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Wilhelm Tell

Historischer Hintergrund und Epoche

Schiller begann die Vorarbeiten zu »Wilhelm Tell« noch vor der Aufführung und Drucklegung der »Braut von Messina« Ende Januar 1802. Erst ein Jahr später, im Frühjahr 1803, konnte er sich dem neuen Projekt ganz widmen und begann am 25. August desselben Jahres auf der Grundlage seiner Vorstudien und Entwürfe mit der Ausarbeitung des Textes. Über seine Arbeitsweise und über Pläne zu einer Reise in die Schweiz, die er nicht antreten sollte, berichtete er Iffland brieflich am 5. Dezember 1803:

    Wenn ich gesund bleibe, auch nur leidlich, so werde ich gewiß in den ersten Wochen des März fertig. Einige Scenen, womit ich gegen die Geschichte, und das, was die Schweizer von mir erwarten, face machen muss, brauche ich für das Theater nur zu skizieren, und kann mir die Ausführung für den Druck vorbehalten. Ohnehin bin ich entschlossen, eh ich das Stück drucken lasse, nach der Schweiz zu gehen. Die kleine Besonderheiten, worauf viel ankommt, wenn gewisse Nationalrücksichten zu beobachten sind, haben mit dem Theater nichts zu tun.
    Gern wollte ich Ihnen das Stück Aktenweise zuschicken, aber es entsteht nicht Aktenweise, sondern die Sache erfordert, daß ich gewisse Handlungen, die zusammen gehören, durch alle fünf Akte durchführe, und dann erst zu anderen übergehe. So z. B. steht der Tell selbst ziemlich für sich in dem Stück, seine Sache ist eine Privatsache, und bleibt es, bis sie am Schluss mit der öffentlichen Sache zusammengreift. (S. 755 der verwendeten Ausgabe)

Beigelegt sind dem Brief ausführliche Angaben über die für das Theater erforderlichen Kulissen und Dekorationen.

Tatsächlich konnte Schiller das Manuskript bis Mitte Februar 1804 fertigstellen und nach Berlin übersenden. Am 19. Februar erhielt Goethe den kompletten Text und am ersten März wurde in Weimar mit den Proben begonnen, die nur sechzehn Tage in Anspruch nahmen: Am 17. März fand in Weimar die Uraufführung des »Wilhelm Tell« statt. Die Buchausgabe erschien im Oktober desselben Jahres.

Der Stoff war um 1800 durchaus kein abseitiger und bereits vor Schiller vielfach dramatisiert worden. Das älteste Tell-Stück, das sogenannte »Urner Tellenspiel«, datiert auf das Jahr 1512/13. Unabhängig von Schillers Bearbeitung entstand zeitgleich das Drama »Wilhelm Tell. Ein Schauspiel in Jamben« (Berlin 1804) des unter dem Pseudonym Veit Weber publizierenden Hamburgers Leonhard Wächter (1762-1837) – das Schiller in einem Brief an Cotta vom 16.7.1904 als »Schmiererei« bezeichnete. 

Vielfach sind die Verknüpfungen der Tell-Figur mit der französischen Revolution. Die Parole des über die Schweizer Grenzen stürmenden französischen Revolutionheeres lautete 1798 »Vive Guillaume Tell! Vive les descendants de Guillaume Tell!« Tell mit Armbrust, Pfeil und Apfel gehörte schon 1793 zur Ikonographie eines durch Paris geführten Triumphwagens und als ab 1793 der Nationalkonvent dreimal wöchentlich Tragödien aufführen ließ, die revolutionsaffine Stoffe vorstellten, war darunter auch ein Tell-Drama (Zymner / 145). Schiller selbst bezeichnete in der erwähnten Beilage an Iffland die Altdorfer Zwingburg unbefangen als »Bastille« (S. 756 der verwendeten Ausgabe).

Schiller war mit dem Stoff mehrfach in Berührung gekommen, bevor er sich zu seiner Bearbeitung entschloss. An Cotta schrieb er am 16. März 1802:

    Ich habe so oft das falsche Gerücht hören müssen, als ob ich einen Wilhelm Tell bearbeitete, daß ich endlich auf diesen Gegenstand aufmerksam geworden bin, und das Chronicon Helveticum von Tschudi studierte. Diß hat mich so sehr angezogen, daß ich nun in allem Ernst einen Wilhelm Tell zu bearbeiten gedenke, und das soll ein Schauspiel werden, womit wir Ehre einlegen wollen. (S. 748 f. der verwendeten Ausgabe)

Das falsche Gerücht also hat ihn zur Lektüre der historischen Quellen gebracht, und diese Lektüre die tatsächliche Bearbeitung des Stoffes angestoßen.

In der Schiller-Philologie hat hingegen eine Äußerung Goethes, die dieser im Mai 1827 Eckermann in die Feder diktierte, lange zu einer unstatthaften kausalen Verknüpfung der Arbeit Schillers mit der dritten Schweizer Reise Goethes im Jahr 1797 geführt. Damals, in einem Brief vom 14. Oktober, berichtete Goethe Schiller brieflich von seinen Eindrücken und von dem Plan zu einem Hexameter-Gedicht:

    Was werden Sie nun aber sagen wenn ich Ihnen vertraue, daß, zwischen allen diesen prosaischen Stoffen, sich auch ein poetischer hervorgetan hat, der mir viel Zutrauen einflößt. Ich bin fast überzeugt, daß die Fabel vom Tell sich werde episch behandeln lassen, und es würde dabei, wenn es mir, wie ich vorhabe, gelingt, der sonderbare Fall eintreten, daß das Märchen durch die Poesie erst zu seiner vollkommenen Wahrheit gelangte, anstatt daß man sonst um etwas zu leisten die Geschichte zur Fabel machen muß. Doch darüber künftig mehr. (S. 737 der verwendeten Ausgabe)

Schiller kommentierte den Plan am 30. Oktober ermunternd und ohne erkennbare Absicht, selbst den Stoff aufzunehmen. Er blieb indes unausgeführt:

    Von allem diesen erzählte ich Schillern, in dessen Seele sich meine Landschaften und meine handelnden Figuren zu einem Drama bildeten. Und da ich andere Dinge zu tun hatte und die Ausführung meines Vorsatzes sich immer weiter verschob, so trat ich meinen Gegenstand Schillern völlig ab, der denn darauf sein bewundernswürdiges Gedicht schrieb. (S. 738 f. der verwendeten Ausgabe)

So lautet der Passus aus den Gesprächen mit Eckermann von 1827, der den zeitlichen Abstand zwischen der Schweizreise und dem tatsächlichen Beginn der Arbeit Schillers unterschlägt. Es wirkt, als wolle Goethe sich durch die Fiktion einer anfänglichen Mitwirkung an dem erfolgreichen Bühnenstück, ja einer generösen Übergabe seiner Idee an den Freund für die Unterlassung ihrer Ausführung schadlos halten.

Veröffentlicht am 16. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2023.