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Wilhelm Tell

Akt 5, Szene 1-3

Zusammenfassung

(V/1)
Am nächsten Morgen versammeln sich Uri Ruodi, Kuoni, Werni, Meister Steinmetz und andere Leute auf dem öffentlichen Platz in Altdorf vor der Baustelle von Zwing und rekapitulieren die Erfolge des laufenden Aufstandes. Die Burgen Roßberg und Sarnen sind erobert, jetzt wollen die Versammelten auch die Zwingburg niederreißen und lassen sich von der Mahnung Walther Fürsts, man solle erst Nachricht aus Unterwalden und Schwyz erwarten, nicht aufhalten.

Melchthal und Baumgarten kommen hinzu und berichten detaillierter von dem Sturm der Burgen. Rudenz hat das Sarner Schloss gewonnen, Melchthal die Burg Roßberg. Im angezündeten Sarner Schloss war Berta eingeschlossen; Melchthal und seine Gefährten retteten sie mit Rudenz. Der Landvogt Landenberger wurde von Melchthal auf der Flucht gefasst und seinem geblendeten Vater zugeführt, der ihn begnadigte. Er schwur, nie mehr zurückzukehren und ist über den Brünig davon.

Den Hut, den Mädchen auf einer Stange herbeibringen, machen sie zum Symbol der Freiheit. Als die Zwingburg abgerissen ist, feiern die Versammelten ihren Erfolg und Walther Fürst mahnt, die militärische Auseinandersetzung mit dem König, der die Ermordung Geßlers rächen wolle, stünde noch bevor.

Rösselmann und Stauffacher kommen hinzu und berichten von der Ermordung König Albrechts durch seinen Neffen Johannes von Schwaben bei Bruck. Diesen habe Albrecht um sein Erbe bringen wollen, da habe er sich Verbündete gesucht und den Onkel mit ihnen ermordet. Alle Pässe seien gesperrt und die ungarische Königin, die Tochter Albrechts, habe den Mord zu rächen geschworen. Die Reichskrone soll nicht mehr an Habsburg, sondern an einen anderen Stamm gehen. Der Sigrist verliest ein Schreiben der Witwe Albrechts, darin sie die Bewohner der Waldkantone bittet, ihr bei der Rache an den Mördern ihres Mannes zu helfen. Die Versammelten lehnen das ab.

Sie brechen auf, um Tell aufzusuchen.

(V/2)
In Tells Wohnung erwarten seine Frau und seine Kinder seine Rückkehr. Bevor er eintrifft, erbittet ein Mönch Einlass, vor dem Hedwig zurückschreckt. Tell wird überschwänglich begrüßt, dann bemerkt auch er den Mönch, der sich ihm gegenüber, als er hört, er sei Wilhelm Tell, als Johannes von Schwaben zu erkennen gibt. Er meint ein Anrecht auf Tells Mitleid durch die Ähnlichkeit ihrer Mordtaten zu haben, doch Tell macht ihn streng auf den Unterschied ihres Tuns aufmerksam: Johannes habe aus Ehrgeiz gehandelt, Tell aus Notwehr. Als Johannes daraufhin spricht, er wolle nicht mehr leben, erfasst Tell Erbarmen und weist ihm den Weg über die Alpen; beim Papst solle er beichten und um Gnade flehen. Als Johannes fort ist, treffen die Eidgenossen ein.

(V/3)
Es kommt zu einer großen Versammlung der siegreichen Eidgenossen vor Tells Wohnung. Als er heraustritt, lassen ihn alle hochleben. Rudenz und Bertha kommen hinzu, Rudenz die Landleute, Bertha die Hedwig umarmend, dazu spielt die Bergmusik. Als die Musik vorüber ist, tritt Bertha in die Mitte des Volks und bittet um Aufnahme in ihren Bund. Als diese ihr gewährt wird, reicht sie Rudenz die Hand und dieser schenkt all seinen Knechten die Freiheit.

Analyse

Gerade dem fünften Akt mangelt es an einem szenischen Höhepunkt, wie ihn bislang noch jeder Akt aufwies (I/1, II/2, III/3, IV/3). Bereits in einer Notiz zur Uraufführung in »Der Freimüthige oder Ernst und Scherz«, Nr. 63, vom 29.3.1804, heißt es lapidar: »Im fünften Akt (der gar nicht zum Stücke gehört) sehen wir Schiller als Hofmann, da er den Johannes Parricida als Schreckbild, ohne Bedürfniß einführt.« Erhellend ist wiederum der Meinungsaustausch Schillers und Ifflands. Iffland schreibt (zitiert auf S. 808 der benutzten Ausgabe):

    Die Erscheinung des Parricida befremdete mich; was mit ihm vorgeht, gab mir Mißgefühl. Es schien mir, als übe Tell sich zu hart. Es führte mich von der Sache weg. | Überhaupt konnte ich und kann ich des Gedankens mich nicht erwehren, Parricida sollte gar nicht erscheinen und es sollte überall Tells Wohnung im 5t Acte nicht da seyn. Man wird aus dem Großen gleichsam ins Detail geführt, und es ist mir, als ginge die Empfindung diesen Gang mit Widerstreben.

Und Schiller antwortet:

    Parricidas Erscheinung ist der Schlußstein des Ganzen. Tells Mordthat wird durch ihn allein moralisch und poetisch aufgelößt. Neben dem ruchlosen Mord aus Impietaet und Ehrsucht steht nunmehr Tells nothgedrungene That, sie erscheint schuldlos in der Zusammenstellung mit einem ihr so ganz unähnlichen Gegenstück, und die Hauptidee des ganzen Stücks wird eben dadurch ausgesprochen, nehmlich: »Das Nothwendige und Rechtliche der Selbsthilfe in einem streng bestimmten Fall.« Das poetisch große liegt überal nicht in der Maße, sondern in dem Gehalt der Situationen und in der tragischen Dignität der Charactere. Wenn Tell und seine Familie nicht der intereßanteste Gegenstand im Stücke sind und bleiben, wenn man auf etwas anderes begieriger seyn könnte, als auf ihn, so wäre die Absicht des Werks sehr verfehlt worden.

In der ersten Szene des fünften Akts werden erwartungsgemäß die Folgen des Tyrannenmords aufgerollt. Der Bühne vorbehalten ist die Schleifung der unfertigen Zwingburg, Botenberichte hingegen müssen die Eroberung und Zerstörung der zwei Burgen Roßberg und Sarnen zur Darstellung bringen. Die Liebeshandlung kommt durch die Rettung Berthas aus der Burg Sarnen wieder ins Spiel – ihr glücklicher Abschluss steht damit unmittelbar bevor. Der Hut wird zum Freiheitssymbol gemacht und der andere Landvogt Landenberger aus dem Land verjagt, nachdem der Vater Melchthals auf tödliche Rache verzichtet hat.

All dies gehört in den Rahmen des nach der Ermordung Geßlers zu erwarten gewesenen; die Ermordung König Albrechts geht darüber hinaus und hatte auch von Tell als Folge seiner Tat nicht vorausgesehen werden können. Dennoch vollendet für den Horizont des Stücks erst der Herrschwerchsel die Befreiung der Eidgenossen von der Bedrohung durch das expandierende Fürstenhaus Habsburg, denn Albrechts Nachfolger soll aus diesem Hause nicht mehr stammen.

Es herrscht deshalb in diesem Schlussakt ein merkwürdiges Nebeneinander gleichklingender und dissonierender Ereignisse. Der Wirkung nach stimmen die Taten Tells, der Rütli-Verschwörung und Johannes‘ von Schwaben überein, ihr moralischer Gehalt aber differiert. Rechtfertigt das Stück »das Nothwendige und Rechtliche der Selbsthilfe in einem streng bestimmten Fall« (ebd.), sieht es sich zum Aufzeigen der Grenzen einer solchen Rechtfertigung offenbar dringend aufgefordert. Geßler hatte kurz vor seinem Tod bekräftigt, dass er sich zu seinem grausamen Regiment von König Albrecht aufgefordert sieht. Dann aber hat Tell nur den Tyrannendiener, nicht den Tyrannen ermordet. Der eigentliche Tyrannenmörder aber wird aus der Gemeinschaft der durch seine Tat Befreiten ausgeschlossen: Er hatte nicht aus Notwehr, sondern aus niederen Beweggründen der höfischen Welt gehandelt.

Effektiv hatte Schiller die stets nur geringen Raum einnehmende Nebenhandlung um Rudenz und Bertha mit dem übrigen Geschehen verwoben. Nach dem Ausschluss Parricidas und nach der allgemeinen Huldigung Tells gehören ihnen die neun Schlussverse. Der Eheschluss, der durch das Ineinanderlegen der Hände bezeichnet wird, gehört als Finale eigentlich der Komödie an: Deutlicher hätte man den guten Ausgang des Stücks also nicht markieren können. Zugleich tritt Rudenz vor der versammelten Menge öffentlich die Nachfolge seines verstorbenen Onkels an. Seine erste Amtshandlung, die Befreiung seiner Knechte, ist ein erster Schritt zur Realisation der politischen Vision Attinghausens. Die befreite Eidgenossenschaft rückt so in die Perspektive einer politischen Utopie.

Veröffentlicht am 16. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2023.