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Effi Briest

Kapitel 9-12

Zusammenfassung

Nachdem Effi sich in Kessin eingerichtet hat, soll sie die wichtigsten Kessiner Familien kennenlernen. Gemeinsam mit Innstetten macht sie Stadtbesuche und auch der Landadel wird ihr vorgestellt. Effi empfindet die meisten der neuen Bekanntschaften als mittelmäßig und wenig liebenswürdig und wird von diesen im Gegenzug sehr kritisch beäugt. Den Höhepunkt bildet die Jungfer Sidonie von Grasenabb, die Effi offen als Atheistin bezeichnet. Zudem stört Effi sich daran, dass ihr Mann sie auf ihrer Reise nicht ein einziges Mal berührt oder gar geküsst hat – seine emotionale Kälte missfällt ihr. Innstetten gelobt zwar für die Zukunft Besserung, wechselt jedoch schnell das Thema und hinterfragt, welcher Besuch Effi besonders gefallen habe. Sie erklärt, dass sie sich ausschließlich mit Gieshübler wirklich anfreunden kann. Als Innstetten kurz darauf von Bismarck nach Varzin eingeladen wird, muss Effi zum ersten Mal eine längere Zeit allein im neuen Zuhause auskommen und fühlt sich einsam. Effi schläft schlecht und erwacht schließlich mit einem lauten Schrei. Die Tür springt auf und sie hat das Gefühl, dass etwas an ihr vorbeihusche, doch die Angst legt sich, als der treue Hund Rollo das Zimmer betritt. Effi klingelt nach Johanna und berichtet dieser, dass es im Haus spuke – sie glaubt, den Chinesen gesehen zu haben.

Johanna berichtet Innstetten bei dessen Rückkehr von den Ängsten seiner Frau, der die Geräusche kennt, die Effi eingeschüchtert haben. Er zeigt für ihre Angst vor dem möglichen Spuk jedoch wenig Verständnis. Im Gespräch mit Effi bittet sie ihn erst, sie nicht wieder allein zu lassen und fragt dann, ob sie einen Umzug in ein anderes Haus in Erwägung ziehen könnten. Innstetten kommt seiner Frau nicht entgegen und schlägt ihr beide Wünsche ab. Er erklärt ihr, dass er sich der Lächerlichkeit preisgeben würde, wenn sie umzögen, weil seine Frau Angst vor einem spukenden Chinesen habe. Effi ist über den Verlauf dieser Unterhaltung sehr unglücklich, findet jedoch Ablenkung in einer Einladung von Alonzo Gieshübler, der mit Innstetten und ihr ein Konzert besuchen will. Um sich mit ihr zu versöhnen, lädt Innstetten Effi auf eine Spazierfahrt ein. Auf dem Weg fahren sie auch an dem Grab des Chinesen vorbei und Innstetten erzählt Effi die ganze Geschichte. Der Chinese sei ein Freund des Kapitän Thomsen gewesen, dem das Haus der Innstettens zuvor gehört habe. Auf der Hochzeit von Thomsens Nichte oder Enkelin – diesbezüglich war sich niemand sicher –, war auch der Chinese eingeladen. Nach einem Tanz mit ihm war die Braut plötzlich verschwunden und kam nie wieder zurück. Der Chinese verstarb zwei Wochen später und wurde von Thomsen neben dem Kirchhof begraben.

Auf der Spazierfahrt bemerkt Innstetten Effis Heimweh. Sie wünscht sich, nach Hohen-Cremmen zurückkehren zu können und fühlt sich unwohl in Kessin. Am Abend lernt Effi Marietta Tripelli kennen, die die Tochter des verstorbenen Kessiner Pastors ist und über eine hervorragende Singstimme verfügt. Effi bewundert die Frau für ihre Selbstsicherheit.

Auf dem Heimweg begleitet Pastor Lindequist das Ehepaar Innstetten und sie sprechen noch einmal über die Ereignisse des Abends. Anschließend befasst Effi sich mit den Vorbereitungen auf Weihnachten. In einem Brief an ihre Mutter beschreibt sie ihr Leben in Kessin und berichtet ihr außerdem, dass sie ein Kind erwartet. Sie hofft, dass das Baby ihr gegen die Einsamkeit in Kessin hilft und möchte gleich nach der Geburt nach Hohen-Cremmen reisen, um ihre Eltern zu besuchen.

Analyse

Zum gegenteiligen Aufbau von Hohen-Cremmen und Kessin gehört nicht nur die Atmosphäre des Hauses, sondern gehören auch die Einwohner der Umgebung. Während Effi in Hohen-Cremmen fürsorgliche Freundinnen, ein liebendes Elternhaus und freundliche Bekannte wie den Pastor Niemeyer hat, passen die Kessiner Menschen nicht zu ihr.

    Der pommersche Landadel um Kessin, der das eigentlich preußische Element von Effis Leben dort darstellt, verkörpert schon hier bei seiner Einführung die beiden Züge, die das typisch preußische Syndrom ausmachen, gegen das Effi mit ihrem Ehebruch verstößt: Patriotismus und Protestantismus. (Grawe 68)

So ist sie von Sidonie von Grasenabb zur »Atheistin« (S. 60) erklärt, was einer Klassifizierung als Fremdkörper in der Gesellschaft gleichkommt. (Vgl. Grawe 68) Effi kann sich nur schwer in Kessin einleben und findet nur einen einzigen Freund im Apotheker Alonzo Gieshübler, während sie die übrige Gesellschaft als wenig liebenswert empfindet. Ihre soziale Distanz zum Kessiner Adel zeigt ihre Einsamkeit.

Diese Einsamkeit erstreckt sich jedoch nicht nur über Effis gesellschaftliches Leben, sondern betrifft auch ihr Eheleben. Ein Gespräch mit Innstetten

    bringt Effis sexuelle und emotionale Frustration zum Ausdruck und bestätigt, wenn Effi Innstetten als »frostig wie ein Schneemann« bezeichnet, die metaphorische Bedeutung der winterlichen Kälte als Gefühlsarmut. (Grawe 69)

Zudem zeigt sich Innstettens geringfügiges Interesse an den Belangen seiner Frau. Er verspricht zwar Besserung in Bezug auf ihr Verlangen nach Liebe und Zärtlichkeit, bemüht sich im weiteren Handlungsverlauf jedoch nicht, dieses Versprechen auch einzulösen und wahrt stattdessen weiterhin Distanz.

Auch für Effis Angst vor dem Spuk, die weiterhin zunimmt, hat Innstetten kein Verständnis. Effi findet in dem Hund Rollo einen größeren Beschützer und Trost, als in ihrem eigenen Ehemann, der weder bereit ist, die Ursache der nächtlichen Geräusche zu beheben, noch einem Umzug zustimmt, um sich nicht vor der Gesellschaft lächerlich zu machen. Dies führt zu einem Streit, bei dem Effi klarstellt:

    Ich habe dir nachgegeben und mich willig gezeigt, aber ich finde doch, dass du deinerseits teilnahmsvoller sein könntest. [...] Ich habe sehr gelitten, wirklich sehr, und als ich dich sah, da dacht ich, nun würd ich frei werden von meiner Angst. Aber du sagst mir bloß, dass du nicht Lust hättest, dich lächerlich zu machen, nicht vor dem Fürsten und auch nicht vor der Stadt. [...] Und wenn du von Familien sprichst, denen ihr Spuk so viel Wert sei wie ihr Wappen, [...] mir gilt mein Wappen mehr. Gott sei Dank haben wir Briests keinen Spuk. Die Briests waren immer sehr gute Leute, und damit hängt es wohl zusammen. (S. 74)

Effis Gefühlsausbruch verdeutlicht ihre große Enttäuschung über ihren Ehemann, der ihre Sorgen nicht ernst nimmt und sie nur darüber belehrt, inwiefern das Haus und der Spuk wichtig für ihr gesellschaftliches Ansehen sind. Dies zeigt seinen Drang nach gesellschaftlichem Ansehen sowie seine Sicht auf seine Frau, die er wie ein Kind behandelt. Effis Worte über »die Briests« zeigen außerdem, dass sie sich ihrer Herkunftsfamilie immer noch zugehöriger fühlt als ihrem Ehemann. Sie schafft es nicht, sich in ihrer neuen Rolle als Baronin und Ehefrau einzufinden und hält deshalb an der idyllischen Familie ihrer Kindheit fest. Dies wird auch im weiteren Handlungsverlauf noch einmal deutlich, als Effi ihrer Mutter von ihrer Schwangerschaft berichtet und den Wunsch äußert, gleich nach der Geburt mit dem Baby nach Hohen-Cremmen zu reisen.

Veröffentlicht am 30. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 30. November 2023.