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Unter der Drachenwand

Abschnitt 6 (Kapitel 25-28)

Zusammenfassung

Kapitel 25: Ich schaute mich in den Zimmern um
»Ich schaute mich in den Zimmern um, in denen der Brasilianer gehaust hatte.« [Veit Kolbe]

Veit kümmert sich um die zurückgelassenen Dinge des Brasilianers. Margot gibt ihm eine Pistole, die sie bislang in ihrem Koffer versteckt hatte. Veit fühlt sich mit der Waffe sicherer. Als Dohm wegfährt, verabschiedet er sich zu Veits Erstaunen mit persönlichen Worten von ihm. Er bittet ihn um Verständnis für seine unfreundliche Frau. Sie leide unter starken körperlichen Schmerzen.

Im Ort treffen unterdessen viele Flüchtlinge ein. Einige von ihnen werden in der Gärtnerei untergebracht. Veit überbringt Margarete Bildstein persönliche Sachen von Nanni Schaller. Nur Nannis Briefe an Kurt Ritler möchte er Kurt selbst übergeben. Er erfährt von Margarete, dass das Lager aufgelöst werden solle, weil es Kritik an ihrer Leitung gegeben habe.

Kapitel 26: Bald ein ganzes Jahr
»Bald ein ganzes Jahr trieb ich mich in Mondsee herum, indessen der Krieg kein Ende nahm.« [Veit Kolbe]

Veit wird in einem Brief aufgefordert, sich in die Wiener Kaserne Breitensee zu begeben. Er will sich in der Gendarmerie die Fahrerlaubnis ausstellen lassen. Schon auf dem Weg dorthin begegnet er seinem Onkel. Dieser deutet an, dass er noch am selben Tag eine Verhaftung vornehmen werde. Vorher müssten die Mädchen das Lager räumen. Es handele sich um jemanden, der ausländische Sender hören würde.

Gegen Abend wird Veit klar, dass sein Onkel ihn bewusst in die Irre geführt hat. Er schlussfolgert aus der geplanten Lagerräumung, dass der Brasilianer sich in Schwarzindien versteckt hält. Veit nimmt seine Pistole und macht sich im Dunkeln auf den Weg dorthin. In der Gaststube trifft er auf seinen Onkel, der den Brasilianer festgenommen hat. Er bedroht ihn mit seiner Waffe und drückt schließlich ab. Der Onkel wird tödlich getroffen. Gemeinsam mit dem Brasilianer versteckt Veit seine Leiche. Anschließend verabschieden sich die beiden als Freunde und der Brasilianer setzt seine Flucht fort.

Kapitel 27: Es sind vom Eichbaumeck
»Es sind vom Eichbaumeck bald alle fort, in den Betrieben und Kanzleien werden die Männer durch Frauen ersetzt, die Männer schimpfen, so mancher wird sich’s halt leichter vorgestellt haben.« [Margots Mutter an Margot]

Margots Mutter schildert in einem weiteren Brief die hoffnungslose Lage in Darmstadt. Ein Kriegsheimkehrer hat sich das Leben genommen, nachdem er erfahren hat, dass seine ganze Familie beim Bombenangriff umgekommen ist. Die Versorgung ist immer noch sehr schlecht. Der Vater wurde wieder eingezogen und ist nun in Pommern. Die Mutter geht auch auf Margots Geständnis ein, sie liebe ihren Mann nicht. Sie rät Margot, dennoch an ihrer Ehe festzuhalten, behandelt sie aber auch als erwachsene Frau, die ihre eigenen Entscheidungen treffen muss.

Kapitel 28: Die Sache ging sehr rasch
»Die Sache ging sehr rasch. General Schubert ernannte uns zu einer Volksgrenadier-Division, dann gab es Schnaps, Zigaretten, Keks und Drops, das war der Abschied von zu Hause.« [Kurt Ritler an Ferdl]

Kurt Ritler berichtet seinem Freund Ferdl in einem Brief, wie er zusammen mit anderen sehr jungen Männern zum Volkssturm eingezogen wird. Er beschreibt die erste Zeit in der Kaserne, die mit sinnlosen Exerzierübungen und Tätigkeiten wie Waschen und Putzen angefüllt ist.

Als er von Nannis Tod erfährt, ist er am Boden zerstört. Über ihr Begräbnis erfährt er aus der Heimat kaum etwas. Ihm wird alles gleichgültig, und er ergibt sich einem vollkommenen Fatalismus. Ein Soldat aus Mondsee (Veit) übergibt ihm Nannis Briefe. Von der Kaserne Hainburg wird er im Anschluss an die Grundausbildung nach Schlesien versetzt. Für den Fall, dass er den Fronteinsatz nicht überlebt, nennt er Ferdl den Aufbewahrungsort seiner Wertsachen.

Analyse

Als Veit das verlassene Zimmer des Brasilianers inspiziert, nimmt er die Zigarrenkisten an sich, die dieser hier versteckt und ihm vor seiner Flucht vermacht hat. Dies ist Ausdruck der Freundschaft, die der Brasilianer für Veit empfindet, denn die Zigarren gehören zu seinen größten Schätzen und sind eine Verbindung zu seinem Traumland Brasilien. Umgekehrt wirft es erneut ein bezeichnendes negatives Licht auf Johann Kolbe, dass er vor allem bedauert, die Zigarren nicht zu finden. Er will sich am Besitz desjenigen Mannes bereichern, den er zu verhaften plant.

Schwer zu deuten ist die Szene, in der Max Dohm gegenüber Veit um Verständnis für seine Frau bittet: »‘Also nichts für ungut‘, sagte er: ‚Und halten Sie bitte ein Auge auf Trude, und seien sie nachsichtig mit ihr.‘« (S. 344) Möglicherweise soll mit dieser Textstelle erneut darauf hingewiesen werden, dass moralische Grenzen fließend sind, dass selbst ein SS-Mann, der KZ-Lagerlisten schreibt, fürsorgliche Gefühle für die engsten Familienangehörigen haben kann. Umgekehrt könnte die Szene ein Hinweis auf die Perversion sein, die darin liegt, dass derselbe Mann, der zärtliche Gefühle für einen so bösartigen Menschen wie Trude Dohm hegt, gleichzeitig vollkommen ungerührt Frauen und Kinder in die Gaskammern schicken kann. So wäre auch Max Dohm ein Vertreter jener Mischung aus Selbstmitleid und Verächtlichkeit gegenüber anderen, die Veit im selben Kapitel seinem Vater und seinem Onkel zuschreibt (S. 348), einer Mischung aus Sentimentalität und Kälte.

In der letzten Szene von Kapitel 25 zeigt sich, dass die Beziehung von Margot und Veit eine neue Ebene erreicht hat, fest und verbindlich geworden ist. Sie nennt Veit »Liebling«, worüber er sich freut, und er schildert, wie sie anstoßen »auf die gemeinsamen Kinder […], die wir irgendwann haben wollten« (S. 355).

Ein konstituierendes Thema des Romans, Veits Suche nach verbindlichen moralischen Kriterien und einer eigenen klaren Haltung, kulminiert in der Szene im Gasthof, in der er seinen Onkel erschießt. Erzähltechnisch sehr klar entwickelt wird diese Tat im Grunde nicht, auch wenn sich im Zuge der Handlung zeigt, wie Veit seinen Onkel mehr und mehr verachtet. Dennoch kann man sich fragen, ob ein sensibler, mit sich und anderen hadernder Mensch wie Veit fähig wäre, den eigenen Onkel, und sei er noch so niederträchtig, zu erschießen. Der Autor löst dieses Problem mit dem Hinweis: »[ich] fuhr in die Stiefel, und von hier an passierten nur noch Dinge, die mir vorkamen, als folgten sie einer Traumlogik« (S. 362). Nachdem Veit beim Gasthof angekommen ist und den Brasilianer und den Onkel eine Zeitlang beobachtet hat, tritt er aus seinem Versteck hervor und zückt die Pistole. Die eigentliche Tat wird dann damit begründet, dass der Onkel den Neffen beschwört, »nicht den edlen Rittersmann« (S. 365) spielen zu wollen und ergänzt: »Es ist schon genug Unheil angerichtet« (ebd.). Es folgt Veits Begründung für die Tat: »Und dieser Satz ließ alle Schäbigkeiten des Onkels aufleben, ich hatte kein Mitleid mit ihm, wie er nie mit irgendwem Mitleid gehabt hatte. Und das Pervitin war bestimmt auch nicht ganz schuldlos, dass ich abdrückte« (S. 366). Ob diese Mischung aus Drogeneinfluss und plötzlich aufflammendem Hass gegen den Mitleidlosen als Auslöser glaubwürdig ist, lässt sich zumindest diskutieren.

Kapitel 28 fasst mehrere Briefe zusammen, die Kurt Ritler an seinen besten Freund Ferdl schickt. Obwohl die Adressatin jetzt nicht mehr Nanni ist, lässt sich aus einem der ersten Absätze schließen, dass Kurt anfangs noch immer nicht von ihrem Tod weiß: »Wo Nanni wohl ist, meine Schorsche? Aufenthaltsort unbekannt. Ich wünschte, dass sie zurückkäme« (S. 385). Da an keiner Stelle eine formale Grenze zwischen den Briefen gezogen wird, lässt sich nicht immer genau erschließen, wo ein neuer Brief beginnt. Fakt ist aber, dass Kurt an einer späteren Textstelle über Nannis Tod spricht, also inzwischen darüber informiert wurde: »Ist’s möglich? Nanni tot? Mir wird sehr bang, und ich kann gar nicht gerade denken« (S. 389). Die völlige Hoffnungslosigkeit, die Kurt nun ergreift (»Hätte ich dich nicht, Ferdl, das Leben wäre überhaupt nicht tragbar« (S. 391), ist darauf ebenso wie auf seine furchtbaren Fronterlebnisse zurückzuführen. Am Ende des Kapitels schreibt er: »Zu Fuß, auf Karren und Autos kommen die Verwundeten an. Das geht Tag und Nacht. Ein Bild des Grauens. Diese Bilder werde ich nie vergessen« (S. 398).

Veröffentlicht am 13. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 13. Oktober 2022.