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Unter der Drachenwand

Abschnitt 2 (Kapitel 7-10)

Zusammenfassung

Kapitel 7: Am Freitag wurden in Darmstadt
»Am Freitag wurden in Darmstadt achthundert Hasen verteilt, sie waren bei anderen Leuten als überzählig aus den Ställen geholt worden.« [Margots Mutter an Margot]

Veits Zimmernachbarin Margot erhält einen Brief von ihrer Mutter Lore Neff. Darin beschreibt diese die Bombenangriffe auf Darmstadt und die schwierige Versorgungslage. Sie berichtet, wie es verschiedenen Nachbarn und Freunden ergeht. Margots Schwester Bettine arbeitet in Berlin als Straßenbahnschaffnerin. Margots Mutter macht sich Sorgen um sie. Sie bangt auch um den Vater, der in Metz stationiert ist und möglicherweise noch an die Ostfront eingezogen wird.

Kapitel 8: Susi hat mich bei der Straßenbahn
»Susi hat mich bei der Straßenbahn abgepasst, um mir etwas zu geben, einen Brief von dir.« [Kurt Ritler an Annemarie »Nanni« Schaller]

Kurt Ritler schreibt verliebt an seine Cousine Nanni Schaller. Die beiden Jugendlichen haben eine zarte Beziehung geknüpft. Kurt möchte Nanni demnächst im Lager Schwarzindien besuchen, um zusammen mit ihr die Drachenwand zu erklimmen. Damit seine Eltern ihre Erlaubnis geben, soll sein Freund Ferdl ihn begleiten. Kurt schreibt über Konflikte mit seinen Eltern und seiner Schwester Susi. Er berichtet aber auch vom Alltag im Krieg, etwa von der harten Akkordarbeit seiner Mutter in einem Werk, in dem Spatentaschen hergestellt werden.

Kapitel 9: Wie’s mir geht?
»Wie’s mir geht? Das darf man eigentlich nicht fragen, in jeder Hinsicht elend.« [Oskar Meyer an seine Cousine Jeannette]

Der Wiener Jude Oskar Meyer schreibt seiner Cousine Jeannette nach Südafrika. Er schildert ihr, wie schwer das Leben in Wien geworden ist. Täglich nehmen die Repressalien gegen Juden zu. Mit seiner Frau Wally und seinem Sohn Georg lebt Oskar in einer überfüllten Unterkunft und wartet auf eine Ausreisemöglichkeit in die USA. Die Gelegenheit, als Zahntechniker im westafrikanischen Accra zu arbeiten, verwirft er wegen der extremen Klimabedingungen.

Als die Lage unerträglich wird und man ein Ausreiseverbot für Juden verhängt, plant er mit Wally und Georg die Flucht nach Budapest. Von ihrem letzten Geld bezahlen sie den Fluchthelfer und schaffen es, die Grenze zu passieren.

Kapitel 10: Den ganzen Tag Schneegestöber
»Den ganzen Tag Schneegestöber bei etwa null Grad.« [Veit Kolbe / Nannis Mutter an Nanni]

Im März 1944 ist es am Mondsee kalt und winterlich. Veit leiht Margot eine Höhensonne für Lilo und lernt sie dadurch besser kennen. Nach wie vor besucht er den Brasilianer, dessen klare antifaschistische Haltung er schätzt. Gleichzeitig empfindet er seine ständige Schwärmereien von Brasilien, aber auch seine Klagen über die aktuelle Situation gelegentlich als anstrengend. Er selbst kann sich noch immer nicht von einer gewissen Bewunderung für Hitler freimachen. Dennoch wagt er vor der Quartierfrau einige kritische Bemerkungen.

Bei einem Spaziergang hat er erneut eine Panikattacke. Er begegnet Annemarie Schaller, die ihm hilft, sich zu beruhigen. Im Anschluss bittet sie ihn, ihrer Mutter zu schreiben, damit sie Kurt treffen kann; als Soldat habe er vielleicht Einfluss auf sie. Doch Veit lehnt ab, und die enttäuschte Nanni lässt ihn stehen.

Den Schluss des Kapitels bildet ein vorwurfsvoller Brief von Nannis Mutter, in dem sie ihrer Tochter Vorhaltungen wegen ihrer Beziehung zu ihrem Cousin Kurt Ritler macht. Das harte Urteil und die strengen moralischen Vorhaltungen, die die Mutter Nanni macht, stehen in keinem Verhältnis zur harmlosen Verliebtheit und Schwärmerei zwischen Nanni und Kurt.

Analyse

In Kapitel 7 wird zum ersten Mal eine weitere Sprecherin eingeführt. Es handelt sich um Lore Neff, die Mutter von Veits Zimmernachbarin Margot, die sich in einem Brief an ihre Tochter über das Leben in Darmstadt äußert. Auch hier ist der Krieg das einzige, alles beherrschende und alles überschattende Thema. Mit der Perspektive einer Zivilperson wird neben der Sicht von Veit nun der Blickwinkel um Alltagserlebnisse einer Hausfrau in einer deutschen Großstadt erweitert.

Kurt Ritler als dritte Stimme erscheint in Kapitel 8, und er ist als Figur vor allem im Vergleich mit Veit interessant: Während der 23-jährige, schwer verwundete Veit illusionslos und resigniert erscheint, ist der 16-jährige Kurt, der bisher noch keine Bombardierung erlebt hat oder innerhalb der Familie von schlimmen Kriegsereignissen betroffen gewesen ist, verglichen damit unbekümmert. Der Krieg scheint weit weg von seiner Welt, die sich um die Schwierigkeiten mit seinen Eltern und seiner Schwester Susi einerseits, um die erste Liebe zu Nanni andererseits dreht. Veits Humor, wenn er denn überhaupt in Erscheinung tritt, wirkt häufig bitter bis zum Zynismus; Kurts Witze und Sprachspiele dagegen sind neckend, heiter und leichtfüßig.

Oskar Meyer, der in Kapitel 9 zum ersten Mal als Sprecher bzw. Schreiber auftritt, ist ein Opfer des Nationalsozialismus. Obwohl man in einem weiteren Sinne davon sprechen kann, dass auch Veit, Lore und Kurt Opfer des Regimes und des Krieges sind – ob bewusst oder unbewusst – , so ist Oskar Meyer es als verfolgter Jude in einem viel direkteren Sinne. Er hat, anders als z. B. Kurt in seiner jugendlichen Unbedarftheit oder Lore mit ihrer Konzentration auf Haushaltsdinge, keine Möglichkeit, sich in private Welten zu flüchten. Die Schrecken von Diktatur und Krieg werden ihm nicht erst gegen Kriegsende bewusst; Repressalien und Schikanen bedrohen ihn schon seit Jahren. Formal spiegelt sich das darin, dass die von ihm erzählte Zeit früher (1939) einsetzt als die der drei anderen Sprecher (1943 bzw. 1944).

Im zehnten Kapitel wechselt die Perspektive wieder zu Veit, der sich mittlerweile drei Monate in Mondsee aufhält. Seine Gespräche mit dem Brasilianer und der Quartierfrau zeigen, wo er inzwischen innerlich steht: Noch immer hat er ein wenig Bewunderung für Adolf Hitler übrig, der im Buch nur als »der F.« (= Führer) bezeichnet wird. Zugleich hat er Respekt vor der klaren Haltung des Brasilianers, dessen Charakterstärke ihn beeindruckt. Die allmähliche Veränderung seiner Ansichten zeigt sich darin, dass er gegenüber der Quartierfrau ein paar kritische Bemerkungen über »den F.« wagt.

Was der Krieg in ihm selbst angerichtet hat, zeigen seine schlimmen Angstanfälle, von denen er unvorbereitet überfallen wird. Heute würden Psychologen sie unter dem Begriff »posttraumatisches Belastungssyndrom« (PTBSD) einordnen. Auch bei der Darstellung dieser Panikattacken zeigt sich die große Gabe des Autors, nicht mit einem schulmeisterlichen Rückblick aus heutiger Perspektive erklären zu wollen, was Veit erlebt, sondern alles aus der Zeit heraus zu schildern, also mit dem Wissen, das Veit selbst über dieses Syndrom besitzen konnte.

Veröffentlicht am 13. Oktober 2022. Zuletzt aktualisiert am 13. Oktober 2022.