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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Kapitel 6 & 7

Zusammenfassung

Zwei Monate vergehen, in denen Hyde nicht gefunden werden kann. Er scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Dr. Jekyll blüht in dieser Zeit merklich auf. Er geht wieder unter Leute, pflegt seine Beziehungen und setzt sich für das Gute ein.
Nach einer Dinnerparty im Januar jedoch schottet sich Jekyll plötzlich wieder ab. Als Utterson versucht, ihn zu sehen, wird er von Poole mehrmals mit der Begründung abgewiesen, Jekyll sei krank.
Zwei Tage später begibt er sich zu Dr. Lanyon, der todkrank zu sein scheint. Sein Äußeres hat sich völlig verändert und er wirkt schwach und angsterfüllt. Lanyon erzählt ihm, dass er sich aufgrund eines bestimmten Erlebnisses unter Schock befindet. Worum es sich dabei handelt, verrät er nicht. Allerdings zeigt Lanyon eine ungehaltene Reaktion auf den Namen Jekylls, als Utterson diesen erwähnt. Er wolle nie wieder etwas von Jekyll hören und Utterson solle gehen, wenn er das Thema nicht wechseln könne.
Utterson schreibt Jekyll einen Brief, in dem er ihn nach seinem plötzlichen Gemütsumschwung und dem Grund des Streits mit Lanyon fragt. Doch Jekylls Antwort liefert keine befriedigende Begründung und ist nur voller vager Andeutungen und Rätsel. Er bittet Utterson, ihn künftig in Ruhe zu lassen.
Etwa zwei Wochen später ist Dr. Lanyon tot. Nach der Beerdigung erhält Utterson einen versiegelten Brief von ihm, mit der Bitte, den beiliegenden Umschlag erst nach Henry Jekylls Tod oder Verschwinden zu öffnen. Obwohl Utterson neugierig ist, liest er den Brief nicht, sondern verwahrt ihn in seinem Safe.
Auf einem Sonntagsspaziergang mit Enfield macht er dann eine weitere merkwürdige Beobachtung. Als die beiden an Jekylls Fenster vorbeikommen, sehen sie den Doktor dort. Er wirkt gequält und lehnt eine Einladung zum Spaziergang ab. Auf einmal tritt ein Ausdruck schrecklichen Entsetzens auf sein Gesicht und das Fenster wird heruntergelassen. Diese Veränderung passiert so plötzlich, dass Utterson und Enfield »das Blut in den Adern gefror« (46) und sie verlassen die Szene in Schweigen.

Analyse

Nach dem Cliffhanger am Ende von Kapitel 5 (vgl. 8. Sprache und Stil) lässt Stevenson den Spannungshöhepunkt in der Luft hängen: Es gibt vorerst keine weiteren Erkenntnisse zu dem seltsamen Brief. In Kapitel 6 und 7 verdichtet sich das Mysterium nun noch mehr, bis es dann in Kapitel 8 zum Höhepunkt kommt.
Es fällt auf, dass Utterson bei seiner Ermittlung zögert. Das tut er in der Novelle einige Male – er ist kein Detektiv, der durchgehend zielstrebig vorgeht. Er verspürt z. B. schon in Kapitel 2 »Widerstand gegen die Lösung des Rätsels« (Niederhoff 1994: 45), denn die Begegnung mit Hyde hat ihn abgeschreckt. Auch nun, wo er Jekyll verdächtigt, Hyde zu schützen, entschließt er sich dagegen, den Brief der Polizei zu zeigen, sondern sperrt ihn in seinen Safe.
Dort landet auch Lanyons Brief, der Utterson nach dessen Tod erreicht. Niederhoff stellt die These auf, Uttersons Zögern tauche immer dann auf, wenn er befürchtet, Jekyll durch seine Ermittlungen zu Hyde zu schaden. Damit irrt auch er, denn Jekyll und Hyde sind nicht trennbar. Da zum Ende »die Lösung des Falles [den] Tod seines Freundes« bedeutet, kann Uttersons Zögern auch sein Weg sein, das zu verhindern (Niederhoff 1994: 47).
Trotzdem quält ihn die Neugier: »Neugier zu unterdrücken ist das Eine, sie zu besiegen, etwas Anderes« (44), schreibt Stevenson und spielt erneut darauf an, wie schwierig es ist, seine Emotionen zu kontrollieren. Da man Hyde als Stellvertreter für das Unterdrückte im Menschen lesen kann, findet man »Hydsche« Merkmale in vielen der Figuren (Miller 2005: 15). Enfield z. B. bedient sich selbst des Mittels der Erpressung, das er und Utterson später Hyde vorwerfen (ebd.) Auch Utterson kämpft mit seiner Dualität und unterdrückt viele seiner eigentlichen Vorlieben, wie das Theater oder den Wein (Niederhoff 1994: 43).
Kapitel 7 zeigt Jekyll erneut in Hydes Teil des Hauses und positioniert ihn so wieder auf seiner dunklen Seite. Die Szene hat etwas Bedrohliches und Jekyll hinter dem Fenster erinnert stark an einen Gefangenen. Das Fenster ist normalerweise eine Möglichkeit der Verbindung zwischen Außen- und Innenwelt, eigentlich ein Ort der Öffnung und Kommunikation – im Zuge dessen kann es symbolisch für das Gefühlsleben gelesen werden. Jekylls Gefangenschaft zeigt sich in dieser Unmöglichkeit, von innen nach außen zu gelangen. Das Fenster wird heruntergelassen und seine Situation damit ausweglos.

Veröffentlicht am 27. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. April 2023.