Skip to main content

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Kapitel 2

Zusammenfassung

Utterson kehrt an diesem Abend in seine Wohnung zurück und sucht sich das Testament eines gewissen Dr. Henry Jekyll heraus, das er für diesen aufbewahrt. In diesem Testament vermacht Jekyll alles, was er besitzt, seinem Freund Edward Hyde, der außerdem im Falle von Jekylls Verschwinden dessen Stelle einnehmen soll.
Utterson ist schon vor der Geschichte Enfields nicht wohl bei dem Gedanken an dieses Testament gewesen – nun jedoch nimmt Hyde in seinen Augen immer bedrohlichere Züge an. Henry Jekyll ist ein guter Mann und zählt zu seinen ältesten Freunden. Das Testament hält er deswegen für unverantwortlich und schändlich.
Er sucht seinen Freund Dr. Hastie Lanyon auf, der am Cavendish Square, einer runden Gartenanlage im West End Londons, wohnt. Die beiden sind alte Schulfreunde und auch zusammen aufs College gegangen. Auch mit Henry Jekyll ist Lanyon schon lange befreundet. Lanyon wird ungehalten bei der Erwähnung Jekylls. Er erzählt Utterson, dass die beiden sich aufgrund einer Meinungsverschiedenheit in Bezug auf eine bestimmte wissenschaftliche Frage gerade nicht mehr oft sehen. Der Name »Hyde« sagt Lanyon jedoch nichts und so kehrt Utterson ernüchtert nach Hause zurück.
Nachts kann Utterson nicht schlafen und verliert sich in unheimlichen Vorstellungen von Enfields Geschichte und einem dunklen, gesichtslosen Unbekannten, der seinen Freund Jekyll bedroht. Aus diesen Träumen entsteht Uttersons Wunsch, Hydes Gesicht zu sehen. Deswegen bezieht er in jeder freien Minute einen Beobachtungsposten in der Nähe der mysteriösen Tür, um dort auf Hyde zu warten.
In einer kalten, frostigen Nacht tritt Hyde dann endlich in Erscheinung – ein kleiner Mann, der schon von Weitem Unbehagen in Utterson auslöst. Er will die Tür aufsperren, doch Utterson hält ihn zurück. Sie führen ein kurzes Gespräch, bei dem Hyde Utterson die Adresse seines Wohnsitzes in Soho nennt.
Utterson schafft es, einen Blick auf sein Gesicht zu werfen. Es ist blass und »zwergenhaft« (21) und erweckt den Eindruck von Missgestaltung und Falschheit, obwohl sich dafür keine konkreten Gründe nennen lassen. Auch Hydes Art zu sprechen ist unangenehm. Als er Utterson fragt, wie er ihn erkennen konnte, gibt dieser gemeinsame Freunde an und nennt als Beispiel Jekyll. Daraufhin wird Hyde wütend und beschimpft Utterson als Lügner. Er schließt schnell die Tür auf und verschwindet ins Haus.
Utterson verfolgt der Eindruck, es mit etwas Nicht-Menschlichem zu tun gehabt zu haben, er vergleicht Hyde sogar mit dem Teufel und kann die Erinnerung an sein Gesicht nicht abschütteln. Er macht sich Sorgen um Jekyll und sucht sein Haus auf, das um die Ecke liegt.
Der Butler Poole teilt Utterson mit, dass Jekyll ausgegangen ist. Es wird enthüllt, dass das Haus, in dem Hyde verschwunden ist, die Rückseite von Dr. Jekylls Haus ist. Hyde gehe häufig durch die Tür des alten Anatomiesaals, der zu dem Haus gehört, ein und aus. Er habe den Schlüssel dazu von Jekyll erhalten. Der Butler informiert Utterson außerdem darüber, dass das Personal von Jekyll damit beauftragt wurde, allen Anweisungen Hydes Folge zu leisten.
Utterson macht sich auf den Heimweg. Er vermutet, dass Jekyll aufgrund einer vergangenen Sünde von Hyde erpresst wird und will ihm helfen. Er befürchtet, dass Hyde Jekyll etwas antun könnte, sollte er von den Bestimmungen des Testaments erfahren.

Analyse

Die Novelle gehört zur Schauerliteratur (»gothic fiction«), die Angst im Leser durch das Ungesagte und Unheimliche erzeugt. Die Handlung beschränkt sich auf die städtische Umgebung Londons. Die Figuren besuchen sich mit Ausnahme von Uttersons Spaziergängen mit Enfield ausschließlich in ihren Häusern. Diese Mischung aus Horror und Stadtumgebung ist ein Subgenre der Schauerliteratur, das auf Englisch »urban gothic« (»urban« = »städtisch«, »gothic« = »Gotik«) heißt. Darin wird Phantastisches in eine städtische Umgebung gesetzt, um Nähe zur Lebenswelt des Lesers zu erzeugen. Dadurch entsteht der Eindruck, die Ereignisse könnten auch im Nachbarhaus passieren (Scholz 1993: 7).
In diesem Zuge spielt die Architektur in »Jekyll und Hyde« eine wichtige Rolle. Der Leser lernt Jekylls Haus kennen, das symbolisch für Jekylls Charakter steht. Der Haupteingang erweckt den Eindruck von »Wohlstand und Komfort« (22). Auch die Diele, »der angenehmste […] Raum Londons« (23), deutet auf die gute Seite Jekylls hin. Durch ein Flackern des Kaminfeuers und einen »ruhelosen […] Schatten […] an der Zimmerdecke« (ebd.) beschleicht Utterson jedoch ein Gefühl der Bedrohung. Das ist ein Hinweis auf das Böse, das sich hinter der Fassade Jekylls verbirgt (Kirby 2017: 28).
In diesem Kapitel wird nun enthüllt, dass Hyde durch Jekylls Hintertür ein und aus geht. Diese zwei Türen sind so gegensätzlich wie Jekyll und Hyde selbst. Jekylls Haus spiegelt die Innenwelt des Doktors wider, denn genau wie seine Seele hat es zwei Seiten.
Außerdem wird das Augenmerk auf den Namen von Jekylls angeblichem Gegenspieler gelenkt: »Wenn Mr. Hyde Verstecken spielen will«, sagt sich Utterson, »dann werde ich Mr. Seek sein und ihn suchen.« (19) »To play hide and seek« bedeutet im Englischen »Verstecken spielen«. Mit dem Namen »Hyde« (»to hide« = »verstecken«, »verbergen«) ist die Bedeutung der Figur klar. Utterson nimmt allerdings Bezug darauf, dass Hyde für ihn nicht greifbar ist und niemand ihn kennt: Dass er sich hinter Jekyll verbirgt, wird erst später herauskommen. Stevenson beweist in der Novelle seine Vorliebe für Wortspiele, wie man an dieser Szene erkennt. Auch der Name Jekyll ist ein sogenannter sprechender Name – »Je-kyll« beinhaltet das englische Verb »kill«, was man mit »töten« übersetzt. McNally und Florescu vermuten, dass sich in der ersten Silbe »Je« das französische Wort für »ich« verbergen könnte – damit könnte man den Titel der Novelle als »I Kill and Hide« (auf Deutsch »Ich töte und verstecke mich«) lesen (McNally/Florescu 2001: 132).
Neben Anstand, Enthaltsamkeit und einem guten Ruf spielte auch die Religion in der viktorianischen Zeit eine wichtige Rolle. Hyde wird im Zuge dessen häufig mit der Hölle in Verbindung gebracht: Utterson sieht »Satans Signatur« (22) auf seinem Gesicht und auch Enfield hält ihn für »teuflisch« (10) und sieht ihn als »Satan persönlich« (11). Stevenson verarbeitet hier auch verschiedene Gruselgeschichten, mit denen er in Schottland aufgewachsen ist – dort spielt Aberglauben eine große Rolle und es gibt viele Erzählungen über Hexerei, das Übernatürliche und den Teufel (Calder 1980: 126ff.).

Veröffentlicht am 27. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. April 2023.