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Wilhelm Tell

Zitate und Textstellen

  • »Es lächelt der See, er ladet zum Bade, | Der Knabe schlief ein am grünen Gestade, | Da hört er ein Klingen, | Wie Flöten so süß, | Wie Stimmen der Engel | Im Paradies. || Und wie er erwachet in seliger Lust, | Da spülen die Wasser ihm um die Brust, | Und es ruft aus den Tiefen: | Lieb Knabe, bist mein! | Ich locke den Schläfer, | Ich zieh ihn hinein.«
    – Fischerknabe, V. 1-12

    Die Eröffnung des Dramas ist umwegig und lyrisch. Bis zum Erscheinen Baumgartens gibt es keine Thematisierung des im Stück entfalteten Konflikts. Die Landleute verschiedener Profession stellen sich gesanglich auf der Grundlage derselben Melodie – des Kuhreihens – in berufstypischen Liedern vor. Inszeniert wird so vor Beginn der eigentlichen Handlung eine idyllische Szenerie einträchtiger Zusammenarbeit vor beeindruckender Bergkulisse. Klassizistische Strenge in der Behandlung von Raum und Zeit, in der kausalen Geschlossenheit der Handlung und den an die Szenenfolge gestellten Anforderungen darf nicht erwartet werden; im Gegenteil ist der Auftakt beinahe opernhaft. Gerade das erotisch konnotierte Eröffnungslied hat zum Rest des Stücks, das praktisch ohne Erotik auskommt, keinerlei Bezug.
    Das Motiv der Sage fand Schiller in Johann Jacob Scheuchzers »Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands«, Zürich 1706, Tl. 1, S. 170f.

  • »Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen, | Versuch es, Fährmann!«
    – Tell, V. 143 f.

    Die Gegenüberstellung von Natur- und Menschengewalt bei Bevorzugung der Naturgewalt stellt ein Leitmotiv im Reden und Handeln Tells dar. Echos gibt es in den Szenen III/1 (V. 1508-1511), III/3 (V. 1812 f.) und IV/1 (2269 f.). Einerseits gilt die Naturgewalt Tell als bekannte und vertraute Gefahr, mit der er umzugehen weiß. Andererseits sieht er die Natur im unmittelbaren Zusammenhang mit Gott, der sich erbarmen kann. Die Menschen erscheinen ihm in einer paradoxen Fügung unmenschlicher als die unmittelbar von Gott geschaffene Natur.

  • »Ja ich verberg‘ es nicht – in tiefer Seele | Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns | Den Baurenadel schelten – […].«
    – Rudenz, V. 823-825

    Anhand der Stelle lässt sich gut illustrieren, wie sorgsam Schiller Details aus den historischen Quellen beachtet und mit welcher Freiheit er sie zugleich seinen dramaturgischen Zwecken unterordnet.

    Im »Chronicon Helveticon« heißt es über die Adligen:

      Der Adel von Uri / namlich die Fry-Herren von Attinghußen / von Schwinsperg / von Utzingen […] Ouch die Edelknecht in Underwalden / die von Rudenz / von Hunwil […] und andere die warend glich so undultig ob der Herrschafft / und der Landt-Vögten Tyranny / als andre Land-Lüt / Si wurdend ouch vom Künig / und von den Vögten glicher massen gehasset / darumb daß Si es mit den Land-Lüten hieltend / und sich ouch nit der Herrschafft Oesterrich underwürffig machen weltind / sonders bi dem Römischen Rich / und des Lands Fryheiten / als frye Lüt / wie Ir Vordere bliben. Die Landt-Lüt und Si warend wol eins; wer von Landt-Lüten Inen etwas zu tun pflichtig / das ward Inen richtig geleistet / und an Iren Herrlichkeiten und Rechtungen kein Verhinderung zugefügt / Sie tettend ouch den Landt-Lüten kein Trang / sonder vil guts / warend den Land-Lüten trüw du hold; das verdroß den Künig und sine Sün / die Hertzogen von Oesterrich / und ouch die Landt-Vögt vast / dann Si meintend / Si söltind doch für andre ze bewegen sin gewesen / sich der Oesterrichischen Herrschafft ze undergeben / wie andre vil Grafen / Herren und Edelknecht in disen obern Landern getan / und söltind sich lieber an ein Fürstlichen Helden / dann den Puren anhangen / und die ze Mit-Herren haben; Deshalb Inen die Landt-Vögt vil Trangs und Intrag an Iren Rechtungen hattend / besonders an den Richs-Lechnen die Si hattend / und Inen ze ewigen Erb-Lechen gelichen warend / die understundend Inen die Landt-Vögt ze entziechen / zu des Künigs Handen. Si wurdend ouch von der Herrschafft verschmächt und veracht / und Inen fürgeworffen / Si werind Puren-Adel / und gehörtind in die Puren-Zunfft / und geschach Inen vil ze Tratz / also daß Herr Wernherr von Attinghußen Fry / dero Zit Landt-Amman zu Uri / menigmal offentlich vor den Landt Lüten redt / man wurd den mutwilligen Gwalt nit lang mögen dulden. (Tschudi I 236 f.)

    Schiller legt Rudenz in den Mund, was in der Darstellung Tschudis die Landvögte über den einheimischen Adel sagen, um diesen zu bewegen, zu Österreich überzutreten.

  • »Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, | Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, | Wenn unerträglich wird die Last – greift er | Hinauf getrosten Mutes in den Himmel, | Und holt herunter seine ewgen Rechte, | Die droben hangen unveräußerlich | Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst – […].«
    – Stauffacher, V. 1275-1281

    Sicherlich die politisch brisanteste Passage. Mit diesen Sätzen gründet Stauffacher den Aufstand der Eidgenossen auf ein Naturrecht auf Notwehr gegen politische Unterdrückung. Durch diese Begründung macht Schiller den mittelalterlichen Stoff über große Unterschiede in Raum und Zeit hinweg anschlussfähig. Selbst im vergleichsweise liberalen Berlin äußerte der Theaterdirektor Iffland wegen der Stelle Bedenken und die Frage, ob es Schillers Absicht sei, Tumult zu erregen.

  • »Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.«
    – Tell, V. 1514

    Dieser zum Sprichwort gewordene Vers charakterisiert Tell auch im häuslichen Bereich als Selbsthelfer und als Universalisten. Der Impuls richtet sich gegen die modernen Entwicklungen fortschreitender Arbeitsteilung und Spezialisierung. Die Verteilung von Aufgaben auf für sie im besonderen zuständige Gewerbe ist die Voraussetzung allgemeiner wirtschaftlicher Prosperität. Wenn alle dächten wie Tell, würde die Zimmermannskunst nicht weit gebracht werden können. Gerade in der modernen Welt gewinnt die Gegenvorstellung eines sich in allen Lagen selbst helfen könnenden, unabhängigen Menschens ihre Anziehungskraft.

  • »Kämpfe | Für‘s Vaterland, du kämpfst für deine Liebe! | Es ist Ein Feind, vor dem wir alle zittern | Und Eine Freiheit macht uns alle frei.«
    – Berta, V. 1728-1731

    Der fulminante Szenenschluss bringt die Klärung der Fronten zum formelhaften Ausdruck, die in der Hauptsache Ergebnis des dritten Akts ist. Bisher war Rudenz durch seine Liebe zu Berta auf die österreichische Seite und aus der Heimat gezogen worden, jetzt hat sich herausgestellt: Selbst Bertas Glück hängt am Gelingen des Aufstandes. Bisher hatte Tell – diese Entwicklung wird die folgende Szene bringen – sich aus der Verschwörung herausgehalten, jetzt wird auch er in die Gegenüberstellung gezwungen. Die Kampfparole, die Berta ausgibt, ist dabei geeignet, auf andere Kontexte übertragen und entsprechend missbraucht zu werden.

  • »Wohlan, o Herr | Weil ihr mich meines Lebens habt gesichert, | So will ich euch die Wahrheit gründlich sagen. | Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich – Euch, | Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte, | Und Eurer – wahrlich! hätt ich nicht gefehlt.«
    – Tell, V. 2057-2062

    Die Wechselrede zwischen Tell und Geßler nach dem erfolgten Schuss ist beinahe wörtlich aus dem Chronicon Helveticon übernommen:

      Do redt Wilhelm Tell: wolan Herr / sidmalen Ir mich mins Lebens versichert habend / so will ich üch die grundlich Warheit sagen / daß min entliche Meinung gewesen / wann ich min Kind getroffen hette / daß ich üch mit dem andern Pfyl erschossen / und one Zifel üwer nit gefält wolt haben. (Tschudi 238)

    Erfunden ist hingegen kurz zuvor das für die Bühnensituation entscheidende Eingreifen Rudenz‘, das die Aufmerksamkeit der versammelten Leute – und der Zuschauer – von dem Schuss ablenkt.

  • »Was könnt ihr schaffen ohne ihn? – Solang | Der Tell noch frei war, ja da war noch Hoffnung, | Da hatte noch die Unschuld einen Freund, | Da hatte einen Helfer der Verfolgte, | Euch alle rettete der Tell – Ihr alle | Zusammen könnt nicht seine Fesseln lösen!«
    – Hedwig, V. 2370

    Das Verhältnis von Gruppe und Held, von politischer Bewegung und Einzelgänger, von der Rütli-Verschwörung und dem Gebirgsjäger Tell wird hier von der aufgebrachten Hedwig auf die Spitze getrieben. Ihre Aussage gewinnt ihre Evidenz vor allem aus der Dramaturgie des Stücks, das Tell nun einmal zur zentralen Figur macht. Tatsächlich müsste man ihr erwidern, dass Tell ohne die Verschwörung gar nichts vermöchte – ja, dass er dem Lauf der Dinge in der Distanz seines Einzelgängertums zugesehen, dass sich nichts verändert hätte. Die Eidgenossen wären mit Geßler schon fertig geworden. Ohne den Aufstand der Eidgenossen hingegen wäre Tell der Rache des Landvogts nicht entkommen.

    Dennoch – in der poetischen Logik des Stücks hat sie recht.

    Voll zur Entfaltung kommt in der Stelle auch das retardierende Element der Gefangenschaft Tells. Obwohl die Ereignisse des dritten Akts über den guten Ausgang des Stücks schon entschieden haben, scheint noch einmal alles verloren.

  • »Mein ganzes Lebenlang hab ich den Bogen | Gehandhabt, mich geübt nach Schützenregel, | Ich habe oft geschossen in das Schwarze, | Und manchen schönen Preis mir heimgebracht | Vom Freudenschießen – Aber heute will ich | Den Meisterschuß tun und das Beste mir | Im ganzen Umkreis des Gebirgs gewinnen.«
    – Tell, V. 2644-2650

    Der Schluss des großen Entscheidungsmonologs Tells ist weit weniger bekannt als sein sprichwörtlich gewordener Beginn – »Durch diese hohle Gasse muß er kommen« (V. 2560) –, stellt aber das Ergebnis der in dem Monolog geleisteten Gedankenarbeit dar: Tell bringt seinen Vorsatz zum Mord an dem Landvogt mit seinem bisherigen Leben als friedlicher Jäger in Einklang, indem er den Schuss auf Geßler als Höhepunkt seiner Jägerlaufbahn einordnet. Kurz zuvor bezeichnete er ihn metaphorisch als »edles Wild« (V. 2635), jetzt hat sich die Metapher noch einmal gewandelt. Der Vergleich zielt auf ein festliches Wettschießen, bei dem auf die schwierigsten Ziele Preise ausgelobt werden.

  • »Und frei erklär‘ ich alle meine Knechte.«
    – Rudenz, V. 3290

    Der fulminante Schlussvers, der, in Bertas Erklärung fallend, einen Kreuzreim abschließt: »Wohlan! | So reich ich diesem Jüngling meine Rechte, | Die freie Schweizerin dem freien Mann!« sagt Berta unmittelbar davor. Es gehört zu der Logik der guten Ausgänge, dass der erreichte, glückliche Zustand nur eben angerissen, keinesfalls ausbuchstabiert wird. Immerhin ist in der Vision Attinghausens und in den mahnenden Worten Walter Fürsts (V. 2926: »Das Werk ist angefangen, nicht vollendet.«) schon zum Ausdruck gekommen, dass bis zur völligen Abwendung der Gefahr einer Vereinnahmung durch die Habsburger noch ein weiter Weg zu gehen ist. Doch die innergesellschaftliche Transformation stößt der Attinghausen beerbende Rudenz unmittelbar an: Hier triumphiert ein utopischer Gedanke.

Veröffentlicht am 16. Mai 2023. Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2023.