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Narziß und Goldmund

Sprache und Stil

»Narziß und Goldmund« wird größtenteils aus der Perspektive von Goldmund und in der dritten Person erzählt. Bevor Goldmund aber am Ende des ersten Kapitels in die Klosterschule aufgenommen wird, konzentriert sich die in diesem Abschnitt allwissende erzählerische Stimme auf eine allgemeine Schilderung des Klosters und der darin lebenden Menschen, insbesondere Narziß.  

Der Roman besteht, wie so viele von Hesses Werken, aus einer Reihe von Gegensätzen. Die Geschichte ist durchzogen von der Polarität zwischen Natur und Geist, Sinnen und Intellekt, dem Mütterlichen und dem Väterlichen. Genaueres zu dieser Thematik findet sich auch in der Sektion »Aufbau des Werkes«. Diese Polaritäten spiegeln sich in der Sprache des Romans wider. Einerseits geschieht das durch Stilmittel wie die Dichotomie, beispielsweise immer dann, wenn von der Welt des Geistes und der Sinne die Rede ist (Herforth, 99), andererseits im Rahmen von Dialogen, die ebenfalls dichotomisch aufgebaut sind. Narziß und Goldmund debattieren sehr viel, denn ihre Freundschaft baut darauf auf, dass sie miteinander ihre unterschiedlichen Ansichten über das Leben und die richtige Lebensführung austauschen. Das Resultat ist eine dialektische Dialogstruktur, welche die dem Roman zugrunde liegenden Polaritäten hervorhebt und den Lesenden zugänglicher macht (Herforth, 98).

So ziemlich jede Szene, in der Narziß und Goldmund miteinander debattieren, ließe sich an dieser Stelle als Beispiel anführen. Gerade aber die letzten Kapitel des Romans eignen sich dafür. Je mehr sich die Geschichte dem Ende entgegenneigt, desto selbstsicherer wird Goldmund und desto mehr verteidigt er seine Ansichten in den Gesprächen mit Narziß. Während die Gespräche zu Anfang noch mehr an Platonische Dialoge erinnern, in denen Narziß als eine Art Sokrates seinem Schüler seine Gedanken und Logik erklärt, sind die beiden Charaktere in den späteren Szenen einander ebenbürtig. Hier diskutieren sie tatsächlich auf einer Ebene miteinander, wie beispielsweise, als sie sich über die Natur des Schöpfers uneinig sind.

Goldmund hat viel Leid in der Welt mitansehen müssen und ist nicht mehr überzeugt davon, dass sie vom Göttlichen durchzogen ist. Er klagt Narziß an:

    »Und wie oft hast du mir früher behauptet, die Welt sei göttlich, sie sei eine große Harmonie von Kreisen, in deren Mitte der Schöpfer thront, und das Existierende sei gut, und so weiter.« (S. 227)

Narziß rechtfertigt sich folgendermaßen: 

    »Ich habe den Schöpfer stets als vollkommen verehrt, aber niemals die Schöpfung. Ich habe das Übel in der Welt nie geleugnet.« (S. 227)

Daraufhin fahren die beiden Freunde fort, über die Rolle von Gerechtigkeit in der Welt zu diskutieren. Ein derartiger dialektischer Aufbau der Dialoge ermöglicht es Hesse, zwei völlig unterschiedliche Weltanschauungen einander unmittelbar gegenüberzustellen. Teilweise geschieht das auch über mehrere Dialoge hinweg, zum Beispiel in den Kapiteln 18 und 19. In Kapitel 18 ist es Goldmund, der die Notwendigkeit der Vorstellungskraft und der künstlerischen Arbeit verteidigt. Narziß hingegen hört nicht auf, ihm anhand des Beispiels der Mathematik die Wichtigkeit des reinen Denkens ohne bildliche Vorstellungen vor Augen zu führen. In Kapitel 19 jedoch scheint Narziß seine Ansichten ein wenig revidiert zu haben. Er ist zu folgender Einsicht gekommen: 

    »Jetzt erst sehe ich, wie viele Wege zur Erkenntnis es gibt und daß der Weg des Geistes nicht der einzige und vielleicht nicht der beste ist.« (S. 248)

Im Laufe des Romans nähern sich die Sinne und der Intellekt, Natur und Geist, die Kunst und die Logik einander stetig an, bis sie, zum Zeitpunkt von Goldmunds Tod, völlig gleichauf und gleichberechtigt sind. 

Der Roman ist in einer sehr gut lesbaren, eleganten Sprache verfasst, die zahlreiche detaillierte Beschreibungen der Natur und Goldmunds Psychologie beinhaltet. Diese zwei Elemente sind für Hesse sehr charakteristisch und treten auch in seinen anderen Romanen zutage. Ebenfalls auffällig in »Narziß und Goldmund« ist der leichte Einschlag von Humor. Der Roman erinnert teilweise sehr an einen pikaresken Roman (Schelmenroman), dessen Ursprung im 16. Jahrhundert liegt und der die Beziehung eines Schelms, jemand aus einer unteren Schicht im Volk, zu seiner Gesellschaft thematisiert. Gewöhnlich entlarvt der Schelm hierbei die Scheinheiligkeit und heuchlerische Moral seiner Zeitgenossen. Goldmund weist eine gewisse Ähnlichkeit zu einem solchen picaro auf, teilweise sogar so sehr, dass es schon fast parodistisch wirkt, insbesondere bei seinen erotischen Abenteuern (Field, 113).

Veröffentlicht am 3. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. Oktober 2023.