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Narziß und Goldmund

Zitate und Textstellen

  • »Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, Einfalt und Verschlagenheit, Weisheit der Evangelien und Weisheit der Griechen, weiße und schwarze Magie, von allem gedieh hier etwas, für alles war Raum; es war Raum für Einsiedelei und Bußübung ebenso wie für Geselligkeit und Wohlleben; an der Person des jeweiligen Abtes und an der jeweils herrschenden Strömung der Zeit lag es, ob das eine oder das andere überwog und vorherrschte.«
    – S. 7

    Mit diesen Worten wird im ersten Kapitel das Kloster beschrieben und erhält damit gleich einen symbolischen Wert: Die Räumlichkeiten von Mariabronn stehen für die Wissenschaft. Sie beschränken sich nicht auf eine Weltanschauung, sondern lassen mehrere zu. Wichtig ist lediglich, dass die intellektuelle Stimulation und der Austausch an oberster Stelle stehen. Das Kloster steht damit stellvertretend für das, was Narziß als Welt der Idee und des Geistes beschreibt.

  • »Nein, mochte die Freundschaft mit Goldmund noch so verlockend sein, sie war eine Gefahr, und den Kern eines Lebens durfte er von ihr nicht berühren lassen. Der Kern und Sinn seines Lebens war der Dienst am Geist, der Dienst am Wort, war das stille, überlegene, auf eigenen Nutzen verzichtende Führen seiner Schüler – und nicht nur seiner Schüler – zu hohen geistigen Zielen.«
    – S. 19

    Narziß fürchtet, dass die Freundschaft zu Goldmund sein keusches, diszipliniertes Leben gefährden könnte. Leidenschaft und Emotionen, auch wenn sie nur freundschaftlicher Natur sind, gehören nicht in ein derartiges Leben, und er muss sie daher aus seinem Herzen verbannen. Erst ganz zum Ende des Romans wird er erkennen, dass sich Emotionen sehr wohl auch mit seinem Leben im Kloster vereinbaren lassen und es sogar bereichern.

  • »Er sah Goldmunds Natur, die er trotz des Gegensatzes innigst verstand; denn sie war die andere, verlorene Hälfte seiner eigenen.«
    – S. 28

    Hier werden Narziß und Goldmund als komplette Gegensätze zueinander dargestellt, eine der wichtigsten Grundannahmen des Romans. Interessant ist jedoch, dass Narziß Goldmund nicht nur als sein Gegenstück sieht, sondern vor allem als jemand, der ihn ergänzt, seine »verlorene« Hälfte. Diese aber auch tatsächlich in sich selbst zu akzeptieren, wird Narziß erst in den letzten Kapiteln lernen.

  • »Es mußte ein Dämon am Werke gewesen sein, ein heimlicher Feind, dem es gelungen war, diesen herrlichen Menschen in sich zu spalten und mit seinen Urtrieben zu entzweien.«
    – S. 31

    Goldmund wurde von einem strengen Vater erzogen, der für ihn ein Leben im Kloster auserkoren und in seinem Sohn die Erinnerungen an dessen Mutter unterdrückt hat. Dass Goldmund aber eigentlich genau diese Bindung an seine Mutter braucht, um sich vollständig zu fühlen, und dass er eigentlich nicht für ein der Wissenschaft gewidmetes Leben, sondern für das Dasein als Künstler bestimmt ist, hat der Vater nicht erkannt. Goldmund wurde daher von seinen Urtrieben entzweit, ohne dass er es überhaupt ahnt. Erst mithilfe von Narziß wird es ihm klar.

  • »Du hast deine Kindheit vergessen, aus den Tiefen deiner Seele wirbt sie um dich. Sie wird dich so lange leiden machen, bis du sie erhörst. – Genug davon!«
    – Narziß zu Goldmund, S. 40

    Narziß ermahnt Goldmund, seine Kindheit wieder zuzulassen. Goldmunds Kindheit steht für all die Triebe und Leidenschaften, die er nun als disziplinierter Klosterschüler unterdrückt. Erst, wenn er mit seiner Kindheit wieder im Reinen ist, kann er zu sich selbst finden.

  • »Eure Heimat ist die Erde, unsere die Idee. Eure Gefahr ist das Ertrinken in der Sinnenwelt, unsere das Ersticken im luftleeren Raum. Du bist Künstler, ich bin Denker.«
    – Narziß zu Goldmund, S. 40

    Hier erklärt Narziß Goldmund die Polarität, auf welcher der gesamte Roman aufbaut: die zwei gegensätzlichen Welten. Die eine ist die des Geistes, der Wissenschaft und des Denkens, die andere ist die der Natur, der Sinne und der Kunst. Narziß lebt in der ersteren, Goldmund in der letzteren. Er stellt diese Welten als unvereinbar dar, die eine schließt die andere aus. Das allerdings sind sie nicht, wie die weitere Handlung zeigen wird.

  • »Das Leben selber ist zu mir gekommen. Ich gehe fort, ohne Vater, ohne Erlaubnis.«
    – S. 67

    Mit diesen Worten verabschiedet sich Goldmund aus dem Kloster. Wenn er sagt, das Leben sei zu ihm gekommen, meint er, dass er sich nach der Welt sehnt, die Narziß als die der Natur und Sinne beschrieben hatte. Diese Welt liegt außerhalb des Klosters und ist voller Leben; Goldmund will sich ihr hingeben. Die Worte »ohne Vater« haben eine doppelte Bedeutung. Einerseits hat Goldmund tatsächlich nicht die Erlaubnis seines Vaters eingeholt, andererseits signalisiert diese Formulierung auch den Abschied vom Väterlichen, vom Göttlichen. Goldmund wendet sich nun den Erinnerungen an seine Mutter zu, die für seine unterdrückte sinnliche Seite stehen. Später wird er diese in der Urmutter finden.

  • »Zum erstenmal lag die Welt offen vor ihm, offen und wartend, bereit, ihn aufzunehmen, ihm wohlzutun.«
    – S. 75

    Goldmund genießt seinen Ausbruch aus dem Kloster. Er glaubt, mit dem Eintritt in die Natur sein wahres Ich entdeckt zu haben. Dass noch ein langer Weg vor ihm liegt, bis er tatsächlich alle Facetten seines Ichs kennengelernt haben wird, weiß er hier noch nicht.

  • »Und wenn morgen auch ihn der Tod holte, dann würde das alles wieder auseinanderfallen und auslöschen, dies ganze Bilderbuch, so voll von Frauen und Liebe, von Sommermorgen und Winternächten. O, es war an der Zeit, noch etwas zu tun, noch etwas zu schaffen und hinter sich zu lassen, das ihn überdaure.«
    – S. 209

    Goldmund befindet sich so ziemlich am Ende seiner Abenteuer, und er ist geplagt von Gedanken an den Tod sowie dem Bewusstsein, dass alles im Leben vergänglich ist. Er will dieser grausamen Vergänglichkeit etwas entgegensetzen. Wenn er davon spricht, etwas zu schaffen, was ihn überdauert, meint er ein Kunstwerk: denn die Kunst ist in Goldmunds Augen der einzige Weg, die Flüchtigkeit des Lebens festzuhalten.

  • »Auch ich habe dich immer liebgehabt, Narziß, die Hälfte meines Lebens ist ein Werben um dich gewesen. Ich wußte, daß auch du mich gern hattest, aber nie hätte ich gehofft, daß du es mir einmal sagen würdest, du stolzer Mensch.«
    – Goldmund zu Narziß, S. 262

    Narziß hat es nun endlich über sich gebracht, Goldmund seine Liebe zu gestehen, die er eigentlich schon lange für ihn empfindet. Goldmund ist sich dessen auch bewusst. Der Grund, weshalb Narziß sich nicht früher dazu durchringen konnte, ist, dass er Liebe und Leidenschaft immer als unvereinbar mit seinem keuschen, disziplinierten Leben sah. Nun aber, da Goldmund ihn eines Besseren belehrt hat, kann er diese Emotionen endlich zulassen – wenngleich auch erst am Totenbett seines Freundes.

Veröffentlicht am 3. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 3. Oktober 2023.