Skip to main content

Wilhelm Tell

Prüfungsfragen

  • Geben Sie für die Abwesenheit Tells im zweiten Akt eine Erklärung.

    Tell ist in der ersten Szene des ersten Aktes wirkungsvoll als Retter in der Not und als besonders geschickter Steuermann vorgestellt worden und hat in der dritten Szene des ersten Akts seine Mitwirkung der Verschwörung in der Phase ihrer Entstehung und ihrer Beratungen versagt. Im »Chronicon Helveticon« des Aegidius Tschudi, einer wichtigen Quelle Schillers, wird Tell überhaupt erst erwähnt, wenn es zu dem Apfelschuss kommt.

    Wenn es Schiller darum zu tun war, zu zeigen, wie Tell gegen seinen Willen in den politischen Konflikt hineingerissen wird, dann tut die aktlange Abwesenheit des Helden vor seiner entscheidenden Tat die beste Wirkung – zumal der ersten Szene des dritten Akts eine rein vorbereitende Funktion noch vorbehalten bleibt. Erprobt ist das Mittel der längeren Abwesenheit einer Hauptfigur zur Verstärkung der Aura in der Theatergeschichte vielfach.

  • Wie ist die Chronologie der Handlung? Wieviel Zeit vergeht?

    Der erste Akt spielt an einem Tag: Tell bringt Baumgarten zu Stauffacher und dieser begleitet Tell nach Uri; dort besucht Stauffacher Walter Fürst. Es ist die Zeit des Herdenabtriebs.

    Der zweite Akt ist zeitlich am wenigsten determiniert. Sowohl für die erste als für die zweite Szene gibt es keine präzisen Indikatoren dafür, wie weit nach dem Tag des ersten Akts, und wie weit vor dem Tag des dritten und vierten Akts sie stattfinden. Einige Wochen wären plausibel.

    Der dritte und vierte Akt spielen an einem Tag, der fünfte am Morgen darauf.

  • Welcher Veränderungen an dem Stück sind aus zeitgenössischer Perspektive sinnvoll, um sein unruhestiftendes Potenzial zu bannen?

    Die Ermordung König Albrechts kann ohne allzugroßen Verlust für die Substanz des Stückes gestrichen werden, damit entfallen größere Teile des fünften Akts, wenn nicht der gesamte fünfte Akt. Die politische Handlung bleibt dadurch auf den Bereich der Waldkantone begrenzt und tyrannisch sind allein die über sie bestellten Landvögte.

    Ferner sollten die Passagen aus der Rede Stauffachers auf der Rütliwiese gestrichen werden, in denen er sich auf ein allgemeines Recht auf Notwehr gegen grausame und willkürliche Herrschaft beruft.

  • Charakterisieren Sie die Redeweise Wilhelm Tells.

    Es lassen sich vier Register unterscheiden.

    Im normalen Umgang sowohl in der Familie, gegenüber Freunden sowie Fremden neigt Tell zu verknappten, allgemeinen, sentenzhaften Aussagen, die er ohne ausdrückliche Bezugnahme auf das Anliegen seines Gegenübers in den Raum stellt.

    Er ist in dem gleichen Kontext gleichwohl zu zusammenhängenden, kurzen Erzählungen auch in der Lage, in denen sich diese Tendenz verliert.

    In Extremsituationen droht seine Rede unzusammenhängend zu werden; er neigt eher zum Verstummen als zum heftigen Ausbruch.

    Im Selbstgespräch vor einer schicksalhaften Tat bekommt seine Rede durchaus etwas weitschweifiges und pathetisches. Er holt mehrmals weit aus und versucht, den einmal ausgebreiteten Gedanken in einer Zuspitzung zu fassen.

  • Wie ist Tells Haltung zu der Ermordung Geßlers?

    Es gibt drei Anhaltspunkte für Tells Haltung:

    (1) In der Apfelschussszene gelobt er sich, den zweiten herausgenommenen Pfeil auf Geßler zu schießen: und zwar sofort, sollte er seinen Sohn treffen, und verzögert, sollte er die Probe bestehen und den Apfel treffen. Das eine wäre unmittelbare Rache, die vermutlich das Ende seines Lebens bedeuten würde; das andere kann als Schutz vor der Bedrohung durch den Landvogt interpretiert werden.

    (2) In seinem Monolog bringt Tell verschiedene Gründe für seinen Vorsatz zu der Ermordung des Landvogts vor. So sein sich selbst und Gott vor dem Schuss auf den Apfel gegebenes Gelübde; die Gerechtigkeit Gottes, als dessen Vollstrecker er sich offenbar sieht; und den Schutz seiner Familie. Dieser letzte Grund wird gegen Ende noch einmal wiederholt und dadurch bekräftigt. Zugleich versucht er, den Bruch, den der Mord mit seinem bisherigen, vom Jagdethos bestimmten Leben darstellt, dadurch zu überwinden, dass er den Mord als besonders gefährliche, preisträchtige Jagd stilisiert. Nachdem Geßler getroffen wurde, schwört er aber, sein Jagdhandwerk aufzugeben.

    (3) Gegenüber Johannes Parricida rechtfertigt er seine Tat noch einmal entschieden als Notwehr zum Schutz seiner Familie und stellt sie somit in Kontrast zur Tat des Königsmörders.

    Zugespitzt könnte man sagen: Der Mord ist einmal verzweifelte Rache, dann Jagd, dann Notwehr.

  • Geben Sie Beispiele für homerische Anleihen im Stück.

    Auffällig sind bestimmte formelhafte Wendungen, vor allem, wenn jemand das Wort ergreift. Z. B. Gertrud in I/2: »Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du | Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen? | Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich, | Des viel erfahrnen Mann’s.« (V. 238-241) – in dieser ihrer Rede gibt es noch mehr Beispiele. Besonders gehäuft finden sich diese Formeln in der Rütli-Szene, also im Kontext öffentlicher Rede.

    Eine motivische Reminiszenz stellt aber auch die Schießprobe dar. Der heimgekehrte Odysseus gibt sich durch eine solche Probe zu erkennen: Er allein vermag seinen Bogen zu spannen. Mit dem zweiten Pfeil, den er abschießt, ermordet er seinen wichtigsten Widersacher Antinoos.

  • Schiller verwendet mitunter große Sorgfalt auf die innerszenische Dramaturgie. Geben Sie Beispiele für Passagen, die in Szenen die Funktion eines Vorspiels oder einer Einleitung übernehmen.

    Sehr ausgeprägte Vorspiele gibt es in den Szenen I/1, II/2, III/3 und IV/3.

    Dadurch, dass Schiller mit jedem Szenenwechsel einen Ortswechsel verbindet, bekommt er die Möglichkeit, mit dem Szenenwechsel in Vorgänge und Gespräche gleichsam hineinzuspringen. Auf diese Art werden auch kleinere Szenen mit einem kurzen Vorspiel versehen, z. B. I/2/, wo Stauffacher noch gerade mit dem Pfeifer von Luzern im Gespräch begriffen ist. Ähnlich ist es in II/1, wo Attinghausen, bevor er sich mit Rudenz ausspricht, noch »nach altem Hausgebrauch« (V. 753) mit seinen Knechten den Frühtrunk einnimmt.

  • Was sind opernhafte Elemente in dem Stück?

    Vorrangig natürlich die musikalischen Elemente, also der Kuhreihen und die drei Lieder zur Eröffnung, das Lied Walter Tells zu Beginn des dritten Akts und der Gesang der Barmherzigen Brüder am Ende des vierten Akts; die Hochzeitsmusik in der hohlen Gasse. Ferner die Angaben zur Orchestermusik bei der Eröffnung und zu den Abschlüssen des zweiten und fünften Akts. Das Schlussbild, wo das gesamte Personal in hierarchischer Staffelung vereinigt wird, mit dem vereinten Liebespaar im Zentrum, erinnert mehr an die Oper als ans Theater.

    Als opernhaft in einem übertragenen Sinne können Elemente betrachtet werden, die von der Plotstruktur nicht gefordert werden und zur Gedankenlast nichts beitragen, dafür aber die Sinne, vor allem das Auge beschäftigen. Hier sind die ins Großartige gehenden Naturkulissen zu nennen: Der Sturm des Anfangs, der Mondregenbogen und Sonnenaufgang der Rütli-Szene, der Sturm am Anfang des vierten Akts.

  • Wie kommt Schiller der Forderung nach einem Handlungsumschlag im dritten Akt nach?

    Entscheidend ist, dass sich der Ausgang im dritten Akt zwar entscheidet, der Vollzug aber den zwei letzten Akten vorbehalten bleibt.

    Tell und Rudenz treten im dritten Akt in den Konflikt ein. Dass Tell an entscheidender Stelle seinen Teil leisten wird – diese Erwartung ist im ersten Akt schon geschaffen worden. Rudenz kann der Rütli-Verschwörung von außen den entscheidenden Anstoß zum Losschlagen geben, weil er nicht an die Vereinbarung zur Verzögerung des Anschlags bis Weihnachten gebunden ist.

    Die Ermordung Geßlers und die Ausführung des Aufstands im vierten Akt erscheinen so als direkte Folge der überraschenden Ereignisse des dritten Akts.

  • In den zeitgenössischen Rezensionen ist behauptet worden, der fünfte Akt gehöre eigentlich nicht zum Stück. Welche Gründe rechtfertigen eine solche Kritik?

    Die Ermordung König Albrechts ist in keiner Weise vorbereitet worden: Die Figur seines Mörders wird im fünften Akt das erste Mal erwähnt.

    Eigentlich bleibt, nachdem in V/1 der Erfolg des Aufstandes festgestellt worden ist, nur noch die öffentliche Feier des Triumphes durch die befreite, wiederhergestellte Gemeinschaft übrig. Stattdessen kommt es in dem beengten Rahmen von Tells Wohnung zu einer scharfen moralischen Auseinandersetzung und zum Ausschluss eines Flüchtigen aus dieser Gemeinschaft. Das trübt den Jubel.

    Nicht zuletzt wird allein der fünfte Akt nicht durch eine groß angelegte Szene und/oder eine Szene vor großer Naturkulisse strukturiert. Noch der vierte Akt hatte beides aufzubieten (IV/1, IV/3).

Veröffentlicht am 16. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2023.