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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Kapitel 4

Zusammenfassung

Im Oktober des Folgejahres geschieht ein Mord, der für große Aufmerksamkeit sorgt. Beim Blick aus dem Fenster auf die vollmondbeschienene Straße wird ein Dienstmädchen Zeugin, wie Mr. Hyde einen älteren Herrn mit einem Spazierstock niederschlägt. Er prügelt ihn in einem Anfall von rasender Wut damit nieder und trampelt auf seinem Körper herum, bis er tot ist.
Das Mädchen fällt in Ohnmacht und ruft erst später in der Nacht die Polizei. Diese findet das Opfer, das noch immer auf der Straße liegt. Bei ihm befinden sich verschiedene Habseligkeiten, eine Hälfte des Gehstockes, der bei der Wucht der Schläge zerbrochen ist, und ein Brief, der Name und Anschrift von Mr. Utterson trägt.
Der Brief wird Utterson am nächsten Morgen übermittelt, woraufhin er verlangt, die Leiche zu sehen. Auf der Wache der Scotland Yard bestätigt er die Identität des Toten: Es ist sein Klient Sir Danvers Carew. Außerdem erkennt er die zersplitterte Hälfte des Stockes, denn es ist der Stock, den er selbst einmal Henry Jekyll geschenkt hat.
Da Utterson nach dem Gespräch mit Hyde dessen Adresse kennt, kann er den zuständigen Polizeibeamten, Inspektor Newcomen, nun zu seinem Haus führen. Es liegt in einer schäbigen Nachbarschaft und die trostlose Stimmung wird durch den braunen Nebel verstärkt, der sich in dieser Szene über die Stadt legt.
Die Vermieterin öffnet den Männern. Sie bestätigt, dass Hyde in dem Haus wohnt, allerdings sei er gerade in diesem Moment nicht zuhause. Dies sei nichts Besonderes, sagt sie, denn er gehe oft aus und sie sehe ihn kaum.
Als ihr klar wird, dass Hyde in Schwierigkeiten steckt, zeigt sie Schadenfreude und erlaubt Utterson und dem Inspektor, Hydes Zimmer anzusehen. Diese sind luxuriös und elegant eingerichtet. Allerdings sieht es so aus, als wären sie kurz vorher durchsucht worden, denn durchwühlte Kleidung liegt auf dem Boden und Schränke stehen offen. Im Kamin findet der Inspektor zwischen den verbrannten Überresten von Papieren ein Scheckbuch und hinter der Tür lehnt die andere Hälfte des Gehstockes.
Im Laufe der Ermittlungen des Inspektors stellt sich heraus, dass niemand Edward Hyde näher kennt. Die Beschreibungen der Zeugen weichen voneinander ab, sie stimmen nur in dem Eindruck überein, den auch schon Utterson von Hyde gewonnen hat – dem Eindruck einer nicht begründbaren Fehlgestaltung.

Analyse

Der Carew-Mord erinnert an die brutalen Ermordungen der britisch-irischen Beamten Lord Frederick Cavendish und Thomas Burke, die 1882 in Dublin passierten. Sie sind als »Phoenix-Park-Morde« bekannt und standen damals in allen britischen Zeitungen. Die nationalistische irische Gruppe »The Invincibles« griff die beiden Männer im Phoenix Park an und tötete sie mit mehreren Messerstichen. Grund dafür waren politische Interessen. Das Verbrechen erschütterte die Öffentlichkeit, weil es so blutig war – hier sind deutliche Ähnlichkeiten zum Mord an dem angesehenen Bürger Carew zu erkennen (McNally/Florescu 2001: 137).
Auch die Parallele zum Affen wird wieder gezogen, denn Hyde schlägt in »flammende[m] Zorn«, »wie ein Irrer« und »mit der Wut eines Affen« auf Carew ein, sodass seine Knochen brechen und sein Körper auf dem Pflaster hin und hergeworfen wird (29). Die Szene hat einen schockierenden Beigeschmack, denn Hyde scheint nicht wie ein Mensch, sondern eher wie ein wildgewordenes Tier zu handeln.
Der Mord an Carew ist für Jekyll ein Wendepunkt. Bis dahin hat er Hyde noch einigermaßen unter Kontrolle gehabt – nun jedoch siegt das Böse über das Gute. Mit dem Mord übertritt er eine Grenze. Ab diesem Zeitpunkt gewinnt Hyde immer mehr an Macht.
Außerdem fällt erneut die Wohnsituation auf. Hydes Haus steht in klarem Kontrast zu dem Jekylls. Sein Viertel in Soho ist atmosphärisch sehr detailliert beschrieben: Es ist düster, mit wechselndem Licht, »trostlos«, »schmuddelig«, »bedrückend«. Es erscheint Utterson »wie der Bezirk einer unbekannten Stadt in einem Albtraum« (31). Außerdem erinnert es an die Londoner Slums, die Armenviertel des East Ends.
Die Novelle gehört zur Schauerliteratur, für die eine dichte Atmosphäre dieser Art typisch ist (vgl. 8. Sprache und Stil). Für die Düsternis der Szenerie ist neben dem spärlichen Licht auch dicker Nebel verantwortlich, der sich »braun wie Umbra« (31) oder »wie eine große Glocke« und »dunkel wie Schokolade« (30) über das Viertel legt.
Die Luft im viktorianischen London war übrigens erfüllt von Rauch, da man damals große Mengen Kohle verbrannte. Die Elendsviertel im East End waren nah an Fabriken gebaut, sodass die Menschen lange arbeiten konnten. Deswegen kennzeichnete gerade das East End eine schlimme Luftverschmutzung (CGP Books 2021: 7).

Veröffentlicht am 27. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 27. April 2023.