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Narziß und Goldmund

Kapitel 17-18

Zusammenfassung

Bei dem Pater, der Goldmund seine Beichte abnehmen soll, handelt es sich tatsächlich um Narziß. Inzwischen allerdings heißt er gar nicht mehr so, sondern hat mit seiner Einkleidung (Beendigung des Noviziats und Beginn des Mönchtums) den Namen Johannes angenommen – seltsamerweise genau den Namen, den auch Goldmunds Bildnis von seinem Freund getragen hatte. Goldmund erbittet, ihn weiterhin bei seinem vorherigen Namen nennen zu dürfen, und Narziß sagt zu.

Narziß überbringt Goldmund die Botschaft, dass dieser begnadigt sei und er ihn mitnehmen werde, denn in der Stadt dürfe er nicht bleiben. Sie machen sich zu Pferd auf den Weg aus der Stadt. Bei einem Zwischenhalt am Fischmarkt verabschiedet sich Goldmund noch von Marie und ihren Eltern und bedankt sich ausgiebig bei ihnen für ihre Gastfreundschaft. Während sie weiterreiten, erkundigt sich Goldmund nach und nach, wie es seinen Bekannten und Freunden im Kloster ergangen ist, allen voran Abt Daniel und Pater Anselm. Beide sind inzwischen verstorben.

Später spricht Goldmund seinen Freund auf die Verfolgung der Juden an, die er auf seinen Wanderungen hat mit ansehen müssen und klagt, dass Narziß ihm gegenüber früher immer behauptet habe, die Welt sei göttlich und harmonisch. Eigentlich aber existiere Vollkommenheit und Gerechtigkeit nur in Lehrbüchern, nicht im echten Leben. Narziß weist Goldmunds Klage zurück; er beispielsweise (genauso wie andere Äbte in ihren Klöstern) mühe sich stets, das Böse in der Welt zu korrigieren und orientiere sich sehr wohl an der Idee der Gerechtigkeit. Goldmund hält dagegen; sobald er an Rebekka und die anderen verbrannten Juden denkt, glaubt er, in einer durch und durch teuflischen Welt zu leben.

Er berichtet Narziß von seiner Methode, mit seinen schwankenden Empfindungen von Lust und Grausamkeit, Leben und Vergänglichkeit, fertigzuwerden: die Kunst. Narziß lädt Goldmund daraufhin ein, als Künstler im Kloster in Mariabronn zu arbeiten. Auch er findet Kunst sehr wertvoll, da sie in der Lage ist, die im schöpferischen Geist vorhandenen »Urbilder« (S. 230) auch in der Materie sichtbar zu machen. Nach dieser Erklärung von Narziß erscheint es Goldmund plötzlich wieder, als habe sein Leben einen Sinn gewonnen. Und auch seine Freundschaft zu Narziß ist wie erneuert. Der Jüngere ist dem Älteren nicht mehr unterlegen; sie sind einander ebenbürtig. Goldmund freut sich darauf, als Künstler im Kloster arbeiten zu dürfen. Ihm schweben bereits viele Bilder, die er anfertigen will, vor Augen. Er kündigt aber auch an, dass er nicht nach den Regeln von Keuschheit und Gehorsam leben wird – was Narziß akzeptiert.

Goldmund genießt es, wieder im Kloster zu leben, und reagiert gerührt auf die vertraute Umgebung. Viele Erinnerungen kommen in ihm hoch, wenn er den Schulalltag beobachtet. Ihn selbst jedoch erkennt außer dem Abt niemand mehr. Er lebt in einem der Wirtschaftsgebäude am großen Hof, gegenüber der Schmiede, und auf seinen Wanderungen durch das Kloster nimmt er dessen Kunstwerke nun noch deutlich intensiver wahr als früher. Erst jetzt erkennt er wirklich ihre Schönheit. Da er es irgendwann nicht mehr ertragen kann, untätig neben Narziß her zu leben, bittet er ihn, mit seiner künstlerischen Arbeit anfangen zu dürfen. Er will ihm sein Können beweisen.

Bevor er das tut, erinnert Narziß Goldmund daran, dass ihrer beider Fähigkeiten und Talente in vollkommen unterschiedlichen Bereichen liegen: Goldmunds Vorstellung arbeitet mit Bildern, wie die eines Malers, die von Narziß mit Begriffen, wie die eines Denkers. Jemandem wie Goldmund, der eigentlich in Bildern denkt, ist nicht geraten, sich an eine solche Welt der Begriffe anzupassen. Ein Denker arbeite mit der Logik, ein Maler mit dem Pinsel. Beide wissen, dass sie niemals etwas Vollkommenes produzieren können, versuchen es aber trotzdem, und das sei auch das einzig Sinnvolle. Damit kommen sie dem Göttlichen immer näher.

Goldmund fängt voller Begeisterung mit seiner künstlerischen Arbeit an. Dafür zieht er sich aus dem Schulleben zurück, nimmt seine Mahlzeiten beim Müller ein und lässt niemanden außer seinem Gehilfen Erich in seine Werkstatt. Sein erstes Werk wird eine Allegorie des Weltlichen und des Göttlichen. Nebenbei passt sich Goldmund immer mehr an die Ordnung des Klosters an, eines Tages will er sogar beichten. Zwei Stunden lang beichtet er Narziß alle seine Erlebnisse der letzten Jahre. Jener reagiert milde und straft ihn lediglich wegen seiner Vernachlässigung des Beichtens mit einer vierwöchigen Buße. Die folgenden vier Wochen erfüllen Goldmund mit großer Zufriedenheit. Es fällt ihm zwar nicht immer leicht, alle Regeln der Keuschheit zu befolgen, er bemüht sich aber dennoch und wird regelmäßig von Narziß zu Gehorsam ermahnt.

Auch nach den vier Wochen setzt Goldmund die täglichen Gebetsübungen noch lange fort. Schließlich darf Narziß einen Teil des Werks sehen, an dem Goldmund die ganze Zeit über gearbeitet hat. Er ist, trotz seines nicht sehr ausgeprägten Kunstverständnisses, gerührt und beeindruckt von Goldmunds Gabe. Auch glaubt er, erst jetzt mit dem Anblick dieses Werks Goldmunds Seele wirklich zu kennen.

Analyse

Die Dynamik zwischen Narziß und Goldmund hat sich spürbar verändert. Zu Beginn des Romans sah der Jüngere zum Älteren auf, bewunderte ihn und tat alles, um seine Anerkennung zu gewinnen. Nun bewundert Goldmund seinen älteren Freund zwar noch immer – er reagiert zumindest innerlich sehr emotional auf das Wiedersehen –, aber seine Bewunderung kennt Grenzen. Er schafft es, eine anfängliche Distanz zu seinem Freund zu wahren, und er weigert sich, wie damals als Junge vor ihm zusammenzubrechen und zu weinen.

Auch später in ihren Diskussionen widerspricht er ihm heftig. Mit gezielten Fragen will er herausfinden, ob Narziß die Verbrennung von Juden unterstützen würde, und beklagt entgegen Narziß’ Behauptungen den Mangel an Gerechtigkeit in der Welt. Goldmund verhält sich seinem Freund insgesamt gegenüber wesentlich kritischer als noch vor einigen Jahren. Daran lässt sich auch gut die Entwicklung ablesen, welche dieser selbst im Laufe der letzten Zeit durchlaufen hat. Er ist zwar zynischer geworden, aber auch selbstsicherer und fester in seinen Ansichten. Er verteidigt seine Wahrnehmung der Welt und argumentiert, wenn notwendig, auch gegen den Freund, den er früher uneingeschränkt bewundert hat. Dazu passt auch seine Ankündigung, sich als im Kloster arbeitender Künstler nicht den Regeln der Keuschheit und des Gehorsams anzupassen.

Das alles bedeutet jedoch nicht, dass Goldmund keine Bewunderung mehr für Narziß empfindet – im Gegenteil. Als Narziß ihn so akzeptiert, wie er ist (nicht keusch und nicht gehorsam), staunt Goldmund, dass Narziß zu einem »Mann voll Sicherheit und Mut, ein Führer, einer, der Verantwortung trug« (S. 232) geworden ist. Die beiden Freunde sind einander nun ebenbürtig. Keiner erklärt dem anderen mehr sein Leben oder muss ihn auf die richtige Bahn lenken: »Aber zu Narziß hatte er nun das Verhältnis gefunden, das ihm zukam, kein Verhältnis der Abhängigkeit mehr, sondern eines der Freiheit und Gegenseitigkeit.« (S. 231)

Ironischerweise ist genau dieses Verhältnis der Gleichberechtigung aber das Werk von Narziß. Ganz zu Anfang des Romans, als Goldmund neu ins Kloster kam, entschloss er sich, diesen zu analysieren und ihm dabei zu helfen, seine Bestimmung zu finden. Nun, da er das geschafft hat, muss er auch nicht mehr Goldmunds Lehrer sein, sondern kann ihn als Ebenbürtigen betrachten, der genauso sehr seine Bestimmung kennt wie er selbst.

In der Umgebung des Klosters ändert sich dieses Verhältnis kurzzeitig wieder: Goldmund beginnt zu Narziß aufzusehen, und traut sich irgendwann fast nicht mehr, ihn mit »Du« und »Narziß« anzureden. Erst mit dem Beginn seiner eigentlichen Arbeit als Künstler sieht sich Goldmund wieder als jemanden, der Narziß ebenbürtig ist. Beide Freunde bewegen sich Schritt für Schritt aufeinander zu. Goldmund passt sich allmählich an die Regeln des Klosters an, er beginnt zu beichten und zu beten und es erfüllt ihn sehr. Im Gegenzug bemüht sich Narziß, Goldmunds Kunst zu verstehen und zu schätzen. Es funktioniert: Als einander Ebenbürtige können sie einander gegenseitig akzeptieren und verstehen.

Wie Narziß seinem jüngeren Freund erklärt, sind sie zwar grundsätzlich verschieden, streben beide aber nach dem Gleichen: Vollkommenheit und eine Annäherung an das Wesen des Göttlichen. Narziß versucht das durch Mittel der Logik und Ideen, Goldmund durch sein Handwerk. Ihrer beider Ziel ist es aber, den von Narziß erwähnten »Urbildern«, den Grundlagen allen Seins, den ursprünglichen Ideen, so nahe wie möglich zu kommen.

Veröffentlicht am 3. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. Oktober 2023.