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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Kapitel 9

Zusammenfassung

Dieses Kapitel umfasst Lanyons Aufzeichnungen, die die ersten Fragen des mysteriösen Falls beantworten. Es wird enthüllt, weshalb Jekyll und Lanyon sich entzweien und wie es zu Lanyons plötzlichem Tod kommen konnte.
Im Januar erhält Lanyon einen Brief von Jekyll mit der Bitte, ihm einen Gefallen zu tun. Er befände sich in größter Not und von der Ausführung dieser Bitte hänge sein Leben ab: Lanyon solle am Abend zu Jekylls Haus fahren und die Tür seines Arbeitszimmers aufbrechen. Danach solle er eine bestimmte Schublade aus einem Glasschrank herausnehmen und sie zurück mit nach Hause nehmen. Um Mitternacht solle Lanyon einen Mann zu sich ins Haus lassen, der sich in Jekylls Namen vorstellen und ihm die Schublade geben werde.
Der Brief ist mit solcher Verzweiflung geschrieben, dass Lanyon nichts anderes übrig bleibt, als Jekylls Anweisungen Folge zu leisten, auch wenn er vermutet, Jekyll wäre geisteskrank. Nachdem er den ersten Teil erledigt hat, untersucht er zurück am Cavendish Square den Inhalt der Schublade. Darin befinden sich einige von Jekyll selbst abgefüllte Pulver, unter anderem auch ein weißes Salz. Außerdem ein Notizbuch, das verschiedene fehlgeschlagene Experimente dokumentiert, doch nichts Konkretes verrät.
Um Mitternacht empfängt Lanyon einen Mann in seinem Sprechzimmer. Dieser ruft in ihm sofort heftiges Unbehagen hervor, das er mit Erstarrung vergleicht. Er ist klein und trägt elegante Kleidung, die ihm jedoch viel zu groß ist, und wirkt fehlgebildet. Er ist äußerst ungeduldig und verlangt nach der Schublade. Auch nach Lanyons Aufforderung gelingt es ihm kaum, seine Gefühle zu mäßigen. Er scheint fast hysterisch, als er die Schublade endlich in den Händen hält.
Der Mann beginnt damit, verschiedene Pulver aus der Schublade zu mischen, bis er ein grünes Gebräu erzielt. Dann stellt er Lanyon vor die Wahl: Sollte er es wünschen, würde er ihm die Situation genau erklären, was ihm ein unglaubliches neues Wissen verleihen würde. Jedoch müsste er sich zum Schweigen verpflichten.
Lanyon willigt ein, woraufhin der Mann das Glas austrinkt. Dies setzt eine furchtbare Verwandlung in Gang, bei der er schreit und keucht, bis sein Gesicht auf einmal anschwillt, schwarz wird und seine Züge sich auflösen. Lanyon packt das Entsetzen und er weicht zurück. Schließlich ist die Verwandlung beendet und vor ihm steht Henry Jekyll.
Dieser erklärt ihm die Lage, allerdings ist Lanyon nicht mehr dazu imstande, dies in seinen Aufzeichnungen wiederzugeben. Was er hört, ist so ungeheuerlich, dass er darüber krank wird. Das Entsetzen lässt ihn nicht mehr los und ihm wird klar, dass er deswegen sterben wird.
Zum Schluss enthüllt er den Namen des Mannes, den er um Mitternacht im Speisezimmer empfangen und der sich in Henry Jekyll verwandelt hat: Es war Edward Hyde.

Analyse

Der Leser verlässt nun Uttersons Perspektive und erhält in diesem Kapitel Einblick in Lanyons Sicht. Dieser löst mit seinem Bericht einen Teil des Rätsels. Die mysteriösen Zusammenhänge erklärt Lanyon mit der Erkenntnis, dass Henry Jekyll und Edward Hyde dieselbe Person sind.
Nach Niederhoff ist das das Ende der detektivischen Handlung der Novelle (Niederhoff 1994: 47), denn diese endet immer mit der Lösung eines Falls. Der zweite wichtige Bestandteil von »Jekyll und Hyde« ist eine sinnbildliche Ebene, die im nächsten Kapitel erklärt wird.
Stevenson schildert die Lösung des Falls in Briefform aus der Ich-Perspektive Lanyons. Da Lanyon ein angesehener, kluger Wissenschaftler ist, wird hierdurch Echtheit vorgetäuscht – was er sagt, hat Gewicht. Der Brief als Erzählform ist ebenfalls ein Mittel, um noch mehr Nähe und dadurch Schrecken zu schaffen (vgl. 8. Sprache und Stil).
Auch Lanyon beschreibt Hyde als abstoßend und als »Kreatur« (67) anstatt als Mensch. Er hat »etwas durch und durch Abartiges und Missgestaltetes an sich« (ebd.) und löst in dem Wissenschaftler starke Symptome hervor: Sein Körper erstarrt und sein Puls sinkt. Auch Lanyons schlimme Krankheit nach seiner Entdeckung legt nahe, dass es sich hier um ein Ereignis handelt, das gegen die Natur des Menschen geht.
In Lanyons Bericht geht es erneut um die Wissenschaft, die sich an neue Methoden wagt. Hyde stellt ihn vor die Wahl: Sollte er es wollen, würde er ihm seine Fragen beantworten und es werden sich ihm »ein neuer Bereich des Wissens und prachtvolle neue Wege zu Ruhm und Macht« (69) eröffnen. Hyde empfindet das Experiment als etwas Erfolgbringendes. Er spielt auf die Seite Jekylls an, die mit den Forschungen der Menschheit helfen will.
Das 19. Jahrhundert prägte jedoch auch die Angst vor der Macht der Wissenschaft und die Befürchtung, sie könnte über menschliche Grenzen hinausgelangen (Scholz 1993: 17). Diese Angst findet sich deutlich in »Jekyll und Hyde« und auch in Geschichten wie »Frankenstein«: Ein Wissenschaftler erschafft etwas im Sinne des Fortschritts, doch sein Experiment geht schief, denn es bringt ein Monster hervor.

Veröffentlicht am 27. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. April 2023.