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Unter der Drachenwand

Abschnitt 4 (Kapitel 17-19)

Zusammenfassung

Kapitel 17: Ich bin noch immer ganz verwirrt
»Ich bin noch immer ganz verwirrt, dass du davongelaufen sein sollst, ich verstehe es nicht, und es schaudert mich, wenn ich daran denke.« [Kurt Ritler an Annemarie »Nanni« Schaller]

Kurt versucht, Nanni brieflich zu erreichen, und spricht über seine Sorge um sie. Er hat inzwischen erfahren, dass sie vermisst wird. Während er sie beschwört, sich zu melden, berichtet er zugleich aus seinem Alltag. Das Verhältnis zu seiner Familie wird immer schwieriger. In seiner Angst um Nanni schließt er sich enger an deren Mutter an. Die beiden versuchen, sich gegenseitig aufzubauen.

Er ist als Flakhelfer zum Abhören von Fluggeräuschen eingezogen worden. Sein Besuch in Mondsee ist dadurch nun unmöglich geworden. Obwohl er nur durch großes Glück einige Luftangriffe der Amerikaner überlebt, empfindet er seinen Dienst vor allem als langweilig und gibt sich fatalistisch.

Kapitel 18: Der Abschied von Wien
»Der Abschied von Wien, zeitlich ja kurz, aber nicht minder dem Gedächtnis eindringlich, die trübere Seite.« [Oskar Meyer an seine Cousine Jeannette]

In mehreren Briefen, die Oskar Meyer seiner Cousine Jeannette zwischen 1941 und 1944 schreibt, schildert er seine elende Lage. Die Flucht nach Budapest hat ihm und seiner Familie in den ersten Jahren Hoffnung gegeben. Doch 1944 marschiert die Wehrmacht in Ungarn ein. Ein Pole rät ihm zu fliehen und berichtet von Konzentrationslagern, in denen Juden systematisch durch Gas getötet werden. Obwohl Juden nun auch in Ungarn schweren Repressalien ausgesetzt sind, kann Oskar dies nicht glauben. Schließlich entscheidet er sich dafür, mit seiner Familie nach Rumänien zu fliehen.

Ein weiterer Brief Oskars an Jeanette folgt sechs Wochen später. Oskar erklärt, warum er sich in der Zwischenzeit nicht mehr gemeldet habe. Die schlimmste denkbare Situation ist eingetreten: Im Juli 1944 sind Oskars Frau Wally und sein Sohn Georg spurlos verschwunden. Oskar kann nichts über ihren Verbleib erfahren und ist verzweifelt.

Am Ende flüchtet Oskar sich in die Erinnerung an einen schönen Tag nach ihrer Ankunft in Budapest. Er denkt daran, wie er in seiner Freude ein Halstuch für Wally gekauft hat. Außerdem erinnert er sich an einen gemeinsamen Urlaub am Gardasee. Sein einziger innerer Rettungsanker ist der Gedanke an seinen Sohn Bernhard, der im südenglischen Bath in Sicherheit ist.

Kapitel 19: Wie ich in der Lebenszeichenkarte
»Wie ich in der Lebenszeichenkarte schrieb, lebe ich, und unser Haus steht noch.« [Margots Mutter an Margot]

Margots Mutter beschreibt ihrer Tochter in mehreren Briefen die verzweifelte Lage in Darmstadt nach einem verheerenden Bombenangriff. Die Stadt ist fast vollständig zerstört. Viele Nachbarn und Freunde sind ums Leben gekommen; manche Menschen suchen noch in den Trümmern nach Angehörigen. Die Versorgungslage ist katastrophal.

Margots Mutter wundert sich, wie Margot und ihre Schwester Bettine in dieser Lage noch Wünsche nach Artikeln wie Seidenstrümpfen äußern könnten. Sie könne diese Wünsche nicht mehr erfüllen. Auch in der verheerendsten Notlage bleibt sie die besorgte und zugleich mahnende Mutter, die Ärger und Vorwürfe äußert.

Analyse

In den Kapiteln 17–19 verstummt die Stimme Veit Kolbes für einen längeren Zeitraum. Nun kommen nacheinander Kurt Ritler, Oskar Meyer und Lore Neff zu Wort. Alle drei sind auf sehr unterschiedliche Weise durch den Krieg bedroht.

Im Mittelpunkt von Kurts Brief steht die Sorge um Nanni, von der er noch immer kein Lebenszeichen erhalten hat. Seine plötzliche Einberufung zu einem Lehrgang des Wehrbezirkskommandos und sein Einsatz als als Flakhelfer an einem Richtungshörer verdüstern seine Stimmung zusätzlich.
In diesem Brief spricht Kurt auch zum ersten Mal über seine Ängste, doch noch hat ihn die Hoffnungslosigkeit nicht vollständig erfasst. Vorerst schwankt seine Verfassung zwischen verrückten Liebeshoffnungen (»Mein Traum wäre, dass du wieder in Indien bist und ich mich als Mädchen verkleide und dort mit dir lebe, im gleichen Zimmer«, S. 236/37) und Fatalismus (»Die schöne Welt geht kaputt, liebe Nanni, und morgen vielleicht der nächste Angriff. Muss eh! Also, mein guter Engel, vergiss deinen Kurti nicht, wenn er einmal nicht mehr schreibt«, S. 236).

Bereits gänzlich hoffnungslos stellt sich die Lage von Oskar Meyer dar: Die Zustände in Ungarn haben sich seit dem Einmarsch der Deutschen extrem verschlechtert, nun kann er sich auch in Budapest nicht mehr sicher fühlen. Von einem Polen erfährt er von den Gaskammern, und als er ihm nicht glauben will, erwidert der Pole: »Doch, weil ihnen das Töten der Leute sonst zu mühsam ist, so macht es weniger Umstände« (S. 254).

Die grausame Diskrepanz zwischen der Situation des Besatzers, der Zeit hat, auf offener Straße Briefe zu schreiben, und der des Verfolgten, der kaum noch das Haus verlässt und versucht, möglichst keinem Deutschen zu begegnen (»Ich gehe nur […] auf der Schattenseite der Straße, ist weniger gefährlich, dort trifft man weniger Deutsche«, S. 251) zeigt sich in einer Szene, die Oskar schildert: »[…] auf der Sonnenseite der Straße musste ich einem jungen Soldaten mit dem Rücken ein Schreibpult machen, er schrieb einen mehrseitigen Brief, Liebe Margarete …« (ebd.). Zwar erfährt man nicht, was der junge Soldat tatsächlich an jene Margarete schreibt, doch man ahnt, dass er keinesfalls so verzweifelt sein kann wie Oskar. Dessen eigener Brief an Jeanette endet mit der Schilderung der endgültigen Katastrophe: Wally und Georg wurden deportiert, worauf er in völliger Hoffnungslosigkeit versinkt.

Lore Neffs Brief an Margot schildert die Zerstörungen und Todesfälle nach der schweren Bombardierung Darmstadts, reiht sie an vielen Stellen förmlich auf: »Die toten Enten schwimmen auf den Teichen, in den Parks viele Bäume abgebrochen, alles kaputt, viele, viele Tote« (S. 266); »Ich hab dir ja schon geschrieben, dass Onkel Flor, Heinrich, Ernst, Jokel und Hinze Erlenfath ausgebombt sind« (S. 265); »Am 11. September hatten wir einen großen Angriff, der viele Tausende das Leben kostete, darunter leider Tante Emma und Onkel Georg, Tante Helen und Helga, Walters, Frau Beck, die Eltern und Geschwister von Onkel Heinrich und viele, viele Bekannte« (S. 267). Die Länge dieser Aufzählungen schockiert und spricht für sich, doch Lore schreibt so gut wie nichts über ihre Gefühle, nur einmal heißt es: »Wir sind alle sehr zornig« (S. 271). Mehr erfährt man zumindest an dieser Stelle noch nichts über ihr Innenleben und ihre Einstellung zum Regime und seinem Angriffskrieg.
Einige ihrer Aussagen sind offenbar Antworten auf Margots Briefe (die im Roman nicht erscheinen) und lassen Rückschlüsse auf diese zu, etwa dass Margot ihrer Mutter von der Gärtnerei berichtet hat (»Beim Unkrautharken habe ich mir gedacht, dass du jetzt ebenfalls Unkraut harkst«, S. 277) oder Wünsche für Lilo geäußert hat (»Damit ich’s nicht wieder vergesse, ich kann dir beim besten Willen keine Schleifchen besorgen«, S 276).

Veröffentlicht am 13. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 13. Oktober 2022.