Skip to main content

Narziß und Goldmund

Kapitel 13-14

Zusammenfassung

Zu Anfang seiner neubegonnenen Wanderschaft muss Goldmund sich erst wieder an den vagabundischen Lebensstil gewöhnen und ihn erneut zu lieben lernen, mitsamt der damit einhergehenden Zeitlosigkeit und Heimatlosigkeit. Er muss sich wieder in die mütterliche, triebhafte Urwelt begeben, und scheint es auch zeitweise zu schaffen. In seinen Träumen aber ist er weiterhin Künstler und bemüht sich, in seiner Kunst den »Unsinn« des Lebens in »Sinn« zu verwandeln (S. 165).

Eines Tages trifft er auf den jungen Robert, der sich schon seit einigen Jahren auf Wanderschaft befindet, und der sein Leben dem Pilgern und Besuchen von heiligen Stätten gewidmet hat. Goldmund hält zunächst nicht allzu viel von ihm, wenngleich Robert ihn mit seiner Hingabe an die Wanderung und die Fremde ein wenig an sich selbst erinnert. Da Robert im Gegenzug jedoch sehr um Goldmunds Gunst wirbt, werden sie schon bald Reisegefährten.

Auf ihrer Wanderung geraten sie in ein von der Pest befallenes Dorf. In einem der Häuser finden sie mehrere grausam aussehende Leichen vor, welche Robert sehr ängstlich stimmen, Goldmund hingegen mit großem künstlerischen Interesse betrachtet. Sie wandern weiter und stoßen auch in den nächsten Dörfern überall auf die tödliche Krankheit. Als Goldmund einmal allein – Robert fürchtet sich zu sehr – in eines der von der Pest befallenen Dörfer geht, trifft er auf ein Mädchen namens Lene, das noch nicht krank geworden ist. Er überredet sie, mit ihm gemeinsam die Stadt zu verlassen.

Nach anfänglichen Protesten von Robert ziehen sie schon bald zu dritt weiter. Goldmund ist so angetan von seiner neuen weiblichen Bekanntschaft, dass er sogar vor sich hin zu singen beginnt. Gemeinsam bauen sie sich eine Hütte, in der sie künftig wohnen wollen, und empfinden große Freude darüber. Insbesondere Lene hat ihr neues Leben sehr gern, und sie fürchtet sich davor, nach Ende der Pest in ihr Dorf zurück zu müssen und von Goldmund getrennt zu werden. Dieser aber ermahnt sie, davon nicht mehr zu sprechen. Es gebe kein Glück, das lange dauere.

Ihr Zusammenleben endet früher als gedacht: Als Lene von einem Fremden überfallen und fast vergewaltigt wird, kann Goldmund sie gerade noch rechtzeitig retten. Nach diesem Vorfall erkrankt Lene an der Pest. Während Robert die Flucht ergreift, bleibt Goldmund bei ihr. Obwohl er gern davongelaufen wäre und ihn ihr entstellter Anblick sehr mitnimmt, bleibt er bis zum Ende bei ihr. Goldmund verbrennt die Hütte mit Lenes Leichnam und begibt sich niedergeschlagen und trostlos wieder auf Wanderschaft. Die ganze Landschaft steht im Zeichen des Todes und auf seinem Wanderweg bekommt er grauenvolle Bilder zu Gesicht. Überall werden Unschuldige verfolgt und getötet, insbesondere Juden.

Ein Mädchen, Rebekka, das aus einer jener verfolgten jüdischen Familien stammt, fasziniert ihn besonders. Er hilft ihr dabei, ihren Vater zu begraben, der mit anderen Juden auf Befehl der Obrigkeit verbrannt worden ist. Am nächsten Tag will Goldmund Rebekka dazu überreden, mit ihm zu kommen, aber sie weigert sich vehement und bringt ihre Verachtung für seinen unangemessenen Vorschlag zum Ausdruck. Goldmund gibt sich geschlagen und zieht sich zurück. Eine Weile scheint es ihm so, als habe er in seinem Leben nur zwei Frauen wirklich geliebt, Lydia und Rebekka. Er sehnt sich nach Stift und Papier, um ihre Gesichter als Kunstwerke zu verewigen.

Schließlich sucht er in einer Kirche einen Beichtstuhl auf und klagt zu Gott, dass dieser ihn seine Jugendjahre so verschwenden und noch dazu derartiges Leid sehen lassen hat. Auch gibt er zu, dass er ein schlechter und unnützer Mensch geworden ist.

Analyse

Immer deutlicher zeigt sich, dass Goldmund nicht, wie lange von Narziß und auch von ihm selbst angenommen, nur in der Welt der Sinne und der Natur zuhause ist, sondern auch in der Welt der Idee und des Geistes. Sein vagabundisches Leben kann er nicht mehr wirklich in vollen Zügen genießen, denn es ist das komplette Gegenteil vom Sesshaften: »Die Kindlichkeit des Vagantenlebens, seine mütterliche Herkunft, seine Abkehr von Gesetz und Geist, seine Preisgegebenheit und heimliche immerwährende Todesnähe hatten längst Goldmunds Seele tief ergriffen und geprägt. Daß dennoch Geist und Wille in ihm wohnte, daß er dennoch ein Künstler war, machte sein Leben reich und schwierig.« (S. 165)

Goldmund ist hin- und hergerissen zwischen beiden Welten, er besitzt die Kindlichkeit, die das Vagabundenleben erfordert, aber auch Geist und Wille, die Voraussetzungen für das Leben als sesshafter Intellektueller. In der Kunst hatte er versucht, beides zu vereinen, aber nun ist nach Beendigung seiner Anstellung bei Meister Niklaus auch dieser Versuch gescheitert: »In jedem Traum aber und bei jeder sinnenden Rast mit dem Blick über die blühenden und welkenden Täler war er voll Schauen, war Künstler, litt an quälender Sehnsucht, den holden dahintreibenden Unsinn des Lebens durch Geist zu beschwören und in Sinn zu verwandeln.« (S. 165)

In der Kunst wollte Goldmund einen Kompromiss erschaffen, zwischen der Leichtigkeit der Sinnenwelt und der Schwermut der Ideenwelt. Seine Skulptur von Narziß diente genau diesem Zweck, und genauso auch sein Lebensprojekt, ein Bildnis der Urmutter zu erschaffen. Denn die Urmutter ist es, die alle Gegensätze in sich vereint. Welches Gesicht wäre also besser für ein Bildnis geeignet, das zwei komplett unterschiedliche Lebensweisen miteinander in Einklang bringen soll, als das ihre?

Goldmund bleibt zwiegespalten zwischen beiden Sphären, manchmal genießt er die mütterliche, triebhafte Urnatur, manchmal verfällt er in Grübeleien. Er ist Sesshafter und Vagabund und beginnt das allmählich auch selbst zu erkennen. Auf seinen Wanderungen ist er zwar über lange Zeiträume versunken in die Urwelt, in seinen Träumen aber bleibt er ein Künstler. Je mehr er sich des Leids bewusst wird, das in der Welt herrscht, desto mehr verfestigt sich Goldmunds Wunsch, die Kunst zu beherrschen und auszuüben. Die durch die Pest verursachten Unglücke bestätigen ihn nur noch mehr darin. Goldmund ist fasziniert von dem Leid, das die Krankheit auslöst, von der Vergänglichkeit und dem allgegenwärtigen Tod. Er versucht sogar aktiv, Zeuge dieses Leids zu werden: »Aber eine ungeheure Neugierde trieb ihn und hielt ihn wach; er war unermüdlich, dem Schnitter zuzusehen, das Lied der Vergänglichkeit zu hören, nirgends wich er aus, überall ergriff ihn dieselbe stille Leidenschaft, dabei zu sein und mit wachen Augen den Gang durch die Hölle zu tun.« (S. 187f)

Diese Erkenntnisse, dass Leid allgegenwärtig und der Tod unumgänglich ist, spiegelt sich auch in Goldmunds Beichte am Ende des vierzehnten Kapitels wider. Er fragt Gott, ob dieser eigentlich die ganze Menschheit zugrunde gehen lassen will. Kunst ist Goldmunds Weg, dagegen anzukommen. Nicht umsonst wünscht er sich nach seiner Beichte, die von ihm geschaffenen Gesichter seiner Freunde mögen neben all den Heiligenfiguren stehen: »Aber sie würden einmal stehen und dauern, er würde sie hinstellen, und ihre Gestalten, die ihm heute Liebe und Qual, Angst und Leidenschaft bedeuteten, würden vor den später Lebenden stehen, ohne Namen und Geschichte, stille, schweigende Sinnbilder des Menschenlebens.« (S. 194) Lydia, Rebekka und Meister Niklaus sollen zu Kunst werden. Kurz, all die Personen, die Goldmund auf seiner Reise kennengelernt hat und die ihm wirklich etwas bedeutet haben. Damit wäre der scheinbar unüberbrückbare Gegensatz zwischen Leidenschaften/Sinnen und Idee/Geist überbrückt. Das Wort »Sinnbilder« bringt das hervorragend zum Ausdruck: In Goldmunds Vorstellung ist Kunst eine Verewigung der Sinne.

Veröffentlicht am 3. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. Oktober 2023.