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Unter der Drachenwand

Entstehung und Quellen

Arno Geiger erstand auf einem Wiener Flohmarkt ein Bündel Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. In diesen Briefen ging es um die Landverschickung Wiener Kinder an den Mondsee im Salzburger Land. Die Korrespondenz zwischen Lehrern, Eltern und Behörden, auf die er also eher zufällig gestoßen war, brachte ihn auf die Idee, das Thema zur Grundlage für einen Roman zu machen. Dabei war es ihm besonders wichtig, nicht retrospektiv und aus allwissender Perspektive eines Erzählers zu schreiben, der über den historischen Ausgang des Krieges informiert ist, sondern einzelne Figuren aus dem Blickwinkel ihrer Gegenwart sprechen zu lassen. Um sich dem Originalton der Zeit so gut wie möglich anzunähern, hat Arno Geiger rund 20.000 historische Briefe, aber auch andere private Originaldokumente wie Tagebücher gelesen. Nach eigener Aussage benötigte er für die Vorarbeiten zum Roman rund zehn Jahre. Das Lager Schwarzindien kommt schon in seinem Roman »Es geht uns gut« aus dem Jahr 2005 vor.

Daneben diente die Biografie von Arno Geigers Vater August Geiger als Inspiration für die Darstellung der Hauptfigur Veit Kolbe.
Wie Veit wurde auch August Geiger (*1926) in den 1920er-Jahren geboren und als sehr junger Mann unmittelbar nach der Matura, mit 17 Jahren, zum Kriegsdienst eingezogen. Er kam mit 18 Jahren an die Ostfront und in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wo er aufgrund katastrophaler Ernährung an der Ruhr erkrankte und ins Gefangenenlazarett nach Bratislava gebracht wurde. Vier Wochen später wurde er entlassen und ging, abgemagert auf 40 Kilo, zu Fuß zurück in sein Heimatdorf Wolfurt in Vorarlberg. Schwer traumatisiert durch seine Fronterfahrungen und die Gefangenschaft, verbrachte er sein ganzes Leben in diesem Dorf und baute auf dem Grundstück seiner kleinbäuerlichen Herkunftsfamilie ein Haus. Selbst für kurze Reisen wollte er Wolfurt nicht mehr verlassen, was zu Spannungen mit seiner 15 Jahre jüngeren Frau führte, von der er später getrennt lebte.
Parallelen zur Geschichte von Veit Kolbe sind also nicht nur die grausamen Fronterfahrungen, sondern auch die Verwundung bzw. Erkrankung mit anschließendem Lazarettaufenthalt und vor allem die starke Traumatisierung und ihre Folgen: bei August Geiger die extreme Einschränkung des Lebensradius, bei Veit Kolbe die Angstzustände und Panikattacken.

Veröffentlicht am 28. Juli 2022. Zuletzt aktualisiert am 27. September 2022.