Skip to main content

Aus dem Leben eines Taugenichts

Kapitel 10

Zusammenfassung

Abends bei dem Schloss am Ufer angelangt, verstreut sich die Gesellschaft. Der Geistliche eilt zum Schloss; die Studenten wollen sich bei einem Gebüsch die Mäntel ausklopfen, im Bach waschen und einander rasieren. Der neuen Kammerjungfer empfiehlt der Taugenichts, im Wirtshaus unter dem Schlossberg erst ein besseres Kleid anzulegen; er selbst aber geht, als alle fort sind, zum Schlossgarten hin.

Er kommt an dem Zollhaus vorbei und besieht es sich von innen. Er findet es ganz, wie er es kannte, setzt sich wieder vor das Rechenbuch, und wird von dem jetzigen Amtsinhaber vertrieben, der plötzlich von der Stube her eintritt, und den hauseigenen Garten wieder zu einem Nutzgarten gemacht hat.

Der Taugenichts entkommt über die Gartenmauer und hört ein Lied singen, das er nach längerem Besinnen als das Lied wiedererkennt, das der Maler Guido in dem italienischen Wirtshaus auf dem Balkon gesungen hat. Er geht dem Gesang nach und findet an dem grünen Platz am Schwanenteich Aurelie auf einer Steinbank sitzen und einer anderen jungen Dame ihr gegenüber zuhören – Flora –, die das Lied singt. Aurelie erkennt den Taugenichts und schreit auf. Flora, die ihn ebenfalls erkennt, bricht in lautes Lachen aus, klatscht dreimal in die Hände und eine große Menge kleiner Mädchen in hübschen Kleidern kommt aus dem Gebüsch. Die Mädchen singen ein bekanntes Lied aus dem »Freischütz« zur Vorbereitung einer Hochzeit und tanzen um den Taugenichts im Kreis, der bald einige von ihnen als Dorfbewohnerinnen wiedererkennt und ansonsten nicht weiß, wie ihm geschieht.

Plötzlich tritt Leonhard in feiner Jägerkleidung auf, die Mädchen halten mit ihrem Tanz inne, und er führt Aurelie zum Taugenichts herüber. Er hält eine Ansprache, in der er die Macht der Liebe preist: Sie überwinde die Standesgrenzen, bringe in jedes Leben einmal etwas Poesie, und noch in Rom habe sie den Taugenichts an die gegenwärtige Aurelie gebunden.

Flora setzt ihm nach dieser Rede einen Myrtenkranz auf und singt dabei eine Strophe, in der sie erklärt, sein Geigenspiel habe ihm ihre Gewogenheit eingebracht. Sie macht eine Anspielung auf ihre Begegnung auf der Wirtshauswiese und mustert ihn lachend, indem sie um ihn herumgeht. Aurelie wird immer stiller und bricht schließlich in Tränen aus. Flora nimmt sie erstaunt in den Arm und jetzt erst erkennt der Taugenichts in ihr den Maler Guido. Leonhard erkundigt sich bei Flora nach dem Kenntnisstand des Taugenichts und drängt auf seine rasche Aufklärung, um Gerede und Gerüchten vorzubeugen.

So erklärt er ihm – nicht ohne Zeichen der Verlegenheit bei Flora –, dass Flora und er sich geliebt hatten, bevor ein anderer ihr mit viel Aufwand und offenbar dem Rückhalt ihrer Eltern einen Antrag gemacht hat. Um der Sache aus dem Weg zu gehen, ist Leonhard mit Flora nach Süden geflohen, wo er sie auf einem seiner einsamen Schlösser verborgen halten wollte. Man sei ihnen auf die Spur gekommen, und bei dem Wirtshaus in Italien habe Flora die Verfolger entdeckt. Sie hätten ihn, den Taugenichts, auf der vorbestellten Postroute weiterreisen lassen und er sei von den Verwaltern des Schlosses für die verkleidete Flora gehalten worden. Selbst hier auf dem Schloss habe man geglaubt, Flora wohne dort, und habe ihr einen Brief geschrieben. Jetzt sei aber alles gut, sie müssten zum Schloss, wo alles auf sie warte, und wie es sich für einen Roman gehörte, werde alles gut enden und übermorgen gebe es die Hochzeit.

Nach dieser Rede – Flora hat währenddessen den eigentlich an sie adressierten Brief dem Taugenichts abgenommen – gibt es ein großes Spektakel mit Feuerwerk und Tanz, Musik von den Studenten und dem Portier und vielen bekannten Gesichtern. Aurelie entzieht sich aber heimlich, und der Taugenichts geht ihr nach, als die Menge zum Schloss hin zieht.

Er trifft sie in einem Sommerhaus, dessen offenes Fenster über das Tal hinblickt. Der Taugenichts, der sie immer noch für eine Gräfin hält, weiß vor Respekt nichts zu sagen, sie aber umarmt ihn fest und kühlt gleich darauf ihre Wangen am Fenster und in der Abendluft. Der Taugenichts gesteht, sich alles noch nicht recht erklären zu können. Sie sagt, wie unverhofft, nachdem sie mit der Gräfin vorigen Sommer in Rom nichts von ihm hatte in Erfahrung bringen können, die heute Mittag eingetroffene Nachricht von seiner Ankunft gewesen sei; und erinnert ihn daran, wie er sie das letzte Mal auf dem Balkon gesehen hatte. Der Taugenichts fragt hastig, wer eigentlich gestorben sei: Er meine, gesteht er auf Nachfrage, ihren Gemahl, der damals mit auf dem Balkon gestanden habe, und redet sie dabei mit »Euer Gnaden« an. Sie korrigiert seinen Irrtum: Der Mann sei der Sohn der Gräfin gewesen, der eben von einer Reise zurückgekommen sei, und weil ihr Geburtstag auf den Tag gefallen sei, habe er sie auf den Balkon hinausgeführt, damit sie auch ein Vivat bekäme. Sie begreift jetzt, dass er damals wegen dieses seines Irrtums fortgelaufen war.

Der Taugenichts, vergnügt wegen dieser Aufklärung, zieht eine Hand voll Knackmandeln aus der Tasche und bietet ihr davon an. Sie essen zufrieden, bis Aurelie auf ein weißes Schlösschen im Mondschein zeigt, dass der Graf ihnen mitsamt dem Garten und den Weinbergen geschenkt habe. Leonhard habe schon lange von ihrer beider Liebe gewusst und sei dem Taugenichts gewogen, weil er auf der Fahrt in den Süden verhindert habe, dass er und Flora erwischt worden seien; so sei genug Zeit für eine Versöhnung mit der Gräfin, Floras Mutter, gewesen.

Der Taugenichts zeigt sich wegen dieser neuen Enthüllungen verblüfft und redet sie wieder als Gräfin an. Aurelie fährt fort, Leonhard gehörten die Herrschaften, die sie drüben sähen, und nun heirate er Flora, die Tochter der Gräfin. Dann fragt sie den Taugenichts, warum er sie Gräfin nenne, und klärt auf: Die Gräfin habe sie zu sich auf das Schloss genommen, weil ihr Onkel, der Portier, sie damals als Waise mitgebracht habe.

Der Portier meine es gut mit ihnen, sagt sie dem erleichterten Taugenichts, nur verlange ihr Onkel, dass er sich besser kleiden solle. Damit ist der Taugenichts einverstanden und skizziert eine Hochzeitsreise nach Italien bzw. Rom, zusammen mit dem Portier und den Prager Studenten. Aurelie lächelt freundlich, sie hören das Feuerwerk und die Musik, und der Erzähler schließt mit der Feststellung, dass wirklich alles gut war.

Analyse

Blickt man auf das rasante Tempo des Schlusskapitels, erscheint das breit die Studentenmotivik entfaltende neunte Kapitel noch einmal als notwendiger Anlauf, als Isoliermasse zwischen den römischen Peripetien und der sich überschlagenden Aufklärung des glücklichen Endes.

Seine beispiellose Dynamik gewinnt das Kapitel daraus, dass der Schwung der Ankunftsbewegung bis zum Ende seine Energie nicht vollständig verbraucht. Der Held bezieht kein Zimmer oder keine Wohnung, nicht einmal das Schloss betritt er. Seine Sphäre bleibt der Garten – nun aber ohne Anstellung und entsprechende Unterbringung. Der Wohnort, den Aurelie ihm weist, ist gewiss der Zeit nach der Hochzeit vorbehalten, und selbst dann will er sogleich wieder auf Reisen, wieder nach Italien gehen.

Seine Route ist einfach nachzuvollziehen. Vom Ufer her nimmt er seinen Weg nach dem herrschaftlichen Garten zu. Dabei kommt er an dem Zollhaus vorbei, das er, von Erinnerung erfüllt, betritt, und aus dem er von dem neuen Zolleinnehmer verjagt wird. Von der Gartenmauer aus geht er dem Lied nach, das er Flora singen hört. »[A]uf dem grünen Platze am Schwanenteich« (554) trifft er auf Aurelie, Flora und Leonhard, außerdem empfangen ihn hier die tanzenden Dorfmädchen.

Leonhard hält seine Hochzeitsrede und klärt den Taugenichts über seine und Floras Liebesgeschichte auf. Weitere Aussprachen macht das beginnende Fest unmöglich, aber Aurelie stiehlt sich davon und der Taugenichts folgt ihr zu einem Gartenhaus, von dem aus man über das weite Tal bis zu den Besitztümern Leonhards und dem Schlösschen sehen kann, das er ihnen geschenkt hat.

Neben Flora, Leonhard und Aurelie hat der Held bis zum Ende der Erzählung den neuen Einnehmer, den alten Gärtner, die drei Prager Studenten und den Portier wiedergesehen. Kein Wiedersehen gibt es also mit der Gräfin, die, in der Logik der motivischen Variationsreihe, in ihre römische Version verwandelt bleibt. Auch ein Erscheinen des Sohns der Gräfin wäre denkbar gewesen, bleibt aber aus. Die Kammerjungfer Rosette ist in Rom geblieben und die neue Kammerjungfer taucht bei dem Fest noch nicht auf.

Dieses Fehlen wichtig gewesener Figuren im Schlussbild beugt, wie die geschilderte Dynamik der Bewegungen des Helden, den Eindruck eines verfrühten Zur-Ruhe-Kommens vor. Äußerst virtuos handhabt der Erzähler die Aufklärung seines Helden außerdem so, dass sein entscheidender Irrtum über Stand und Herkunft seiner Geliebten als letztes von ihr selbst aufgehoben wird. Das ist möglich, weil Leonhard in seinem »Sermon« (556) den glücklichen Ausgang der Liebesgeschichte schon festgestellt, ja explizit die Liebe als eine Eigenschaft des menschlichen Herzens gepriesen hat, die »die Bastionen von Rang und Stand […] mit einem Feuerblick darnieder[schmettert]« (555). War dies für Leonhard unverbindliches Element seiner Lobrede, kann der Taugenichts dabei verstehen, dass wirklich die Standesgrenzen in seinem Fall überwunden wurden und seine Hochzeit mit der vermeintlichen Gräfin allgemein gebilligt wird.

Eichendorff kann also die entscheidende Information seinem Helden – und seinem Leser – bis zur letzten Seite nur vorenthalten, indem er die Verkündung des glücklichen Ausgangs der eigentlichen Aufklärung über die zurückliegenden Verwicklungen und die Ermöglichung des guten Ausgangs voranstellt. Die ganze vorweggenommene Vermählungsszene am Schwanenteich über ist der Taugenichts noch auf dem alten Kenntnisstand – hält Leonhard für einen Maler, Aurelie für eine Gräfin und die Sängerin für eine Unbekannte. Erst mit der Anspielung Floras und ihrer fröhlichen Musterung des Bräutigams kommt ihm die Erkenntnis über ihre Identität, und sobald dieses Erkennen bei ihm deutlich wird, beschleunigt Leonhard, der Gerüchte über sein Verhältnis mit Flora fürchtet, die Aufklärung.

Leonhard berichtet aber nur von seiner eigenen Liebesgeschichte und der Verwicklung des Taugenichts darin – nicht von der Liebesgeschichte zwischen dem Taugenichts und Aurelie. Dies besorgt erst Aurelie selbst im Sommerhaus, wenn sie von ihrem Aufenthalt in Rom im letzten Sommer, von der Nachricht des Jockey, von dem gräflichen Sohn auf dem Balkon, der Gewogenheit Graf Leonhards und seinem großzügigen Geschenk, schließlich aber von ihrer Herkunft erzählt.

Als entscheidender, von den ersten beiden Kapiteln her kaum vorherzusagender Umstand erweist sich, dass ihre gegenseitige Neigung während des Aufenthalts des Taugenichts auf dem Wiener Schloss von außen wahrgenommen und von Leonhard gutgeheißen worden war.

Der Taugenichts muss, um Aurelie zu ehelichen, nicht in den adligen Stand hineinheiraten und es wird – wie in vielen anderen Geschichten ähnlichen Zuschnitts – bei ihm keine verborgene, adlige Herkunft entdeckt, die die Standesgleichheit herstellen muss. Die Herabstufung, die Aurelie in seinen und den Augen des ersten Lesers erfährt, wird aber durch das Geschenk Graf Leonhards durchaus wettgemacht. Die Hochzeitsreise nach Italien, die der Taugenichts plant, ist adliger, nicht bürgerlicher Brauch und auch danach wird er keine Mühle kaufen oder sich als Müller verdingen müssen, sondern auf dem ihnen vermachten Schlösschen einer adligen, also müßigen, allenfalls mit der Pflege des Besitztums – des Gartens! – beschäftigten Lebensweise nachgehen können.

Veröffentlicht am 24. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 24. September 2023.