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Aus dem Leben eines Taugenichts

Historischer Hintergrund und Epoche

Die erste handschriftliche Fassung der beiden ersten Kapitel, die zu dieser Zeit noch in einem Kapitel zusammengefasst und mit dem Titel »Der neue Troubadour« überschrieben waren, stammt wohl aus dem Jahr 1817. In dieser Zeit leistete Eichendorff in Breslau, bedrängt von wirtschaftlichen Sorgen und mit einer Familie mit zwei Kindern, ohne Gehalt seinen juristischen Referendardienst.

1823 erschien in den Nummern 152-158 der Breslauer ›Deutsche Blätter für Poesie, Literatur, Kunst und Theater‹ (26. 9. – 7. 10. 1823) unter der Überschrift »Ein Kapitel aus dem Leben eines Taugenichts« wieder nur der Text der beiden ersten Kapitel.

Wann die übrigen Teile der Erzählung entstanden sind, ist ungewiss, doch gibt es, zur Eingrenzung der Entstehungszeit, einige Hinweise. So wird im 8. Kapitel vom »seligen Hoffmann« (532) gesprochen – also E. T. A. Hoffmann, der erst am 25. Juni 1822 gestorben ist.

Die Oper »Der Freischütz« von Carl Maria von Weber, die Eichendorff mit einem Lied im Schlusskapitel zitiert, ist am 18. Juni 1821 in Berlin uraufgeführt worden, und hat ein regelrechtes »Freischütz«-Fieber ausgelöst, von dem Heinrich Heine – mit Bezug gerade auf das von Eichendorff in leichter Abwandlung übernommene Lied – in seinen »Briefen aus Berlin« besonders plastisch erzählt:

    Haben Sie noch nicht von Maria von Webers »Freischütz« gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper »das Lied der Brautjungfern« oder »den Jungfernkranz« gehört? Nein? Glücklicher Mann!
    Wenn Sie vom Hallischen nach dem Oranienburger Tore, und vom Brandenburger nach dem Königs-Tore, ja selbst, wenn Sie vom Unterbaum nach dem Köpnicker Tore gehen, hören Sie jetzt immer und ewig dieselbe Melodie, das Lied aller Lieder – »den Jungfernkranz«. (Heine, Briefe aus Berlin, 25).

Der Erfolg der dramatischen Satire »Krieg den Philistern« (1823) und der Erfolg der seit Mai 1825 in der Berliner Zeitschrift ›Der Gesellschafter‹ erschienenen Gedichte Eichendorffs verschafften ihm die Möglichkeit zu einer Teilsammlung seiner Werke im Jahr 1826. Für diese sah der Autor vor – wie ein aus Königsberg an Julius Eduard Hitzig am 8.10.1825 übersandter Brief zeigt – den »Taugenichts« zwischen zwei Abteilungen von Gedichten an vorletzter Stelle einzufügen, doch seine Berliner Freunde stellten die Erzählung seinen schon gedruckten Texten eigenmächtig voran. Diese Priorisierung entsprach dann auch durchaus der Wirkung, die die Erzählung hatte.

Die wichtigste inhaltliche Änderung der Druckfassung betrifft den Stand Aurelies. Über ein in Breslau wohl 1817 entstandenes Entwurfsblatt berichtet Karl Konrad Polheim, dessen Vater eine Abschrift dieses Blattes anfertigte, nach einem kurzen Zitat:

    Es ist also bereits von der »Gräfin« die Rede, und dies keineswegs aus der Sicht des Taugenichts. Der nächste Jezt-Abschnitt verzeichnet knapp die Bestellung zum Rendezvous durch die Kammerjungfer und spricht von einer Hochzeit. Diese Bestellung samt dem Rendezvous sowie die Hochzeit – oder besser gesagt: die Tatsache der Hochzeit der jungen Gräfin – bilden, in konzentrischen Kreisen umschritten und von mancher Seite her beleuchtet und formuliert, den Inhalt des Memoirenblättchens. Jener Handlungsteil, der dem Dichter später solche Schwierigkeiten bereitete: die Tatsache, daß die schöne Frau verheiratet ist, wird hier langsam aufgebaut und gefestigt. (Polheim, 45).

In diesem Sinne fortgeschrieben hätte die Erzählung also einen ganz anderen Verlauf nehmen, jedenfalls ein anderes Ende haben müssen. Der Wegfall des ersten Titels »Der neue Troubadour« passt zu der inhaltlichen Änderung insofern, als sich die Liebe der Troubadours und Minnesänger nur auf verheiratete Frauen richtete.

Die Erzählung ist ein typisches Werk der Spätromantik. Wenn der Taugenichts eine romantische Figur ist und die Welt, in der er sich bewegt, nach den Maßgaben der romantischen Ästhetik gestaltet ist – so gibt es doch zugleich ein leicht ironisches, ja parodistisches Verhältnis zur Romantik.

So ursprünglich die Erzählung daherkommt, ist sie doch aus einer beinahe unübersehbaren Vielzahl literarischer Quellen und Muster zusammengesetzt. Die märchenhafte Stilisierung wird ironisch gebrochen, wenn das erfolgreiche Lied aus dem hochaktuellen »Freischütz« zitiert und auf eine Stelle im Werk E. T. A. Hoffmanns mit einer Seitenangabe verwiesen wird.

Schon die Gattungsbezeichnung »Novelle« wird in der Forschung als ironischer Seitenhieb auf die im zeitgenössischen Literaturbetrieb inflationäre Verwendung des Gattungsbegriffs gedeutet und der Titel könnte sich – wieder parodistisch – auf Goethes Autobiographie »Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit« beziehen.

Veröffentlicht am 26. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. September 2023.