschen Rundschau und die Erstausgabe wurde im Oktober 1895, mit dem Impressum 1896, veröffentlicht. (Vgl. Grawe 26) Es ist davon auszugehen, dass Fontane bereits 1888 mit der Arbeit an »Effi Briest« begann, diese jedoch wegen der schwersten psychosomatischen Krise seines Alters, ausgelöst durch eine Gehirnanämie und die darauffolgenden Selbstzweifel sowie das Fehlen von Inspiration, unterbrach. (Vgl. ebd. 26f.)
Das Werk fällt in die literarische Epoche des Realismus, der sich nach der Revolution von 1848 etablierte. (Vgl. Ebd. 15)

    Die romantische Tradition erschien nun zunehmend als irrelevant, ihre Vorliebe für Mythos, Märchen, Mittelalter und Traumwelt als Flucht aus der Flucht aus der Zeit, ihre Verabsolutierung des Ich, ihre Innerlichkeit und Gefühlsbetontheit als ungerechtfertigter Subjektivismus. (Ebd.)

Der Realismus stellte sich stattdessen der Wirklichkeit und der Gegenwart, befasste sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und versuchte, die Lebensumstände der Menschen genau abzubilden.

    Die Realität, in der sich die Menschen zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden, war unter anderem gekennzeichnet durch ungeahnte naturwissenschaftliche und technische Fortschritte und die damit verbundene genaue Beobachtung der äußeren Welt und schnelle Industrialisierung; durch eine unüberschaubar gewordene, reich gegliederte, im Umbruch befindliche Gesellschaft, in der sich durch den Bevölkerungsanstieg und die rapide Verstädterung soziale Probleme von völlig neuen Ausmaßen auftaten, die die Menschen ideologisch stark beunruhigten, aber faktisch von ihnen weitgehend ignoriert wurden. (Ebd. 16)

Eines der Leitmotive des späten 19. Jahrhunderts ist der Gegensatz von individueller Freiheit und gesellschaftlichen Zwängen. Dies ist auch eines der Hauptthemen Fontanes. In »Effi Briest« wird diese Thematik sehr anschaulich durch die Figuren von Effi Briest und Major Crampas als freiheitsliebende Individuen sowie durch Innstetten als Inbegriff gesellschaftlicher Zwänge dargestellt. (Geulen 3)

Fontane thematisiert in seinem Roman einige wichtige Gegebenheiten der Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs. So bezieht er sich beispielsweise auf den Kontrast zwischen der erzkonservativ geprägten hinterpommerschen Adelswelt und dem liberaleren Berlin. Dieser Gegensatz zeigt sich nicht nur in den Charakteren, sondern auch in den moralischen und sozialen Normen beider Welten, die im Laufe der Handlung aufeinandertreffen. In Hinterpommern wird die Adelsgesellschaft dargestellt, die von Traditionen und einem konservativen Wertesystem geprägt ist. Konträr dazu steht Berlin als aufstrebende Metropole, die von den Veränderungen der Industrialisierung und einem zunehmend liberalen Denken beeinflusst wird. Hier entstehen Konflikte zwischen der alten Gesellschaftsordnung und einer aufkommenden, oft neureichen Oberschicht.

Besonders auffällig ist Effis Ehe mit dem wesentlich älteren Innstetten. Der Altersunterschied, welcher normal für die arrangierten Ehen dieser Zeit ist, zeigt die Bereitschaft der Adelsgesellschaft, ihre Traditionen über Liebe und Glück zu stellen. Innstetten verkörpert die alten Werte der Adelsgesellschaft, während er gleichzeitig eine politische Karriere im modernen Berlin verfolgt. Dies zeigt den Versuch der Adelswelt, sich in der sich wandelnden Gesellschaft zu behaupten.

Die Industrialisierung führt zu einem Wandel der sozialen Strukturen, wodurch eine neue gesellschaftliche Klasse aufkommt, die sich weniger an den traditionellen Werten orientiert. Fontane verdeutlicht diese Veränderungen, indem er die Verständnislosigkeit der neuen Oberschicht gegenüber dem Duell darstellt. Die Kritik am Duell wird vor allem durch Innstettens inneren Kampf mit sich selbst dargestellt, da dieser sich aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Adelsgesellschaft verpflichtet fühlt, an der alten Tradition festzuhalten, obwohl er selbst keinerlei Bedürfnis hat, sich mit Crampas zu duellieren. Innstettens Pflichtgefühl zeigt die Unnachgiebigkeit, mit der die alte Adelsgesellschaft an ihren Traditionen festhält. Das Duell fungiert letztlich als Zusammenstoß der traditionellen und liberalen Werte und Vorstellungen.

Ein weiteres Indiz für den gesellschaftlichen Konflikt ist die Figur des Major Crampas. Als Vertreter der liberaleren Gesellschaft steht Crampas in starkem Kontrast zu Innstetten. Die Affäre zwischen Effi und Crampas zeigt die Unvereinbarkeit der traditionellen Werte mit den entstehenden liberalen Ideen. Die Protagonistin Effi Briest gerät so in ein Spannungsfeld, welches Konflikte und tragische Entwicklungen zur Folge hat. Der Autor greift somit die allgemein wichtigen Themen des Realismus auf und schafft durch die Darstellung der verschiedenen gesellschaftlichen Klassen ein anschauliches Bild des deutschen Kaiserreichs und seiner verschiedenen sozialen Strukturen.

Fontane konzipierte »Effi Briest« auf Basis eines realen historischen Ereignisses – der Ardenne-Affäre. Elisabeth von Ardenne wurde als Elisabeth von Plotho als jüngstes von fünf Kindern auf dem Gut der Eltern geboren. Anders als Effi war Elisabeth kein Einzelkind. (Vgl. Selbmann 61) »Der fünf Jahre ältere Fähnrich Armand Léon Baron von Ardenne von den roten Zieten-Husaren aus Rathenow wurde als damals schon militärisch, literarisch und musikalisch auffallende Erscheinung in diesem Kreis eher als ›Störenfried‹ empfunden.« (Ebd.) Nach dem Krieg von 1870, in dem Ardenne verwundet und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet wurde, vermittelte die Mutter zwischen Elisabeth und Armand und arrangierte die Verlobung. (Vgl. Ebd.) Zu diesem Zeitpunkt ist Elisabeth, wie auch Fontanes Effi, erst 17 Jahre alt. Ein Unterschied besteht darin, dass Armand nur unwesentlich älter ist – anders als Fontanes Baron von Innstetten. Nach einer Wartezeit von drei Jahren fand die Hochzeit des Paars am 1. Januar 1873 in Zerben statt. Im Anschluss zog das Paar gemeinsam in eine Wohnung in Berlin. In der folgenden Zeit gebar Elisabeth zunächst eine Tochter, dann einen Sohn, während ihr Mann seine Militärkarriere vorantrieb. Anders als Effi Briest lebte Elisabeth von Ardenne in dieser Zeit nicht in sozialer Abgeschiedenheit. (Vgl. Ebd.)
Emil Hartwich, ein guter Freund der Ardennes, lebte derweil in einer unglücklichen Ehe. Seine Interessen, beispielsweise für das Theaterspiel, überschneiden sich mit denen von Elisabeth. Dies stellt eine weitere Parallele zu Effi und Crampas dar. »Hartwich imponierte Elisabeth von Ardenne offensichtlich durch die Bereitschaft, Wagnisse wider alle Vernunft und jenseits bürgerlicher Sicherheiten einzugehen«. (Ebd. 62) Die Affäre zwischen Elisabeth und Hartwich begann mit der Versetzung ihres Mannes. Anders als in Fontanes Roman planten beide eine Scheidung.

    Anders als Innstetten, der auf Effis Briefe durch Zufall stößt, suchte der eifersüchtige Ardenne gezielt nach solchen Briefen. Deren Auffindung als untrüglicher Beweis führte am 27. November 1886 zum Duell der beiden diesbezüglich nicht unerfahrenen ehemaligen Freunde – Ardenne hatte sich schon mehrfach duelliert, Hartwich galt als ausgezeichneter Pistolenschütze. (Ebd.)

Obwohl ihm der erste Schuss gebührte, schoss Hartwich in die Luft, während Ardenne ihn schwer mit einem Bauchschuss verletzte, an dem sein Konkurrent wenige Tage später verstarb. Ardenne wurde zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, jedoch bereits nach etwa einem Monat begnadigt. Seine Karriere nahm keinen Schaden durch das Duell. Nach der Scheidung von seiner Frau behielt er das Sorgerecht für die beiden Kinder und heiratete nur ein Jahr später erneut. Elisabeth von Ardenne arbeitete nach der Scheidung als Krankenschwester und starb – anders als Effi – erst im Alter von knapp 100 Jahren. (Vgl. ebd.)

Veröffentlicht am 4. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 4. Dezember 2023.